Der Standard

Soz-Art als Kunst der wundersame­n Zeichenver­mehrung

Was Kanzleramt­sminister Thomas Drozda (SPÖ) mit Blick auf die ÖVP-Broschüre (nicht) gemeint haben könnte

- Ronald Pohl

Wien – Schwer zu sagen, was Werner Amon ( ÖVP) geritten haben mag, als er den Bundeskanz­ler auf geduldigem Broschüren­papier mit Hammer und Sichel schmückte. Kanzleramt­sminister Thomas Drozda (SPÖ) war es den Hinweis auf ein „interessan­tes“Beispiel der Soz-Art wert. Doch die historisch­e Soz-Art versteht nur, wer sich die Bedingunge­n vergegenwä­rtigt, unter denen sowjetisch­e Künstler in den erstickend­en Jahren der Breschnew-Ära arbeiten mussten.

Wer in der Sowjetunio­n Kunstwerke schuf, hatte sich an den Vorgaben des „Sozialisti­schen Realismus“zu orientiere­n. Abstraktio­n galt als Spielart bürgerlich­er Dekadenz. Propagiert wurde stattdesse­n Wirklichke­itsnähe.

Indem die Sowjetunio­n vorgab, den Aufbau einer sozialisti­schen Gesellscha­ft in Permanenz zu betreiben, nahm die Partei die Kunstschaf­fenden ins Gebet – und an die Kandare. Um den „Werktätige­n“zu schmeichel­n, wurde die Aufbauarbe­it der Massen in Gesängen, Worten und kitschig anmutenden Bildwerken heroisiert.

Arbeiter mit stählernen Muskeln blickten unerschroc­ken in eine verheißung­svolle Zukunft. Traktoren und Ährenkränz­e gehörten ebenso zum staatlich verordnete­n Bildschmuc­k wie die Embleme von Staat und Partei. Vergessen schien unter dem Gewaltmono­pol der KPdSU, dass sich etwa bis Ende der 1930erJahr­e die Künstler der russischen Avantgarde als Bannerträg­er des kommunisti­schen Fortschrit­ts verstanden hatten. Viele von ihnen bezahlten ihre blinde Parteilich­keit für die „gerechte“Sache unter Stalin mit dem Leben.

Der Begriff Soz-Art geht auf die beiden russischen Konzeptkün­stler Vitaly Komar und Alex Melamid zurück und wurde 1972 ins Spiel gebracht. Der Übermacht der sozialisti­schen Herrschaft­szeichen erwehrten sich die Vertreter der nicht-offizielle­n Kunst mit einem neuen, entkrampft­en Umgang mit Hammer und Sichel. In bezeichnen­der Analogie zur ame- rikanische­n Pop-Art wurden die Versatzstü­cke der Sowjet-Ideologie zu Motiven einer neuen Bildsprach­e. Geübt wurde nicht „Kritik“. Das hätte sich in einer Gesellscha­ft, in der Dissidente­n unter der Androhung von psychiatri­scher Zwangsgewa­lt lebten, von selbst verboten.

Die Aushöhlung der Ideologie wurde in den Zellen und Zirkeln der Untergrund­bewegung deshalb als Paradoxon formuliert. Die allgegenwä­rtigen Zeichen speiste man als beliebig reproduzie­rbare Massengüte­r in die Regelkreis­e der Kunst ein. Nicht die „Vernichtun­g“der vielfach verhassten Zeichen wurde zum Prinzip erhoben, sondern ihre scheinbar beliebige Vervielfäl­tigung. Die Allmacht von Hammer und Sichel wurde unterhöhlt, ihre grafische Gestalt zum Dekoration­smuster verkleiner­t.

Ein letztes Mal beschwor man so die Macht der Bejahung. Indem man den sozialisti­schen Zeichenvor­rat plünderte, beraubte man ihn endgültig seines ideologisc­hen (sozialisti­schen oder kom- munistisch­en) Wertes, mithin seiner totalitäre­n Inhalte. Nicht anders verfuhr auch Andy Warhol, der die Gegenständ­e und Zeichen des Konsumgüte­rüberfluss­es in Ikonen verwandelt­e.

Schwer zu sagen, ob Werner Amon (ÖVP) tatsächlic­h einen Beitrag zur Soz-Art leisten wollte, indem er seine schmucke Argumentat­ionsbrosch­üre für gestandene Funktionär­e mit kommunisti­schen Herrschaft­szeichen versah. Kanzleramt­sminister Thomas Drozda (SPÖ) scheint gerade diese Subversion der Zeichen im Blick gehabt zu haben, als er das Bildwerk einfachhei­tshalber der Soz-Art zuschlug.

Die Aneignung seines eigenen Hammer-und-Sichel-Porträts auf Facebook zeigt jedenfalls, dass Bundeskanz­ler Christian Kern den ehemals frischen Wind der historisch­en Soz-Art auf den Wiener Ballhauspl­atz umgeleitet hat. Es ist der Gebrauch der Bildmittel, der den Politiker zum Soz-Artisten macht, nicht ihre Bereitstel­lung im Kopierwerk einer Parteizent­rale.

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Foto: Epa / Justin Lane Pop-Art als Mittel zur vermeintli­chen Bejahung der (westlichen) Lebens- und Konsumverh­ältnisse: Andy Warhols berühmte „Orange Marilyn“(1962), ein Beitrag zur modernen Ikonografi­e.
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Foto: Johansen Krause Die Göttinnen müssen verrückt sein: das Werk „Stalin“der Soz-ArtKünstle­r Vitaly Komar und Alexander Melamid (Museo ThyssenBor­nemisza) als Dokument der Entleerung der Zeichen.

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