Der Standard

„Wir werden unglaubwür­dig“

Außenminis­ter Sebastian Kurz hofft darauf, dass die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei noch heuer suspendier­t werden. Seit dem Referendum zeichne sich eine Änderung in der Haltung vieler EU-Partner ab.

- Thomas Mayer

INTERVIEW:

STANDARD: Was sagen Sie zum Sturm der Nationalko­nservative­n auf das Parlament in Mazedonien, dem EU-Beitrittsw­erberland? Kurz: Es gibt eine schwierige Situation, wie wir sie auch schon anderswo auf dem Balkan hatten. Ich verurteile alle, die sich an den Gewaltakti­onen in Mazedonien beteiligt haben oder die dazu aufgerufen haben.

STANDARD: Vernachläs­sigt die EU die Themen Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit als Kriterien? Kurz: Rechtsstaa­tlichkeit ist die Basis für alles andere. Gewalt kann niemals gerechtfer­tigt sein.

STANDARD: Sie haben diese Partei im Wahlkampf unterstütz­t. War das ein Fehler? Kurz: Ich habe den Außenminis­ter Nikola Poposki unterstütz­t, den ich sehr schätze und der ein verlässlic­her Partner bei der Schließung der Westbalkan­route war. Er hat die Gewalt auch sofort verurteilt.

STANDARD: Zur Türkei: Es gibt in der EU große Uneinigkei­t, was den Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en betrifft. Wie geht das weiter? Kurz: Das Positive ist, dass es eine klare Bewegung in die richtige Richtung gibt, dass man nämlich nicht weiter nur zusieht, was in der Türkei geschieht, sondern darauf reagiert. Mehr und mehr Mitgliedst­aaten, aber auch mehr und mehr Abgeordnet­e im EU-Parlament sagen, die Union darf nicht wegschauen. Die Türkei bewegt sich immer weiter weg von Menschenre­chten, Rechtsstaa­t und Demokratie. Da braucht es eine Reaktion der EU darauf.

STANDARD: Geht es um Sanktionen? Kurz: Nein, aber wir müssen sagen, dass der Beitritt unter diesen Umständen keine Option ist. Wir brauchen einen Gesprächsk­anal zur Türkei, Kooperatio­n in Bereichen, wo das Sinn macht, aber das kann nur in Form eines Nachbarsch­aftsvertra­ges sein. Wir werden sonst auch unglaubwür­dig in der restlichen Welt.

STANDARD: Luxemburg sieht das wie Sie. Ihr deutscher Kollege Sigmar Gabriel lehnt den Abbruch der Beitrittsg­espräche strikt ab. Kurz: Wenn die Entwicklun­g so weitergeht in der Türkei wie im letzten Halbjahr, wird es leider nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die Union als Ganzes dazu eine klare Haltung hat. Man sollte sich selbstkrit­isch eingestehe­n, dass die Strategie falsch war.

STANDARD: Werden die Gespräche noch heuer suspendier­t? Kurz: Das hoffe ich. Das wäre der einzig richtige Weg. Ich glaube, dass man mit dieser Fiktion des EU-Beitritts niemandem etwas Gutes tut. Ich erinnere daran, dass viele noch im Herbst die Haltung vertreten haben, dass man mit der Türkei weitermach­t wie bisher. Das Ergebnis ist, dass es das Verfassung­sreferendu­m gegeben hat, das OSZE-Wahlbeobac­hter kritisiert­en, und dass Präsident Erdogan Rechtsstaa­t und Demokratie bedroht.

STANDARD: Wie soll sich die Haltung der Partnerlän­der ändern? Kurz: Dieses Treffen war ein weiterer Schritt dazu. Es bewegt sich viel. Ich würde mir wünschen, die Türkei würde sich positiv entwickeln, aber die Dinge sind nun mal so, wie sie sind. Es wird weitere Zuspitzung­en geben. Für manche ist die rote Linie erst mit der Einführung der Todesstraf­e überschrit­ten. Für mich gibt es rote Linien schon viel früher, wenn man etwa Journalist­en einschücht­ert und mundtot macht oder Opposition­elle einsperrt.

SEBASTIAN KURZ (30) Außen- und Integratio­nsminister seit 2013, davor seit 2011 Staatssekr­etär für Integratio­n.

 ?? Foto: APA/BMEIA/Tatic ?? Außenminis­ter Sebastian Kurz plädierte in Malta erneut für ein Ende der EUGespräch­e über den Beitritt der Türkei. Stattdesse­n solle man einen Nachbarsch­aftsvertra­g aushandeln. Die meisten EUStaaten setzen auf Abwarten, wollen prüfen, ob Ankara die...
Foto: APA/BMEIA/Tatic Außenminis­ter Sebastian Kurz plädierte in Malta erneut für ein Ende der EUGespräch­e über den Beitritt der Türkei. Stattdesse­n solle man einen Nachbarsch­aftsvertra­g aushandeln. Die meisten EUStaaten setzen auf Abwarten, wollen prüfen, ob Ankara die...

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