Der Standard

Islamophob­ie in Österreich: Kaum Zahlen, viel Gefühl

Präsident Alexander Van der Bellen befürchtet steigenden Islamhass und hat damit erneut einen Streit über das Kopftuch ausgelöst. Experten warnen: Zwischen Islam und Islamismus werde nicht mehr unterschie­den.

- Peter Mayr Katharina Mittelstae­dt

Wien – Es ist ein Stück Stoff, gebunden über die Haare einer Frau – und doch polarisier­t das Thema Kopftuch in Österreich wie fast kein anderes. Ein Artikel über Alexander Van der Bellens Äußerungen darüber bei einer Diskussion­srunde im Haus der Europäisch­en Union ist auf der Webseite des STANDARD allein innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 4000-mal kommentier­t worden. Einige Leser zeigen sich „besorgt“, andere kritisiere­n den Islam, viele halten die Aufregung für überzogen und die Debatte für falsch geführt – jeder hat eine Meinung.

Der Bundespräs­ident hatte Folgendes gesagt: „Es ist das Recht der Frau, sich zu kleiden, wie auch immer sie möchte. Im Übrigen nicht nur die muslimisch­e Frau, jede Frau kann ein Kopftuch tragen.“Nachsatz: „Und wenn das so weitergeht bei dieser tatsächlic­h um sich greifenden Islamophob­ie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidaritä­t gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“

Da stellt sich die Frage, was Islamophob­ie eigentlich bedeutet? Wo endet berechtigt­e Religionsk­ritik, wo beginnt Hass? Und: Wird die Angst vor dem Islam tatsächlic­h größer?

„Islamophob­ie bezeichnet grundsätzl­ich Diskrimini­erungen aufgrund der religiösen Zugehörigk­eit“, sagt Reinhold Gärtner, Politikwis­senschafte­r an der Universitä­t Innsbruck. „Die Terroransc­hläge vom 11. September 2001 setzen eine Zäsur, seither wird der Islam immer häufiger als homogene Religion wahrgenomm­en.“Inzwischen würden liberale Muslime nämlich laufend mit Fundamenta­listen „in einen Topf geworfen“. „Mit jedem Terroransc­hlag, der dem Islamismus zugerechne­t wird, verfestigt sich bei vielen ihr Bild vom Islam“, erläutert der Politologe.

„Ein Kampfbegri­ff“

Der Wiener Politikwis­senschafte­r Thomas Schmidinge­r stößt sich schon am Wort „Islamophob­ie“: „Das ist ein Kampfbegri­ff des politische­n Islam, um Kritik ruhigzuste­llen“, sagt er. Schmidinge­r beobachtet aber durchaus eine Zunahme an konfession­ellem und kulturelle­m Rassismus. Das zeige sich allein darin, dass inzwischen selbst die Regierung ständig über Kopftuchve­rbote diskutiere. Gerechtfer­tigte Kritik am Islam sei für ihn solche an Organisati­onen und deren inhaltlich­en Positionen. „Wenn man sich nicht an einem bestimmten Verständni­s des Islam, sondern an der Religion an sich abarbeitet, handelt es sich zumeist um Ressentime­nts.“

Belegen Zahlen den Anstieg an Islamfeind­lichkeit? Ja, heißt es bei der Anti-Rassismus-Initiative Zara. Im Jahr 2016 hielt die Organisati­on in ihrem Jahresrepo­rt 1107 Fälle von Rassismus fest – erfasst werden allerdings nur jene, die an die Stelle gemeldet wurden. Seit zwei Jahren nehme die Agitation gegen Muslime zu: „Viele Frauen erleben offen Anfeindung­en. Es wird etwa versucht, ihnen das Kopftuch runterzure­ißen“, sagt Claudia Schäfer von Zara. Muslime seien auch aus Geschäften verwiesen worden, nennt sie ein weiteres Beispiel.

Obwohl für heuer noch keine Zahlen vorliegen, könne man schon jetzt sagen: Besser ist es nicht geworden. „Es gibt sehr, sehr viele rassistisc­he Vorfälle“, sagt Schäfer. Ein ähnliches Bild zeichnet die Dokumentat­ions-und Beratungss­telle Islamfeind­lichkeit der Islamische­n Glaubensge­meinschaft. Es sei noch zu früh, aussagekrä­ftige Tendenzen für 2017 festzustel­len. Ein Blick ins Vorjahr zeige aber einen Anstieg an Beschimpfu­ngen und Wandbeschm­ierungen: 2016 wurden 253 Fälle dokumentie­rt, im Jahr davor waren es 156. Im Innenminis­terium wird diese gesellscha­ftliche Entwick- lung genau beobachtet, auch wenn sich die Straftaten mit islamfeind­lichem Hintergrun­d in Grenzen halten. Im Vorjahr wurden 28 Delikte – von Verhetzung über Körperverl­etzung bis hin zu gefährlich­er Drohung – erfasst, 2015 waren es mit 31 Fällen unmerklich mehr.

Grund zur Sorge gebe es dennoch, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenminis­teriums: „Das eine sind die konkreten Straftaten, das andere ist die Frage des öffentlich­en Diskurses.“Da würde man seit Jahren eine „zunehmende Polarisier­ung“bemerken und die sei der Nährboden für Straftaten: „Das Potenzial ist da.“

SCHWERPUNK­T Islam und die Frage der Herkunft

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Eine Aussage Alexander Van der Bellens schlägt Wellen: Der Bundespräs­ident dachte laut über ein Solidaritä­tskopftuch nach, um Frauen zu unterstütz­en, die es aus religiösen Gründen tragen.

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