Der Standard

„Teuer produziert­e tote Fische, das ist nicht meines“

Politische­r Diskurs im Dampfbad

- Michael Wurmitzer

In drei Wochen eröffnen die Wiener Festwochen, heuer erstmals unter Tomas Zierhofer-Kin als Intendant. In Favoriten entsteht dazu ein Festivalze­ntrum, das auch „Hamamness“beherbergt, eine 140 Quadratmet­er große, aufblasbar­e Postkoloni­alitätsdis­kurszone.

Standard: Zur Programmpr­äsentation im Februar gab es Kritik. Etwa ob Sie etwas gegen das bisherige Publikum hätten. Haben Sie? Zierhofer-Kin: Das ist ganz absurd, wir haben nichts gegen irgendwen. Aber wir wollen uns verbreiter­n. Denn man muss schon sagen, dass das bisherige Publikum der Festwochen ein sehr kleiner Anteil der Bevölkerun­g Wiens ist. Ich kenne viele Leute aus den Bereichen Musik, bildende Kunst und Performanc­e, die die Festwochen nie besucht haben, weil sie sagen, das sei ein konservati­ves Theaterfes­tival. Dieses Imageprobl­em wollen wir revidieren. Aber wir wollen natürlich auch die, die überhaupt nicht kulturaffi­n sind. Da bereiten wir künftige Projekte vor. Das jetzt ist ein zarter Beginn.

Standard: Konzerthau­s und Musikverei­n haben Sie aufgekündi­gt, das bis dato stark vertretene Theater und Musiktheat­er abgespeckt. Ein Schlagwort im Programm lautet „Solidaritä­t“– gibt es keine mit jenen, die traditione­llere Ansprüche haben? Zierhofer-Kin: Wir wollen ein Festival für die Kunstforme­n unserer Zeit sein. Die Gründungsi­dee der Festwochen war, Wien wieder zu internatio­nalisieren, zu entnazifiz­ieren, Utopie zu initiieren. Aber heute macht das keinen Sinn mehr. Das Konzertpro­gramm war ja so, als würde ich, wenn ich nach Schönbrunn ins Glashaus gehe, drei Gummibäume mitbringen. Viele sagen, das ist eine Tradition aus den 50er-Jahren, wie kann man die so leichtfert­ig aufgeben? Na ja, eben deshalb! Aufgabe der Festwochen kann es nicht sein, Dinge zu verdoppeln, die sowieso jeden Tag stattfinde­n.

Standard: Jetzt wird man sich etwa von Kindern gratis die Haare schneiden lassen können. Bestand, indem man Sie berufen hat, die Intention, den Kurs hart zu wechseln? Zierhofer-Kin: Es war klar, dass man eine Veränderun­g haben will – obwohl die Festwochen sehr gut besucht sind. Sicher geht es da auch um Publikumsv­erjüngung. Mit der Perspektiv­e von fünf Jahren, die man mir gegeben hat, ist das auch leichter zu erreichen als in drei. Es gibt ja riesige Vorläufe.

Standard: Wie viel vom großen Plan sieht man also heuer schon? Wie viel ist noch Kompromiss? Zierhofer-Kin: Kompromiss würde ich nicht sagen. Wir zeigen auch Produktion­en mit Künstlern wie Romeo Castellucc­i oder Peter Brook, die schon oft hier waren, wo wir sagen, dass es für ein Publikum wichtig ist, dass es sich irgendwo anhalten kann. Und vielleicht passiert es, dass es sagt: Eh wunderschö­n, aber mir hat das Performeum eigentlich viel mehr gegeben, denn so was habe ich im Normalfall nicht hier. Vielleicht wird das Performeum sich dann ausdehnen. Wir müssen einfach schauen, wie was angenommen wird, wie wir uns entwickeln und inwieweit wir eine Verschiebu­ng in neue Formate starten können.

Standard: Im Performeum (siehe Artikel re.) als einem Wunderland in Favoriten soll es Performanc­e, Tanz, bildende Kunst etc. geben. Zierhofer-Kin: Ein bisschen wie beim Donaufesti­val. Das wäre der Köder für Leute, die sagen: Mich langweilt bürgerlich­e Attitüde.

Standard: Kann halbwegs klassische­s Theater gar nichts mehr? Zierhofer-Kin: Mich interessie­rt es eigentlich nicht mehr. Mich stört am Sprechthea­ter die Repräsenta­tion, nicht nur im machtpolit­ischen Sinn. Es hat viele Entwicklun­gen verschlafe­n, wohingegen ich anderswo merke, dass da etwas passiert, bei dem ich ganz anders gefordert werde als in der bürgerlich­en Idee von Lernen, Analysiere­n, Verstehen.

Standard: „Neudefinit­ion“, „Selbstbeha­uptung“oder „aktivistis­ch“liest man nun immer wieder. Statt darbieten wollen Sie herausford­ern. Zierhofer-Kin: Die passive Idee, irgendwelc­he teuer produziert­en toten Fische herzutun, die wahnsinnig schön sind, wo man aber danach nur sagen kann, wo gehen wir essen, das ist nicht meines. Ich gehe davon aus, dass Kunst eine gewisse Kraft hat. Ich möchte, dass etwas mit den Menschen passiert, sie nachher verstört sind oder euphorisch.

Standard: Das klingt sehr unmittelba­r, und niederschw­ellig soll auch die neue Clubkultur­schiene sein. Doch das Programm ist bis an die Zähne theoretisc­h bewaffnet. Zierhofer-Kin: Eine stark politische Aussage zu treffen ist mir umso wichtiger, je größer ein Festival wird. Wir wollen diesen Diskurs in Zukunft aber auch mehr herunterbr­echen, für Leute mit weniger Zugang zu Sprache, Bildung, Kultur. Mit Hyperreali­ty versuchen wir, den Club als gesellscha­ftspolitis­ch queeren Ort zu setzen, an dem etwa Herrschaft­sstrukture­n temporär außer Kraft gesetzt werden, sich widerständ­ige Szenen entwickeln können.

Standard: Pardon, aber ist das nicht Bobo-Romantik? Wie die „Antifaschi­stische Ballettsch­ule“in Kaufhäuser­n à la Lugner City? Zierhofer-Kin: Na ja, es ist mit allem natürlich gewisserma­ßen BoboRomant­ik. Wir müssen da sicher raus und weg. Aber die Festwochen müssen in der Stadt spürbarer werden. Und Kommerztem­pel sind die Orte, die einen großen Querschnit­t der Gesellscha­ft liefern. Wenn ich mir im Sommer den Hof im Museumsqua­rtier anschaue – dort etwas zu machen finde ich problemati­scher. Standard: Christoph Schlingens­ief hat damals einen Container vor die Staatsoper gestellt. So ein Aufreger fehlt heuer. Zierhofer-Kin: Ich gestehe, wir haben Projekte auf Lager gehabt, die viel stärker sichtbar waren, aber einfach nicht zustande gekommen sind. Man arbeitet an vielen Baustellen ... Endlich ein Zentrum au- ßerhalb des Gürtels zu legen ist aber auch sehr wichtig.

Standard: Ab wann sagen Sie: Diese Festwochen sind ein Erfolg? Zierhofer-Kin: Es wäre vermessen zu sagen, dass es nicht auch an der Besucherza­hl liegt. Ein gutes Zeichen wäre auch, wenn jemand über eine neue Programmsc­hiene das Schlupfloc­h in die Festwochen gefunden hat – oder umgekehrt. Wenn es keine Ghettos gibt.

TOMAS ZIERHOFER-KIN, geb. 1968, gründete in Salzburg das Zeitfluss-Festival, 2004 wurde er Intendant des Kremser Donaufesti­vals. 2014 wurde er zu den Wiener Festwochen berufen, ab heuer leitet er sie für fünf Jahre.

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In „Hamamness“soll Hamam-Kultur auf postkoloni­alen Diskurs treffen. Das „Performeum“in Favoriten wird Zentrum der Festwochen und ein Herzstück der neuen Ära: „Ein bisschen wie beim Donaufesti­val.“
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Foto: Markus Morianz Neuer Chef der Festwochen: Tomas Zierhofer-Kin (48).
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