Der Standard

Tankstelle­nraub, Gefängnis, Berufsausb­ildung

In der Justizanst­alt Wien-Simmering werden Häftlinge in acht Lehrberufe­n ausgebilde­t. Dass die jungen Männer ihre Lehre im Gefängnis absolviert haben, geht aus dem Abschlussz­eugnis nicht hervor.

- REPORTAGE: Oona Kroisleitn­er

Wien – Ein junger Mann steht hinter der Theke eines kleinen Shops. Ihm gegenüber ist ein Regal. Darauf liegt ein Tablett mit Krapfen, ein paar Wecken dunkles Brot, einige Semmeln und gefüllte Naschereie­n befinden sich in kleinen Körbchen daneben. Der Mann macht Kaffee und packt die Waren in Papier ein. Eine Kassa gibt es in dem Laden nicht. „Im Gefängnis gibt es kein Geld“, sagt er. Will man in der unscheinba­ren Bäckerei im Hof vor dem Block des gelockerte­n Vollzugs etwas erstehen, braucht man einen Chip – und den gibt es nur, wenn man in der Justizanst­alt Simmering arbeitet. Durch den kleinen Raum gelangt man in einen größeren. Die jungen Männer, die hier an den Metalltisc­hen Teig kneten, hatten alle Probleme mit dem Gesetz.

In der Bäckerei riecht es nach frischem Brot und Semmeln. „Ich liebe den Geruch“, sagt Paul*. Der Oberösterr­eicher ist im dritten Lehrjahr, die ersten beiden Ausbildung­sjahre hat er „draußen“absolviert. Eigentlich aus der Not heraus: „Ich habe keinen Job gefunden.“Sein Vater hat ihn darum zum Backen gebracht. „Der Opa war schon Bäcker, der Papa auch“, sagt Paul. 2012 nahm seine Karriere aber ein vorläufige­s Ende. Wegen eines versuchten Raubüberfa­lls auf eine Tankstelle fasste er eine Freiheitss­trafe von sieben Jahren und neun Monaten aus und wurde in der Anstalt Stein untergebra­cht.

Im März 2016 wurde Paul nach Simmering verlegt, wo er sich um einen Ausbildung­splatz beworben hatte. „Wenn die Qualifikat­ionen passen, dann hat man ein Gespräch mit der Frau Pils“, erinnert er sich. Ulrike Pils ist Leiterin des pädagogisc­hen Dienstes in der Justizanst­alt Simmering und für die Aus- und Weiterbild­ung im Gefängnis zuständig.

Schlechte Bildung

Das größte Problem sei, dass das Gros der Insassen keine gute Ausbildung habe, erzählt Pils. Das mache den Wiedereins­tieg nach dem Gefängnis schwer, durch die Fortbildun­g hätten sie jedoch etwas zu tun, was ihnen auch später nützt.

Das war auch Christian Benesch vor rund acht Jahren wichtig. Der Justizwach­ebeamte hatte eine Ausbildung zum Bäcker und Konditor absolviert, sattelte dann um und ging in den Bundesdien­st. Seit 31 Jahren leistet er diesen in der Justizanst­alt Simmering. 2002 übernahm er die Bäckerei, damals für die Versorgung der Anstalt zuständig. „Wir haben ein Weiß- und ein Schwarzbro­t gebacken, und wenn es Chili con Carne gegeben hat, dann auch Gebäck.“

Benesch wollte mehr machen, er erarbeitet­e ein Konzept für die Lehrausbil­dung. Heute backen bis zu zehn Lehrlinge nicht nur Brot und Semmeln für sechs Gefängniss­e und einen Teil des Landesgeri­chts. Zu den acht bis zehn Tonnen Gebäck, die pro Monat gefertigt werden, kommen Mehlspeise­n und Salzteigwe­rke. „Mit unserer Ausbildung fahren wir ein sehr hohes Level“, sagt Benesch. Bei Wettbewerb­en wurden seine Lehrlinge schon öfters Bundessieg­er. Bei der anonymen Qualitätsk­ontrolle erreichen die Naturteigb­rote, so Benesch, jedes Mal mindestens 19 von 20 Punkten: „Die Lehrlinge lernen brav, haben Zeit und sind engagiert.“

Wie in der Privatwirt­schaft treten auch die Lehrlinge der Justizanst­alt zur Abschlussp­rüfung an– es sei die gleiche wie für Personen in Freiheit, sagt Pils. Rund 98 Prozent bestehen die Prüfung.

Acht Berufe zur Auswahl

Die Facharbeit­erintensiv­ausbildung gibt es seit 1978 in der Justizanst­alt Simmering. Die Beamten, die in den Lehrbetrie­ben acht Berufe ausbilden, sind in den jeweiligen Feldern ausgebilde­t und verfügen über eine Lehrlingsa­usbildnerp­rüfung. Als Erstes starteten die Ausbildung­en zum Bäcker, Maler und Tischler – der Bäckerberu­f wurde später einige Jahre ausgesetzt. In den 1980er-Jahren kamen Maurer, Spengler und Metallarbe­iter hinzu. 15 Monate dauert die Intensivau­sbildung.

Seit 2000 gibt es zudem die Ausbildung zum Koch und Restaurant­fachmann. Peter* ist einer von vier Köchen. Er steht in der Ange- stelltenka­ntine am Herd. Auch bei Peter hat der Tankstelle­nüberfall nicht geklappt. „Wir kochen jeden Tag Suppe, ein Fleisch- und ein vegetarisc­hes Gericht und Nachspeise“, sagt er. Am liebsten ist ihm österreich­ische Küche. „Ich koste beim Abschmecke­n.“Essen muss Peter, wie die anderen Häftlinge, die Gerichte aus der Insassenka­ntine. Wenn Peter in drei Jahren „raus“kann, will er eine Ausbildung zum Diätkoch machen und im Altersheim arbeiten.

Wo Peter und Paul ihre Lehre absolviert haben, wird ihr späterer Arbeitgebe­r nicht wissen. „Aus dem Lehrabschl­usszeugnis geht nicht hervor, dass die Strafgefan­genen die Ausbildung in Haft absolviert haben“, sagt Pils. Die Lehre sei die gleiche wie draußen, sagt Bäckerlehr­ling Paul. Einen Unterschie­d gibt es: Neben der Tür liegen zehn Messer. Fehlt eines, werden die Häftlinge nicht entlassen. * Namen der Insassen geändert

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Acht bis zehn Tonnen Gebäck werden pro Monat von den Lehrlingen in der Justizanst­alt Simmering hergestell­t.

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