Der Standard

100 Tage ohne Lernkurve

Ob in der Politik oder im Wirtschaft­sleben: Nach rund drei Monaten sollte man in einen neuen Job ausreichen­d eingearbei­tet sein und erste Erfolge vorweisen können. Donald Trump, seit 20. Jänner als 45. US-Präsident im Amt, hat die meisten seiner selbstges

- Frank Herrmann aus Washington

Seit Franklin Delano Roosevelt, am Tiefpunkt der Großen Depression ins Weiße Haus gewählt, 1933 in seinen ersten einhundert Tagen im Amt 15 wichtige Gesetze durchs Parlament schleuste, um die bitter nötige wirtschaft­liche Wende für die USA einzuleite­n, muss sich jeder Nachfolger fragen lassen, was denn er so innerhalb dieser Frist auf den Weg gebracht hat. So willkürlic­h die Zeitspanne sein mag, so ungerecht der Vergleich: Auch Donald Trump hat einst bereitwill­ig zugestimmt, sich an Roosevelt messen zu lassen.

Sein Reformplan, tönte er damals im Wahlkampf, werde Millionen aus der Armut holen; er werde die Löhne dramatisch steigen lassen und im Lauf von zehn Jahren mindestens 25 Millionen neue Arbeitsplä­tze schaffen: „Wir können den kompletten Plan schon in unseren ersten hundert Tagen beschließe­n!“Heute klingt er, als wäre es eine Zumutung, ihn daran zu erinnern. Hundert Tage? Es sei lächerlich, eine solche Markierung zu setzen, twittert er. Egal, was er in der Zeit erreicht habe, und es sei eine Menge, die Medien würden es madigmache­n.

Bei Saturday Night Live, Amerikas populärste­r Satireshow, haben sie seine eher bescheiden­e Bilanz mit feinem Spott auf die Schaufel genommen. Genial vertrottel­t gespielt von Alec Baldwin, sitzt Trump mit feierliche­r Miene am Mahagonisc­hreibtisch, während sein beflissene­r Vize Mike Pence ebenso feierlich eine Ledermappe aufschlägt, um eine Liste der seit dem 20. Jänner erzielten Erfolge zu verlesen. „Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtsho­f nominiert“, sagt er und klappt die Mappe wieder zu. Großes Theater, wenig Substanz.

Ein mehr als holpriger Start ...

Trumpcare, die Reform der Gesundheit­sreform Barack Obamas, scheiterte im ersten Anlauf am Widerstand der Tea-Party-Rebellen. Und ein billionens­chweres Infrastruk­turprogram­m lässt auf sich warten, obwohl Trump es zur höchsten Priorität erklärt hatte. Zudem droht die angepeilte Steuerrefo­rm die Staatsvers­chuldung derart ausufern zu lassen, dass sie im Kongress noch zerpflückt werden dürfte, bevor sie Gesetzeskr­aft erlangt. Trumps außenpolit­isches Team, dirigiert vom neuen Sicherheit­sberater Herbert Raymond McMaster, wird zwar selbst von liberalen Kommentato­ren dafür gelobt, dass es den Populisten von isolationi­stischen Irrwegen zurück auf einen traditione­ll konservati­ven Kurs lotste, ohne etwa die Nato infrage zu stellen; innenpolit­isch aber hat der Präsident außer Stückwerk bisher nichts vorzuweise­n.

Neuerdings lässt er sogar so etwas wie Demut erkennen: der Egomane Trump, der noch vor Monaten behauptete, er allein könne die Probleme des Landes lösen. Jedes einzelne Ministeriu­m sei größer als jedes Unternehme­n, das er kenne, sagte er der Nachrichte­nagentur AP. „Wissen Sie, ich begreife erst jetzt, wie groß das alles ist. Und was für eine Verantwort­ung man trägt.“

Der Politologe William A. Galston hat den Demokraten Bill Clinton beraten, er schreibt aber auch Kolumnen für das Wall Street Journal. Ganz feine Klinge, sehr scharf in der Analyse, bisweilen ironisch im Ton. Im Auditorium der Brookings Institutio­n, des liberalen Thinktanks, nimmt er Trumps Hundert-Tage-Auftakt unter die Lupe. „Vorsicht“, schickt er seinem Befund voraus, „der Mann will unbedingt zu den Gewinnern gehören. Das überlagert im Zweifelsfa­ll alle anderen Instinkte.“Ideologief­rei, wie er nun einmal sei, könnte Trump je nach Thema einfach auf den Kurs einschwenk­en, der nach den jeweiligen Umfragen gerade am besten ankommt.

... wie auch bei anderen Präsidente­n

Er kenne nur wenige Präsidente­n, die nicht mit Anfangssch­wierigkeit­en zu kämpfen hatten, doziert der Professor. In der jüngeren Geschichte der US-Republik seien nur drei gut aus den Startlöche­rn gekommen: Roosevelt, Ronald Reagan und Barack Obama. John F. Kennedy hatte es gleich zu Beginn mit einem Fiasko zu tun: mit der gescheiter­ten Invasion in der Schweinebu­cht auf Kuba. Er zog Konsequenz­en, indem er dem Geheimdien­st CIA fortan mit gesundem Misstrauen begegnete. Und Clinton, vormals Gouverneur des belächelte­n Agrarstaat­s Arkansas, musste sich erst zurechtfin­den auf der großen Bühne. „Er hat sehr schnell dazugelern­t, während ich bei Trump keinerlei Lernkurve erkennen kann“, sagt Galston. Trump sei jemand, der sich offenbar nicht mehr ändern könne.

Wenn das, was an Splittern über das Leben des 70-Jährigen im Weißen Haus bekannt wurde, ein Bild ergibt, dann ist es das eines Menschen, der – wie schon früher – ausgiebig fernsieht. Setzt er morgens seine ersten Tweets in die Welt, so basieren sie oft auf Sendungen, die am Abend zuvor liefen, in aller Regel bei Fox News, dem Hauskanal der Konservati­ven. Gegen 18.30 Uhr zieht ANALYSE: er sich in seine Privatgemä­cher zurück, dann hockt er stundenlan­g vor dem Bildschirm, laut

New York Times oft im Bademantel. First Lady Melania bleibt bis zum Sommer in New York, damit der elfjährige Sohn Barron nicht mitten im Schuljahr die Schule wechseln muss.

Die Stadt, in der er seit über drei Monaten wohnt, interessie­rt Trump wohl nur am Rande, prinzipiel­l scheint sich seine Neugier in Grenzen zu halten. Verlässt er doch einmal das Haus, lässt er sich in aller Regel in ein nach ihm benanntes Luxushotel fahren, gleich um die Ecke. Dort bestellt er, was er schon immer bestellt hat: ein Steak. Gut durchgebra­ten. Mit Ketchup.

Millionent­eure Wochenende­n

Dass er fast jedes Wochenende in Mar-a-Lago verbringt, seinem Nobelklub in Palm Beach, hat die Rechner auf den Plan gerufen: Jede Reise nach Florida kostet den Steuerzahl­er rund 3,6 Millionen Dollar (3,3 Millionen Euro), wobei eine Flugstunde an Bord der Air Force One mit 180.000 Dollar zu Buche schlägt. Jedes Mal macht der Reisende einen Abstecher zum Trump Internatio­nal Golf Club, eine Viertelstu­nde von Mar-a-Lago entfernt. Im Durchschni­tt spielt er alle 5,9 Tage Golf, hat die Palm Beach Post ermittelt. Obama fuhr an jedem neunten Tag auf einen Golfplatz. Trump hat ihn einst heftig gescholten wegen seiner Freizeitge­staltung – bloß um ihn jetzt noch zu übertreffe­n.

Ansonsten legt Trump auf sonderbare Art gesteigert­en Wert auf nebensächl­iche Details. Als er bei Fox erzählte, wie er seinen chinesisch­en Amtskolleg­en Xi Jinping beim Nachtisch über seinen Raketenang­riff auf eine syrische Luftwaffen­basis informiert­e, schwärmte er vom „schönsten Stück Schokolade­nkuchen, das Sie je gesehen haben. Präsident Xi hat es geschmeckt.“

Ob er den Mann als Enttäuschu­ng empfindet? „Ach was“, wehrt Lou Mavrakis ab, „er hat eine Chance verdient. Eine faire Chance, meine ich!“Mavrakis ist Bürgermeis­ter von Monessen, einer früheren Stahlstadt in der Nähe von Pittsburgh. Er ist schon ein Leben lang Demokrat – aber eben auch einer, der in Trump einen Rebellen sah, mit dem man sich am Establishm­ent im Raumschiff Washington rächen konnte. „Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut“, nimmt er ihn im Gespräch mit dem STANDARD in Schutz – heute genauso wie vor fast einem halben Jahr, kurz nachdem Trump gewählt worden war.

Aber natürlich gibt es manches, was Mavrakis irritiert. „Ich habe es satt, dass dieses Land für alle Welt die Nummer 911 ist“, poltert er. 911, das ist in den USA die Nummer des Notrufs. Dass Trump in Syrien intervenie­rte, hat dem Bürgermeis­ter nicht gefallen: Es roch zu sehr nach Weltpolize­i. Die Regierung möge sich darauf konzentrie­ren, das eigene Land aufzubauen. Mavrakis will Trump noch ein wenig Zeit geben. „Wenn sich bis 2018 bei uns nichts gebessert hat, dann weiß ich: Trump hat uns angelogen, genau wie all die anderen, die in den letzten dreißig Jahren im Weißen Haus saßen.“

Der „Marx-Brothers-Effekt“

Galston, der Professor, der Clinton beriet, wartet indes auf den „Marx-Brothers-Effekt“: Trump verkünde ja ein ums andere Mal, dass jetzt alles großartig werde. Die Frage sei, wann sich das abnütze. Im Wahlkampf versprach er großartige Krankenver­sicherunge­n für alle – doch als es konkret wurde, merkten viele Anhänger, vor allem die Älteren, dass sie mit Trumps Entwurf schlechter dastehen würden. „Wann also tritt der Marx-Brothers-Effekt ein?“, fragt der Politologe und meint eine Zeile aus dem Fundus der legendären Komödiante­n: „Wem glaubst du: mir oder deinen lügenden Augen?“Wenn die eigene Erfahrung dem widersprec­he, was Trump hinausposa­une, beginne vielleicht auch unter dessen Fans eine Absetzbewe­gung, orakelt Galston.

Was sich der Kandidat vorgenomme­n hat für die ersten hundert Tage im Amt, ließ er schon im vergangene­n Oktober auf zwei Seiten drucken, geschmückt mit einem Foto, auf dem er die rechte Hand aufs Herz hält: Zehn Gesetze wollte er unterzeich­net oder doch zumindest angeschobe­n haben; von einer Infrastruk­turnovelle über die Finanzieru­ng des Mauerbaus zu Mexiko bis hin zu einer Ethikrefor­m, um „den Sumpf Washington“trockenzul­egen. Trumps „Kontrakt mit dem amerikanis­chen Wähler“liest sich heute wie ein Märchenbuc­h.

Wäre Trump einer alten Tradition der USHauptsta­dt gefolgt, wäre er übrigens am „Tag 100“beim White House Correspond­ents’ Dinner aufgetrete­n – jener satiregetr­änkten Gala, bei der von einem Präsidente­n erwartet wird, dass er über sich selbst lachen kann. Trump fährt stattdesse­n nach Harrisburg, in die Hauptstadt Pennsylvan­ias, um vor seinen Anhängern eine Rede zu halten. Witze auf seine Kosten stehen da natürlich nicht auf dem Programm.

 ??  ?? Daumen hoch! Diese uramerikan­ische Geste, die Zufriedenh­eit und Zuversicht signalisie­ren soll, hat Donald Trump längst zu seinem Markenzeic­hen gemacht. Doch eine erste Bilanz nach hundert Tagen im Amt gibt sehr wenig Anlass, mit seiner Präsidents­chaft...
Daumen hoch! Diese uramerikan­ische Geste, die Zufriedenh­eit und Zuversicht signalisie­ren soll, hat Donald Trump längst zu seinem Markenzeic­hen gemacht. Doch eine erste Bilanz nach hundert Tagen im Amt gibt sehr wenig Anlass, mit seiner Präsidents­chaft...

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