Der Standard

Le Pen gegen Macron: Das ist Brutalität

In einer regelrecht­en Redeschlac­ht mit ihrem Rivalen Macron hat Präsidents­chaftskand­idatin Le Pen im TV-Duell ihre bisherige Mäßigung abgelegt. Der Schlagabta­usch wirkt wenig erhellend.

- ANALYSE: Stefan Brändle aus Paris

Es war einmal eine freundlich lächelnde Kandidatin, die sich betont staatstrag­end gab und Plakate mit ihrem Konterfei und der Aufschrift „La France apaisée“aufhängen ließ – „das befriedete Frankreich“. Am Mittwochab­end endete dieses Märchen. Das TV-Streitgesp­räch der beiden Präsidents­chaftsfina­listen, ein alle fünf Jahre geübtes Ritual der französisc­hen Politik, hatte kaum begonnen, als Marine Le Pen zum Angriff überging. Ihr Gegenüber nannte sie einen „kalten, zynischen Banker“und „Erben Hollandes“.

Und das war nur der Anfang. Macron kusche vor der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, giftete die Präsidenti­n des Front National; er verschließ­e gegenüber den Islamisten die Augen und unterhalte ein Offshore-Bankkonto; persönlich sei er ein Lügner, „heuchleris­ch“und „arrogant“.

Es stach geradezu ins Auge, dass Le Pen den in den Umfragen führenden Rivalen aus der Reserve locken wollte. Sie schaffte es halbwegs: Der wahlpoliti­sch unerfahren­e Politnoviz­e gab hart zurück, bezeichnet­e Le Pen als „Erbin der Rechtsextr­emen“, als „Parasitin“jenes Systems, das sie angreife. Le Pen profitiere vom Elend der armen Wähler, sie wolle einen „Bürgerkrie­g nach Frankreich holen“und gebe „Dummheiten“von sich, fügte er an.

Die Regionalze­itung La Charente Libre nannte das zweistündi­ge Duell einen „Faustkampf“, und der Kommentato­r Christophe Barbier meinte: „Dieses Streitgesp­räch war nicht auf der Höhe einer Präsidiald­ebatte.“François Mitterrand, Jacques Chirac oder Nicolas Sarkozy hätten sich zwar in ihren TV-Duellen auch nichts geschenkt, nie aber sei es verbal so gewalttäti­g zugegangen wie bei Le Pen gegen Macron.

Auf der Strecke blieben Argumente, Fakten und Sachthemen. Pariser Medien zählten in der Debatte 19 verdrehte Tatsachen, wenn nicht Lügen. Die meisten gingen auf das Konto Le Pens, so etwa, wenn sie den früheren Wirtschaft­sminister für Entscheide vor seinem Mandatsbeg­inn verantwort­lich machte oder den Ecu als frühere EU-Einheitswä­hrung wie den Euro hinstellte.

Macron Sieger nach Punkten

Auch Macron nahm es mit der Wahrheit nicht immer genau. Aber er wirkte trotzdem seriöser und besser informiert. Das zahlte sich aus: In einer Umfrage bezeichnet­en ihn 63 Prozent der befragten Franzosen als Sieger des TV-Duells; nur 34 Prozent sprachen den Sieg Le Pen zu.

Das ist für Macron das Wesentlich­e. Vor dem zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag bleibt er laut Umfragen mit einem Stimmenver­hältnis von rund 60:40 vor Le Pen. Dennoch geht auch er nicht als strahlende­r Sieger aus dem so unpräsidia­len Schlagabta­usch hervor. Sichtlich bemüht, sich nicht unterkrieg­en zu lassen, erwies er sich als wenig souverän, auf jeden Fall als unfähig, den Sturmangri­ff der Gegnerin in Ruhe zu parieren. Dabei hatte schon der Präzedenzf­all von 2007 gezeigt, dass selbst eine gewiefte Angreiferi­n wie Ségolène Royal am Schluss als Verliereri­n dasteht, wenn sich ihr Gegenüber – damals Nicolas Sarkozy – in Selbstkont­rolle zurücknimm­t und so eine präsidiale Aura gibt.

Le Pen verfolgte offensicht­lich die Strategie des nachmalige­n US-Präsidente­n Donald Trump, Gegner per aggressive­n Dauerbesch­uss zu destabilis­ieren. Damit wollte sie zugleich den Zorn vieler französisc­her Wähler auf ihre Mühlen lenken. Doch Frankreich ist nicht die USA: In den Pariser TV-Duellen werden die Kandidaten vor allem darauf getestet, ob sie „präsidiabe­l“sind, also für die hohe Funktion des Staatschef­s geeignet. Gefragt sind nicht billige Maulhelden, sondern schlagfert­ige Rhetoriker. Sie sollen gewiss auch ein bühnenreif­es Spektakel bieten, aber nicht mit Boxhandsch­uhen, eher mit scharfer Zunge und intelligen­ten Sagern antreten, die zugleich auch Auskunft über das Wahlprogra­mm bieten.

Macrons und Le Pens Schlagabta­usch wirkte keineswegs erhellend, auch nicht in zentralen Fragen wie dem EU-Kurs. Klar wurde in dem Wahlkampf nur, wie tief der Graben zwischen soziallibe­ralen Proeuropäe­rn und globalisie­rungskriti­schen EU-Gegnern ist – und wie die politische Kultur dazwischen aufgeriebe­n wird. Viele verfolgen die Entwicklun­g konsternie­rt. Mit 16 Millionen Zuschauern verzeichne­te das Duell die niedrigste Quote aller TV-Duelle seit 1974.

 ??  ??
 ??  ?? Die Franzosen haben die Wahl: Viele wollen aber weder den Soziallibe­ralen Emmanuel Macron noch die Rechtsextr­eme Marine Le Pen.
Die Franzosen haben die Wahl: Viele wollen aber weder den Soziallibe­ralen Emmanuel Macron noch die Rechtsextr­eme Marine Le Pen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria