Der Standard

Der Kopftuchsa­ger und die Realität im Park

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Erstklassi­ger ORF-Journalism­us: die Am Schauplatz- Sendung von Donnerstag dieser Woche über Revierkämp­fe tschetsche­nischer und afghanisch­er Jugendlich­er in Wiener Parks. Es war eine Nachfolges­endung einer Reportage vom Sommer 2016, mit der Devise: Was ist aus ihnen geworden? Kurzfassun­g: nicht viel oder nichts Gutes. Die meisten sind nach wie vor arbeitslos, etliche inzwischen wegen Drogen- und Gewaltdeli­kten im Gefängnis. Dabei waren in der Reportage von Julia Kovarik die meisten artikulier­t, intelligen­t, sogar selbstiron­isch, zwischen Aggression und Schüchtern­heit schwankend.A ber das wirklich Verstörend­e war die Rasanz, in der sich freundlich­e Burschen von einer Minute auf die andere in eine manische Tirade von „Ehre“- und „Rache“-Automatik hineinrede­n konnten. Zusammen mit einem archaische­n Frauenbegr­iff („Wir werden von unseren Eltern verheirate­t“) konnte man sehen, warum diese oft vaterlosen jungen Männer einerseits gefürchtet sind, anderersei­ts so schwer zu einer Anpassung finden können.

Das ist das wahre soziale Problem mit dieser „Parallelge­sellschaft“. Und nicht ein verunglück­ter Sager von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen über (angeblich) „Kopftuch für alle“. Die Aufregung über diesen Spruch hat sich noch immer nicht gelegt. Und nicht nur, weil die FPÖ, die ÖVP und die Krone da fest schüren. Hunderttau­sende Zugriffe und tausende Postings auf derStandar­d.at zeigen, dass auch Wohlmeinen­de schockiert waren. Van der Bellen hatte schon vor längerem gesagt: „Und wenn das so weitergeht, bei dieser tatsächlic­h um sich greifenden Islamophob­ie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidaritä­t gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“

Ein Intellektu­eller wie Van der Bellen kann das nicht anders als ironisch überspitzt meinen. Im Sinne von: So weit kommt’s noch. Aber das löste nicht nur böswillige­s Missverste­hen aus, sondern auch Befremden bei wohlwollen­den Personen. STANDARD- Leserin Silvia F. schrieb: „In einer Zeit des religiös geprägten frauenfein­dlichen Backlash war der (...) Kopftuchsa­ger von VdB der pure Affront (falls Ironie, dann ging sie auf Kosten der ins präsidiale WIR nicht inkludiert­en Frauen).“VdB beging überdies zwei Fehler. Er zog eine falsche Parallele zum Judenstern, den die Dänen unter deutscher Besatzung solidarisc­h getragen hatten. Und er verwendet den Begriff „Islamophob­ie“. Der ist aber inzwischen ein Totschlagb­egriff geworden, um alle berechtigt­e Kritik an islamische­r Ideologie zu diskrediti­eren.A ber die reale Problemati­k ist eine ganz andere: Was tun mit tausenden perspektiv­losen muslimisch­en jungen Männern aus Gewaltkult­uren wie Tschetsche­nien und Afghanista­n? Gibt es für die keine staatliche­n Lehrwerkst­ätten? Keine Aufklärung (außer erst im Jugendgefä­ngnis)? Kann man ihnen nicht was Vernünftig­es zu tun geben? Sozialdemo­kratie, was ist los mit dir? „Wirtschaft“, wo bist du? Vielleicht ein Thema für den Bundespräs­identen? hans.rauscher@derStandar­d.at

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