„Teuer produzierte tote Fische, das ist nicht meines“
Politischer Diskurs im Dampfbad
In drei Wochen eröffnen die Wiener Festwochen, heuer erstmals unter Tomas Zierhofer-Kin als Intendant. In Favoriten entsteht dazu ein Festivalzentrum, das auch „Hamamness“beherbergt, eine 140 Quadratmeter große, aufblasbare Postkolonialitätsdiskurszone.
Standard: Zur Programmpräsentation im Februar gab es Kritik. Etwa ob Sie etwas gegen das bisherige Publikum hätten. Haben Sie? Zierhofer-Kin: Das ist ganz absurd, wir haben nichts gegen irgendwen. Aber wir wollen uns verbreitern. Denn man muss schon sagen, dass das bisherige Publikum der Festwochen ein sehr kleiner Anteil der Bevölkerung Wiens ist. Ich kenne viele Leute aus den Bereichen Musik, bildende Kunst und Performance, die die Festwochen nie besucht haben, weil sie sagen, das sei ein konservatives Theaterfestival. Dieses Imageproblem wollen wir revidieren. Aber wir wollen natürlich auch die, die überhaupt nicht kulturaffin sind. Da bereiten wir künftige Projekte vor. Das jetzt ist ein zarter Beginn.
Standard: Konzerthaus und Musikverein haben Sie aufgekündigt, das bis dato stark vertretene Theater und Musiktheater abgespeckt. Ein Schlagwort im Programm lautet „Solidarität“– gibt es keine mit jenen, die traditionellere Ansprüche haben? Zierhofer-Kin: Wir wollen ein Festival für die Kunstformen unserer Zeit sein. Die Gründungsidee der Festwochen war, Wien wieder zu internationalisieren, zu entnazifizieren, Utopie zu initiieren. Aber heute macht das keinen Sinn mehr. Das Konzertprogramm war ja so, als würde ich, wenn ich nach Schönbrunn ins Glashaus gehe, drei Gummibäume mitbringen. Viele sagen, das ist eine Tradition aus den 50er-Jahren, wie kann man die so leichtfertig aufgeben? Na ja, eben deshalb! Aufgabe der Festwochen kann es nicht sein, Dinge zu verdoppeln, die sowieso jeden Tag stattfinden.
Standard: Jetzt wird man sich etwa von Kindern gratis die Haare schneiden lassen können. Bestand, indem man Sie berufen hat, die Intention, den Kurs hart zu wechseln? Zierhofer-Kin: Es war klar, dass man eine Veränderung haben will – obwohl die Festwochen sehr gut besucht sind. Sicher geht es da auch um Publikumsverjüngung. Mit der Perspektive von fünf Jahren, die man mir gegeben hat, ist das auch leichter zu erreichen als in drei. Es gibt ja riesige Vorläufe.
Standard: Wie viel vom großen Plan sieht man also heuer schon? Wie viel ist noch Kompromiss? Zierhofer-Kin: Kompromiss würde ich nicht sagen. Wir zeigen auch Produktionen mit Künstlern wie Romeo Castellucci oder Peter Brook, die schon oft hier waren, wo wir sagen, dass es für ein Publikum wichtig ist, dass es sich irgendwo anhalten kann. Und vielleicht passiert es, dass es sagt: Eh wunderschön, aber mir hat das Performeum eigentlich viel mehr gegeben, denn so was habe ich im Normalfall nicht hier. Vielleicht wird das Performeum sich dann ausdehnen. Wir müssen einfach schauen, wie was angenommen wird, wie wir uns entwickeln und inwieweit wir eine Verschiebung in neue Formate starten können.
Standard: Im Performeum (siehe Artikel re.) als einem Wunderland in Favoriten soll es Performance, Tanz, bildende Kunst etc. geben. Zierhofer-Kin: Ein bisschen wie beim Donaufestival. Das wäre der Köder für Leute, die sagen: Mich langweilt bürgerliche Attitüde.
Standard: Kann halbwegs klassisches Theater gar nichts mehr? Zierhofer-Kin: Mich interessiert es eigentlich nicht mehr. Mich stört am Sprechtheater die Repräsentation, nicht nur im machtpolitischen Sinn. Es hat viele Entwicklungen verschlafen, wohingegen ich anderswo merke, dass da etwas passiert, bei dem ich ganz anders gefordert werde als in der bürgerlichen Idee von Lernen, Analysieren, Verstehen.
Standard: „Neudefinition“, „Selbstbehauptung“oder „aktivistisch“liest man nun immer wieder. Statt darbieten wollen Sie herausfordern. Zierhofer-Kin: Die passive Idee, irgendwelche teuer produzierten toten Fische herzutun, die wahnsinnig schön sind, wo man aber danach nur sagen kann, wo gehen wir essen, das ist nicht meines. Ich gehe davon aus, dass Kunst eine gewisse Kraft hat. Ich möchte, dass etwas mit den Menschen passiert, sie nachher verstört sind oder euphorisch.
Standard: Das klingt sehr unmittelbar, und niederschwellig soll auch die neue Clubkulturschiene sein. Doch das Programm ist bis an die Zähne theoretisch bewaffnet. Zierhofer-Kin: Eine stark politische Aussage zu treffen ist mir umso wichtiger, je größer ein Festival wird. Wir wollen diesen Diskurs in Zukunft aber auch mehr herunterbrechen, für Leute mit weniger Zugang zu Sprache, Bildung, Kultur. Mit Hyperreality versuchen wir, den Club als gesellschaftspolitisch queeren Ort zu setzen, an dem etwa Herrschaftsstrukturen temporär außer Kraft gesetzt werden, sich widerständige Szenen entwickeln können.
Standard: Pardon, aber ist das nicht Bobo-Romantik? Wie die „Antifaschistische Ballettschule“in Kaufhäusern à la Lugner City? Zierhofer-Kin: Na ja, es ist mit allem natürlich gewissermaßen BoboRomantik. Wir müssen da sicher raus und weg. Aber die Festwochen müssen in der Stadt spürbarer werden. Und Kommerztempel sind die Orte, die einen großen Querschnitt der Gesellschaft liefern. Wenn ich mir im Sommer den Hof im Museumsquartier anschaue – dort etwas zu machen finde ich problematischer. Standard: Christoph Schlingensief hat damals einen Container vor die Staatsoper gestellt. So ein Aufreger fehlt heuer. Zierhofer-Kin: Ich gestehe, wir haben Projekte auf Lager gehabt, die viel stärker sichtbar waren, aber einfach nicht zustande gekommen sind. Man arbeitet an vielen Baustellen ... Endlich ein Zentrum au- ßerhalb des Gürtels zu legen ist aber auch sehr wichtig.
Standard: Ab wann sagen Sie: Diese Festwochen sind ein Erfolg? Zierhofer-Kin: Es wäre vermessen zu sagen, dass es nicht auch an der Besucherzahl liegt. Ein gutes Zeichen wäre auch, wenn jemand über eine neue Programmschiene das Schlupfloch in die Festwochen gefunden hat – oder umgekehrt. Wenn es keine Ghettos gibt.
TOMAS ZIERHOFER-KIN, geb. 1968, gründete in Salzburg das Zeitfluss-Festival, 2004 wurde er Intendant des Kremser Donaufestivals. 2014 wurde er zu den Wiener Festwochen berufen, ab heuer leitet er sie für fünf Jahre.