Präsidenten bibliothek als sozialer Bau
Barack Obama will sein Vermächtnis nicht an „einem toten Ort lagern, an den man seine Kinder zerrt“. Stattdessen stellt der Expräsident eine Vision vor, seiner alten Heimat im wirtschaftlichen Brachland Chicagos Kletterparks und Basketballfelder zu widmen
Präsidenten bibliotheken sind Denkmäler für die Ewigkeit, halb Archiv, halb Museum, jedenfalls eine sehr amerikanische Institution. Idealerweise entspricht ihre Architektur auch noch dem Charakter des Präsidenten, der sie bauen ließ, was aber nur selten gelingt. Manchmal geht es richtig schief, etwa im Falle Lyndon B. Johnsons, dem in Austin in Texas ein Betonklotz gewidmet ist. Im Falle Barack Obamas war zunächst zu klären, wo die Bibliothek stehen soll, ob in Honolulu, in New York oder in Chicago.
In Honolulu wurde er geboren, in New York studierte er Politikwissenschaft, ehe er sich in Harvard zum Juristen ausbilden ließ. In Chicago erklomm er die ersten Sprossen der politischen Karriereleiter, nachdem er in den Problemvierteln im Süden der Stadt als Sozialarbeiter gewirkt und in einer Anwaltskanzlei seine spätere Frau Michelle kennengelernt hatte. Die Wahl fiel nicht ganz überraschend auf Chicago, und der Entwurf, den der Expräsident diese Woche vorgestellt hat, folgt in gewisser Weise dem Leitgedanken „Zurück zu den Wurzeln“. Er ist wieder der Sozialarbeiter, der er einmal war.
Zumindest klang er so, als er das Projekt präsentierte, ein campusähnliches Areal im Jackson Park, der einerseits in schönster Uferlage am Michigansee, andererseits nicht weit entfernt von den Armenghettos der South Side liegt, in denen der junge Obama für Asbestsanierungen kämpfte. So eine Presidential Library, sinnierte er, habe auch etwas von einem Egotrip, und manchmal entstehe ein toter Bau, in den man Kinder auf ihrem Schulausflug zerre.
Schlittenhügel für Michelle
Genau das wolle er vermeiden, weshalb schon mal eines klar sei: „Bei uns wird es auch ein Basketballfeld geben.“Außerdem eine Wiese mit Grillgeräten und wohl auch einen Hang zum winterlichen Schlittenfahren. Michelle Robinson, die spätere Frau Obama, soll sich in ihrer Kindheit oft darüber beklagt haben, dass es in der South Side Chicagos, flach wie ein Tisch, keine Hügel gibt. Nun wird es endlich welche geben.
Kritiker sind sich noch nicht recht einig, wie sie die Skizze des New Yorker Architektenehepaars Tod Williams und Billie Tsien bewerten sollen. Die einen erinnert das Hauptgebäude, ein Quader aus hellem Stein, an die Konturen eines Hochofens. Andere vergleichen es mit einer eckigen Birne. Der Jackson Park übrigens war vor 124 Jahren Domizil einer Weltausstellung, die ein gewisser William Wrigley nutzte, um erstmals in großem Stil für seine Kaugummis zu werben. In letzter Zeit ging es mit der Gegend bergab, frische Impulse kann sie gut vertragen.
Schon Bill Clinton wählte eine eher triste Ecke von Little Rock, der Hauptstadt des Bundesstaats Arkansas, und löste prompt einen kleinen Bauboom aus. George W. Bush gab der Southern Methodist University in Dallas den Zuschlag, während Jimmy Carter einen lauschigen Park in der Südstaatenmetropole Atlanta favorisierte. Im Übrigen sind Präsidentenbibliotheken deutlich jünger als die Vereinigten Staaten. Es war Franklin D. Roosevelt, der 1939 als Erster beschloss, sowohl seine Staats- papiere als auch Privatkorrespondenz öffentlich zu machen.
Was Obama vorschwebt, ist eher eine Kulturhalle mit angeschlossenem Archiv. Gut gelaunt spricht er von einem Studio, in das er Spike Lee oder Steven Spielberg einladen könne, damit sie verraten, wie man gute Filme macht. Von Seminaren mit Sängern, Bruce Springsteen oder dem Rapper Chance. Kleine Notiz am Rande: Benannt ist das Areal nach Andrew Jackson, der von 1829 bis 1837 im Weißen Haus residierte, einem Populisten in Rebellenpose. Donald Trump hat den Mann neuerdings zu seinem historischen Vorbild gekürt.