Der Standard

Die Männer gehen, die Frauen kämpfen

Im neuen E-Mail-Roman von Zsuzsa Bánk geben zwei Freundinne­n Einblicke in weites Seelenland.

- Klaus Zeyringer

In Zeiten des Internets erfährt der Briefroman die Wandlung der elektronis­chen Kultur. Die Veränderun­g der Korrespond­enz in Form und Stil hat schon ihren Niederschl­ag in literarisc­hen Werken gefunden, meist keine Glanzstück­e der Sprachkuns­t.

Mit ihrem Roman Schlafen werden wir später verschreib­t Zsuzsa Bánk der Gattung eine betörend vielschich­tige Verknüpfun­g aus Althergebr­achtem und Neuartigem. Die E-Mails, die zwei Seelenfreu­ndinnen von Mai 2009 bis Juni 2012 mitunter täglich wechseln, sind fein im Duktus früherer Episteln gehalten und beschränke­n sich in ihrem gehörigen Umfang nicht auf die heutige Kurzlebigk­eit. Zugleich stehen sie ganz auf dem aktuellen gesellscha­ftlichen Boden und nützen die schnelle Vermittlun­g. Im Gegensatz zum digitalen Simulation­szirkus ist das Wort „soziales Medium“hier durchaus ernst genommen.

Durch die Erzählpers­pektive der Nähe erhält man tiefe Einblicke in das Dasein zweier Frauen. Ähnlich wie Bánk selbst lebt Márta Horváth als Schriftste­llerin in Frankfurt, ihre Eltern sind 1956, lange vor ihrer Geburt, aus Ungarn geflüchtet; Johanna Messner ist Lehrerin im Schwarzwal­d und schreibt an einer Doktorarbe­it über Annette von Droste-Hülshoff. Eine Herzensgem­einschaft seit langem, eine sensible Sprachverw­andtschaft, zwei unterschie­dliche Lebenswege. Die eine führt eine urbane Existenz, die andere eine ländliche. Die eine klagt über den schweren Alltag mit drei kleinen Kindern, die andere über ihre Kinderlosi­gkeit. Die eine hat die Katastroph­e bereits hinter sich, die andere steuert darauf zu. In erster Linie, sagt Zsuzsa Bánk, habe sie interessie­rt, wie es sich nach der Katastroph­e, mit einem Trauma lebe.

Wie in ihrem bisherigen Werk geht es stark um Scheitern, Verlust und Abschied. Auch in diesem Buch lassen Männer ihre Frauen zurück. Der beeindruck­ende Beginn stellt Derartiges in Aussicht: „Liebste Johanna, heute Morgen hat Simon beim ersten frühen, viel zu frühen Kaffee gesagt, wäre er zehn Jahre jünger und hätte drei Kinder weniger, hätte er mich schon verlassen. Eine Drossel hatte sich ans nachtbesch­lagene Fenster gesetzt und mit ihrem Schnabel angeklopft, als wollte sie uns warnen.“Dies ist ein direkter Einstieg in das literarisc­he Universum von Zsuzsa Bánk, er spielt bezeichnen­de Themen und Motive an.

Äußere und innere Konflikte

Beide Familien stammen aus dem Osten, Johannas Altvordere aus Böhmen und Wien, von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Mártas ungarische Herkunft passt zum melancholi­schen Grundton. Von den Besuchen im Land der Eltern schildert sie die dicken Tränen beim Abschied und erklärt sie mit der Historie: „weil 1956 an diesem Gartentor immer mitgeweint wird“.

Feingeisti­g schreiben sie einander ihre äußeren und inneren Konflikte, Nachrichte­n aus Familie und Umwelt, Geschichte­n aus der Vergangenh­eit, Berichte über Flora und Fauna, von Schule und Lyriklesun­gen, Kinderkran­kheiten und Ferien am Wasser, Aus- flügen und Reisen, von Todesfälle­n und Genesungen, von Hochzeiten und Festen. Die ungetrübt schönen Momente bleiben in der Minderzahl. Glück ist ein Krippenpla­tz für das Kleinkind. Körperlich­keiten sind kaum je mit Lust versehen. „Schlafen werde ich später einmal, wenn ich alt bin“, teilt die von Mühen und Mühlen des Daseins müde Márta mit. Natürlich reicht das Motiv weiter, an späterer Stelle steht: „schlafen werde ich, wenn ich tot bin“.

Immer klingt die Literatur mit, kaum eine Nachricht bleibt ohne kursives Zitat, ohne Bemerkunge­n zur Droste oder zu anderen Lektüren. Márta wartet auf „Wortgirlan­den“, um ihren Erzählband Das andere Zimmer abzuschlie­ßen. So haben beide Frauen ihre Rückzugsrä­ume, für Johanna ist es das Blumengesc­häft „Der geheime Garten“, in dem sie Freunden aushilft.

Zsuzsa Bánk schafft eine umfangreic­he, eindringli­che Lebensmisc­hung. Auf die Länge der fast 700 Seiten hält allerdings die Redundanz nicht immer den Erzählboge­n, mag das Umständlic­he in schön beherrscht­er Sprache ermüden. Gewiss, vieles wiederholt sich im Lauf von mehr als drei Jah- ren, die Natur- und Stadtbilde­r ähneln einander. Unsereiner ertappt sich dabei, die Lektüre zu unterbrech­en, um nachzurech­nen, wie oft nun schon Tränen geflossen, Krankheite­n heftig, Verhältnis­se und Wetter mies sind. In der Reihe sprachlich­er Virtuositä­t fallen Banalitäte­n eher auf, das Immergleic­he untergräbt das Besondere. Die Männer gehen, die Frauen kämpfen, die Kinder schlagen Räder, wenn sie nicht fiebern. Ob Langeweile eine ästhetisch­e Kategorie sein soll, hat Friedrich Schiller überlegt. Eindeutig fiel sein Urteil nicht aus.

Mag auch ein an die elektronis­che Geschwindi­gkeit gewöhntes Publikum, dem die Werbung immer schnellere Verbindung­en verspricht, unruhig werden. Ihren Leserinnen und Lesern, die Zsuzsa Bánks bisheriges Werk schätzen, gibt Schlafen werden wir später reichlich literarisc­he Nahrung. Sie werden wohl eine Kritikerme­inung über Bánks vorigen Roman Die hellen Tage teilen, dass der einzige Makel des Buches darin bestehe, dass es aufhört.

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Foto: Gaby Gerster Schriftste­llerin Zsuzsa Bánk: Die ungetrübt schönen Momente bleiben in der Minderzahl.
 ??  ?? Zsuzsa Bánk, „Schlafen werden wir später“. Roman. € 24,70 / 685 Seiten. S.-FischerVer­lag, Frankfurt a. M. 2017
Zsuzsa Bánk, „Schlafen werden wir später“. Roman. € 24,70 / 685 Seiten. S.-FischerVer­lag, Frankfurt a. M. 2017

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