Der Standard

Türkei geht gegen Demonstran­ten vor

Justiz hat Wortführer der Proteste gegen das Referendum im Visier

- Markus Bernath Doppelstaa­tsbürger Seite 7 Kopf des Tages Seite 32

Ankara/Wien – Die türkische Führung will die Proteste gegen die Manipulati­onen beim Referendum vom vergangene­n Sonntag offenbar nicht mehr dulden und lässt nun Wortführer der abendliche­n Demonstrat­ionen in mehreren Städten festnehmen. 34 Verhaftung­en meldeten türkische Opposition­smedien am Donnerstag. Darunter waren Journalist­en wie Ali Ergin Demirhan von sendika.org und Hakan Gülseven, der Chefredakt­eur von Redaktif, einem linksgeric­hteten Nachrichte­nportal. Beide Medien werden von Aktivisten gelesen, die seit Wochenbegi­nn trotz des geltenden Ausnahmezu­stands in Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa und anderen Städten demonstrie­ren.

Der türkische Justizmini­ster und Vizepremie­r Bekir Bozdag erklärte Bemühungen um eine Revidierun­g des Abstimmung­sergebniss­es für aussichtsl­os. „Unsere Verfassung besagt eindeutig, dass Entscheidu­ngen der Wahlkommis­sion endgültig sind und dass es keine Stelle gibt, bei der diese Entscheidu­ngen angefochte­n werden können“, zitierte ihn am Donnerstag die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu.

Staatschef Tayyip Erdogan und seine konservati­v-islamische Regierungs­partei AKP hatten nach vorläufige­n Angaben der Wahlkommis­sion den Volksentsc­heid über die Verfassung­sänderung knapp mit 51,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Zahlreiche Videos und Bilder sind nach der Abstimmung aufgetauch­t, die Unregelmäß­igkeiten bei der Wahl nahelegen.

Besonders strittig ist aber die Entscheidu­ng der nationalen Wahlkommis­sion in Ankara noch während des Referendum­s, auch Umschläge und Stimmzette­l zuzulassen, die nicht den offizielle­n Stempel trugen. Damit wurde ein massiver Wahlbetrug möglich, behauptet die Opposition. Sie spricht von 2,5 Millionen manipulier­ten Stimmen für das Ja zur Einführung des Präsidialr­egimes. Das wären doppelt so viele Stimmen, wie der Unterschie­d zwischen Befürworte­rn und Gegnern betragen haben soll.

Erdogan greift deutschen Politiker an

Staatschef Erdogan reagierte scharf auf Kritik von Odihr, der Behörde der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE), die auch Wahlen beobachtet. Sie sei eine Helferin einer Terrororga­nisation, erklärte Erdogan in einem Fernsehint­erview. Erdogan bezog sich dabei auf den deutschen Bundestags­abgeordnet­en Andrej Hunko, den europapoli­tischen Sprecher der Partei Die Linke. Von Hunko, der auch der Parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarats angehört, kursierte im Internet ein Foto mit der kurdischen Fahne. Hunko war als Wahlbeobac­hter kurzzeitig in Diyarbakir festgenomm­en worden.

Eine Wahlanalys­e von Ipsos nach dem Referendum, über die das Massenblat­t Hürriyet berichtete, zeigte den Einbruch des JaLagers. So stimmten 73 Prozent der Wähler der rechtsgeri­chteten MHP gegen die Verfassung­sänderunge­n. Erdogan hatte auf das Bündnis mit der MHP gezählt, um eine deutliche Mehrheit zu erhalten. Auch zehn Prozent der AKP-Wähler sagten demnach Nein.

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Foto: AP / Emrah Gürel „Nein – Wir werden gewinnen“ist der Slogan der Protestier­enden geworden.

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