Le Pen gegen Macron: Das ist Brutalität
In einer regelrechten Redeschlacht mit ihrem Rivalen Macron hat Präsidentschaftskandidatin Le Pen im TV-Duell ihre bisherige Mäßigung abgelegt. Der Schlagabtausch wirkt wenig erhellend.
Es war einmal eine freundlich lächelnde Kandidatin, die sich betont staatstragend gab und Plakate mit ihrem Konterfei und der Aufschrift „La France apaisée“aufhängen ließ – „das befriedete Frankreich“. Am Mittwochabend endete dieses Märchen. Das TV-Streitgespräch der beiden Präsidentschaftsfinalisten, ein alle fünf Jahre geübtes Ritual der französischen Politik, hatte kaum begonnen, als Marine Le Pen zum Angriff überging. Ihr Gegenüber nannte sie einen „kalten, zynischen Banker“und „Erben Hollandes“.
Und das war nur der Anfang. Macron kusche vor der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, giftete die Präsidentin des Front National; er verschließe gegenüber den Islamisten die Augen und unterhalte ein Offshore-Bankkonto; persönlich sei er ein Lügner, „heuchlerisch“und „arrogant“.
Es stach geradezu ins Auge, dass Le Pen den in den Umfragen führenden Rivalen aus der Reserve locken wollte. Sie schaffte es halbwegs: Der wahlpolitisch unerfahrene Politnovize gab hart zurück, bezeichnete Le Pen als „Erbin der Rechtsextremen“, als „Parasitin“jenes Systems, das sie angreife. Le Pen profitiere vom Elend der armen Wähler, sie wolle einen „Bürgerkrieg nach Frankreich holen“und gebe „Dummheiten“von sich, fügte er an.
Die Regionalzeitung La Charente Libre nannte das zweistündige Duell einen „Faustkampf“, und der Kommentator Christophe Barbier meinte: „Dieses Streitgespräch war nicht auf der Höhe einer Präsidialdebatte.“François Mitterrand, Jacques Chirac oder Nicolas Sarkozy hätten sich zwar in ihren TV-Duellen auch nichts geschenkt, nie aber sei es verbal so gewalttätig zugegangen wie bei Le Pen gegen Macron.
Auf der Strecke blieben Argumente, Fakten und Sachthemen. Pariser Medien zählten in der Debatte 19 verdrehte Tatsachen, wenn nicht Lügen. Die meisten gingen auf das Konto Le Pens, so etwa, wenn sie den früheren Wirtschaftsminister für Entscheide vor seinem Mandatsbeginn verantwortlich machte oder den Ecu als frühere EU-Einheitswährung wie den Euro hinstellte.
Macron Sieger nach Punkten
Auch Macron nahm es mit der Wahrheit nicht immer genau. Aber er wirkte trotzdem seriöser und besser informiert. Das zahlte sich aus: In einer Umfrage bezeichneten ihn 63 Prozent der befragten Franzosen als Sieger des TV-Duells; nur 34 Prozent sprachen den Sieg Le Pen zu.
Das ist für Macron das Wesentliche. Vor dem zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag bleibt er laut Umfragen mit einem Stimmenverhältnis von rund 60:40 vor Le Pen. Dennoch geht auch er nicht als strahlender Sieger aus dem so unpräsidialen Schlagabtausch hervor. Sichtlich bemüht, sich nicht unterkriegen zu lassen, erwies er sich als wenig souverän, auf jeden Fall als unfähig, den Sturmangriff der Gegnerin in Ruhe zu parieren. Dabei hatte schon der Präzedenzfall von 2007 gezeigt, dass selbst eine gewiefte Angreiferin wie Ségolène Royal am Schluss als Verliererin dasteht, wenn sich ihr Gegenüber – damals Nicolas Sarkozy – in Selbstkontrolle zurücknimmt und so eine präsidiale Aura gibt.
Le Pen verfolgte offensichtlich die Strategie des nachmaligen US-Präsidenten Donald Trump, Gegner per aggressiven Dauerbeschuss zu destabilisieren. Damit wollte sie zugleich den Zorn vieler französischer Wähler auf ihre Mühlen lenken. Doch Frankreich ist nicht die USA: In den Pariser TV-Duellen werden die Kandidaten vor allem darauf getestet, ob sie „präsidiabel“sind, also für die hohe Funktion des Staatschefs geeignet. Gefragt sind nicht billige Maulhelden, sondern schlagfertige Rhetoriker. Sie sollen gewiss auch ein bühnenreifes Spektakel bieten, aber nicht mit Boxhandschuhen, eher mit scharfer Zunge und intelligenten Sagern antreten, die zugleich auch Auskunft über das Wahlprogramm bieten.
Macrons und Le Pens Schlagabtausch wirkte keineswegs erhellend, auch nicht in zentralen Fragen wie dem EU-Kurs. Klar wurde in dem Wahlkampf nur, wie tief der Graben zwischen sozialliberalen Proeuropäern und globalisierungskritischen EU-Gegnern ist – und wie die politische Kultur dazwischen aufgerieben wird. Viele verfolgen die Entwicklung konsterniert. Mit 16 Millionen Zuschauern verzeichnete das Duell die niedrigste Quote aller TV-Duelle seit 1974.