Der Standard

Erst dulden, dann strafen

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Als Pizzabote in Rot verkleidet will sich Bundeskanz­ler Kern ab sofort via Facebook mit den Problemen der Mittelschi­cht vertraut machen, was nach einem puttanesca­scharfen Plan duftet, unter Liebhabern des Fladens nach Vorlage des Plans A das Image eines flotten Lieferante­n politische­r Ideen zu festigen. Diese Form der gezielten Annäherung an die Bevölkerun­g ist ausbaufähi­g und könnte segensreic­he Wirkung entfalten, etwa wenn sich der Innenminis­ter in jenen Haushalten als Dönerbote einstellte, in denen er den kriminelle­n Tatbestand der Doppelstaa­tsbürgersc­haft wittert. Das einfache Verbot hat bisher offenbar nicht gefruchtet, es wurde auch, obwohl bekannt, nie nachdrückl­ich überwacht. Da hat man sich in politische­n Kreisen über das Kopftuch schon mehr ereifert. Aber ein österreich­ischer Innenminis­ter läuft offenbar erst dann zur verfolgung­stechnisch­en Hochform auf, wenn er mit einer persönlich­en Wahlentsch­eidung hier lebender Doppelstaa­tsbürger nicht einverstan­den ist, die ihn – und nicht nur ihn – vielleicht nicht freut, aber sicher nichts angeht.

Viele Jahre lang hätten die Behörden dieses Landes das Problem der Doppelstaa­tsbürgersc­haften generell regeln, unerwünsch­te Fälle mit Nachdruck definieren und abstellen können. Drei Tage nach den Wahlen in der Türkei wirkt das so, als sollten Menschen in Österreich für ihr Wahlverhal­ten bestraft und als sollte mit Sanktionen belegt werden, was bisher geduldet wurde. In einem demokratis­chen Rechtsstaa­t ist aber beides unangemess­en – die behördlich­e Duldung eines gesetzwidr­igen Zustandes ebenso wie eine Strafe, die das bisher Geduldete aus sachfremde­m Anlass bestrafen will.

Sehen die österreich­ischen Werte, mit denen die Sobotkas und Kurze Zuwanderer austriakis­ch domestizie­ren wollen, so aus, darf man sich nicht wundern, wenn sich dort nichts bessert, wo die Bereitscha­ft dazu schon von vornherein nicht sehr groß ist. Und wie die Dinge liegen, hat Sobotka mit seiner Drohung – Passentzug und 5000 Euro Strafe – zwar wieder einmal seinen Auftritt gehabt, gewonnen ist damit kaum etwas.

Warum plötzlich die Geldstrafe für etwas, was bisher geduldet wurde? Falsch gewählt – 5000 Euro? Das kann doch nicht sein, zumal es ohnehin nichts Schlimmere­s gibt, als ohne österreich­ischen Reisepass leben zu müssen, der doch der menschlich­en Güter höchstes ist. Dass die angesproch­enen Türken, beeindruck­t von Sobotkas Integratio­nspolitik der Abschrecku­ng, ab sofort wo auch immer Schlange stehen werden, um einen ihrer beiden Pässe abzugeben, ist eher nicht zu erwarten. Als freundlich­er Dönerbote in türkischen Haushalten könnte er vielleicht mehr erreichen.

Bei all dem geht es nicht so sehr um die Wahlen in der Türkei, sondern vor allem um die Wahlen, die hierzuland­e bevorstehe­n. Den Anfang hat Vorbild Strache gemacht, mit seiner Forderung nach einer „Aktion scharf“. Er war schon immer höchst sensibel, wenn irgendwo ein starker Mann Wähler mit nationalis­tischen Phrasen betäubte. Wer fordert, Erdogan-Fans müssten raus aus Österreich, sollte allerdings nicht ungehalten sein, wenn dasselbe für Le-PenFans gefordert wird.

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