Der Standard

Asselborn: „Beitrittsp­rozess mit der Türkei ist gestorben“

Uneinige EU-Außenminis­ter suchen neue Kooperatio­n

- Thomas Mayer aus Valletta

Die Union tut sich zunehmend schwer, nach dem Verfassung­sreferendu­m zur Stärkung der Macht von Präsident Tayyip Erdogan in der Frage der EU-Beitrittsv­erhandlung­en der Türkei eine einheitlic­he Linie zu halten bzw. einen modifizier­ten Kurs zu entwickeln. Das zeigte sich bei einem informelle­n Treffen der Außenminis­ter am Freitag in Malta überdeutli­ch. Außenbeauf­tragte Federica Mogherini musste die Tagesordnu­ng gleich zu Beginn total umkrempeln, weil offenbar sehr großer Gesprächsb­edarf bestand.

Anstatt wie geplant über bessere EU-interne Entscheidu­ngsabläufe zu reflektier­en, widmeten sich die Minister vom Start weg ganz diesem umstritten­en Thema, nicht zuletzt, weil sich für Nachmittag der türkische Chefdiplom­at Mevlüt Çavusoglu angesagt hatte.

Den Auftakt für Kontrovers­en hatte schon beim Eintreffen der Vertreter aus Luxemburg Jean Asselborn geliefert: „Seit dem Referendum ist die alte Türkei, wie wir sie gekannt haben, die freie Türkei, die prowestlic­he Türkei, die rechtsstaa­tliche Türkei gestorben. Und de facto damit auch der Beitrittsp­rozess“, sagte der sozialdemo­kratische Minister. Konträr dazu sagte unterdesse­n sein deutscher Kollege Sigmar Gabriel: Seine Regierung sei „strikt dagegen, dass wir die Gespräche abbrechen. Das bringt nichts“, erklärte er. Aber man müsse „neue Formen des Gesprächs suchen“, so Gabriel, ohne auf Details einzugehen. Es sei jedenfalls wichtig, mit dem bedeutende­n Nato-Partner Türkei den Kontakt nicht abreißen zu lassen.

Die Aussagen von Gabriel und Asselborn spiegelten offenbar nur die beiden extremen Pole einer internen Debatte wider, die vor allem von einer gewissen Ratlosigke­it geprägt ist, was seitens der EU nun konkret an Schritten erfolgen soll. Der zuständige Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn hatte bereits im Vorfeld erklärt, dass er sich die Entwicklun­g anderer „Optionen“neben der Beitritts- perspektiv­e für die Türkei wünschen würde, etwa in Form des Ausbaus der existieren­den Zollunion. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch der österreich­ische Außenminis­ter Sebastian Kurz, der sich auf einer Linie mit Bundeskanz­ler Christian Kern für ein glattes Ende der „Fiktion des EU-Beitritts der Türkei“ausspricht (siehe Interview).

Mit dem deutschen Außenminis­ter kam es deswegen zu einer Art Fernduell. Gabriel sagte vor Journalist­en, dass Kurz mit seinem Wunsch „weiter allein dastehe“. Und: „Das hat viel mit österreich­ischer Innenpolit­ik zu tun, wenig mit der Türkei“, sagte er. „Aber man muss auch zugeben, die Lage ist auch superkompl­iziert. Niemand glaubt, dass es einfach so weitergehe­n kann.“

Es zeichnet sich ab, dass die EUKommissi­on zunächst einen Bericht erstellen wird, inwieweit die türkische Regierung noch die „Kopenhagen­er Kriterien“eines Beitrittsk­andidaten in Sachen Demokratie erfüllt – was der Europarat bereits infrage stellte. Beim EUGipfel im Juni soll es eine Neuorienti­erungsdeba­tte geben.

Brexit-Sondergipf­el

Bei einem EU-Sondergipf­el am Samstag in Brüssel wollten sich die Staats- und Regierungs­chefs der EU-27 ganz auf die Verabschie­dung der Leitlinien für die Brexit-Verhandlun­gen – den Austritt Großbritan­niens aus der EU 2019 –, auf Einigkeit konzentrie­ren, vom Streit über die Türkei unbelastet. Wie berichtet, bietet die EU den Briten einen sanften Ausstieg an.

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Foto: AFP / Matthew Mirabelli Gabriel: Kurz stehe mit seinem Türkei-Vorschlag „allein“da.
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