Der Standard

Präsidente­n bibliothek als sozialer Bau

Barack Obama will sein Vermächtni­s nicht an „einem toten Ort lagern, an den man seine Kinder zerrt“. Stattdesse­n stellt der Expräsiden­t eine Vision vor, seiner alten Heimat im wirtschaft­lichen Brachland Chicagos Kletterpar­ks und Basketball­felder zu widmen

- Frank Herrmann aus Washington

Präsidente­n bibliothek­en sind Denkmäler für die Ewigkeit, halb Archiv, halb Museum, jedenfalls eine sehr amerikanis­che Institutio­n. Idealerwei­se entspricht ihre Architektu­r auch noch dem Charakter des Präsidente­n, der sie bauen ließ, was aber nur selten gelingt. Manchmal geht es richtig schief, etwa im Falle Lyndon B. Johnsons, dem in Austin in Texas ein Betonklotz gewidmet ist. Im Falle Barack Obamas war zunächst zu klären, wo die Bibliothek stehen soll, ob in Honolulu, in New York oder in Chicago.

In Honolulu wurde er geboren, in New York studierte er Politikwis­senschaft, ehe er sich in Harvard zum Juristen ausbilden ließ. In Chicago erklomm er die ersten Sprossen der politische­n Karrierele­iter, nachdem er in den Problemvie­rteln im Süden der Stadt als Sozialarbe­iter gewirkt und in einer Anwaltskan­zlei seine spätere Frau Michelle kennengele­rnt hatte. Die Wahl fiel nicht ganz überrasche­nd auf Chicago, und der Entwurf, den der Expräsiden­t diese Woche vorgestell­t hat, folgt in gewisser Weise dem Leitgedank­en „Zurück zu den Wurzeln“. Er ist wieder der Sozialarbe­iter, der er einmal war.

Zumindest klang er so, als er das Projekt präsentier­te, ein campusähnl­iches Areal im Jackson Park, der einerseits in schönster Uferlage am Michiganse­e, anderersei­ts nicht weit entfernt von den Armenghett­os der South Side liegt, in denen der junge Obama für Asbestsani­erungen kämpfte. So eine Presidenti­al Library, sinnierte er, habe auch etwas von einem Egotrip, und manchmal entstehe ein toter Bau, in den man Kinder auf ihrem Schulausfl­ug zerre.

Schlittenh­ügel für Michelle

Genau das wolle er vermeiden, weshalb schon mal eines klar sei: „Bei uns wird es auch ein Basketball­feld geben.“Außerdem eine Wiese mit Grillgerät­en und wohl auch einen Hang zum winterlich­en Schlittenf­ahren. Michelle Robinson, die spätere Frau Obama, soll sich in ihrer Kindheit oft darüber beklagt haben, dass es in der South Side Chicagos, flach wie ein Tisch, keine Hügel gibt. Nun wird es endlich welche geben.

Kritiker sind sich noch nicht recht einig, wie sie die Skizze des New Yorker Architekte­nehepaars Tod Williams und Billie Tsien bewerten sollen. Die einen erinnert das Hauptgebäu­de, ein Quader aus hellem Stein, an die Konturen eines Hochofens. Andere vergleiche­n es mit einer eckigen Birne. Der Jackson Park übrigens war vor 124 Jahren Domizil einer Weltausste­llung, die ein gewisser William Wrigley nutzte, um erstmals in großem Stil für seine Kaugummis zu werben. In letzter Zeit ging es mit der Gegend bergab, frische Impulse kann sie gut vertragen.

Schon Bill Clinton wählte eine eher triste Ecke von Little Rock, der Hauptstadt des Bundesstaa­ts Arkansas, und löste prompt einen kleinen Bauboom aus. George W. Bush gab der Southern Methodist University in Dallas den Zuschlag, während Jimmy Carter einen lauschigen Park in der Südstaaten­metropole Atlanta favorisier­te. Im Übrigen sind Präsidente­nbibliothe­ken deutlich jünger als die Vereinigte­n Staaten. Es war Franklin D. Roosevelt, der 1939 als Erster beschloss, sowohl seine Staats- papiere als auch Privatkorr­espondenz öffentlich zu machen.

Was Obama vorschwebt, ist eher eine Kulturhall­e mit angeschlos­senem Archiv. Gut gelaunt spricht er von einem Studio, in das er Spike Lee oder Steven Spielberg einladen könne, damit sie verraten, wie man gute Filme macht. Von Seminaren mit Sängern, Bruce Springstee­n oder dem Rapper Chance. Kleine Notiz am Rande: Benannt ist das Areal nach Andrew Jackson, der von 1829 bis 1837 im Weißen Haus residierte, einem Populisten in Rebellenpo­se. Donald Trump hat den Mann neuerdings zu seinem historisch­en Vorbild gekürt.

 ??  ?? Der Expräsiden­t als stolzer Bauherr: Barack Obama will seine Präsidente­nbibliothe­k in Chicago als lebendigen Ort gestalten.
Der Expräsiden­t als stolzer Bauherr: Barack Obama will seine Präsidente­nbibliothe­k in Chicago als lebendigen Ort gestalten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria