Die Rückkehr von der Rückkehr
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschlechtert. Seit dem ersten Sammelabschiebeflug von Wien nach Kabul herrscht Aufregung unter afghanischen Asylwerbern in Österreich. Einige Abgeschobene befinden sich wieder auf der Flucht.
REPORTAGE: Baden – Von dem Bild auf dem Ausweis blicken müde Augen, darüber schwarze Augenbrauen, die sich fast in der Mitte treffen, und dazwischen eine Nase, die von den Taliban zertrümmert wurde. Es zeigt Hanife (27) aus Afghanistan, gezeichnet von den Strapazen einer Flucht, die sie gemeinsam mit ihrem Mann und den drei kleinen Söhnen vor eineinhalb Jahren angetreten hatte.
Mit der Frau am Bild hat Hanife heute wenig gemeinsam. Inzwischen strahlt sie unaufhörlich: Erst vor wenigen Tagen hat die Familie erfahren, dass sie in Österreich bleiben darf.
Derzeit lebt sie mit rund 200 anderen Flüchtlingen im Kurt-Weiland-Haus der Diakonie in Baden. Für ihre Mitbewohner ist die Angst vor der Abschiebung allgegenwärtig. Bisher sei die Polizei immer im Morgengrauen gekommen, erzählt Sozialarbeiterin Susanna Fieglmüller. Je nachdem, ob Kinder dabei sind, sei die Polizei beim Kofferpacken entgegenkommender – oder nicht. „Was dann passiert, das wissen wir nicht“, sagt Fieglmüller. Einige Burschen im Heim haben bereits einen negativen Bescheid bekommen.
Lähmendes Warten
Welches Leben sie in Afghanistan erwarten würde? Diese Frage quält die jungen Afghanen seit der Abschiebung von 19 Afghanen Ende März noch stärker. „Um zu überleben, müsste man sich einer terroristischen Gruppe anschließen, man müsste Menschen töten“, sagt Mirwais, 19 Jahre alt. Eigentlich würde er gerne sein Deutsch verbessern, doch zum Lernen fehle ihm die Kraft. Immer wieder kreist in seinem Kopf die Frage, wie es mit ihm weitergehen soll. Das Warten führe zu psychischen Problemen, seine Chancen auf Asyl sind gering.
Insgesamt wurde nur einem Viertel der asylsuchenden Afghanen ein positiver Bescheid ausgestellt. Zum Vergleich: Syrer erhalten in knapp 90 Prozent der Fälle Asyl.
Für die Menschen, die Ende März gegen die durchgeführte Sammelabschiebung von Wien nach Afghanistan demonstrierten, ist das schwer nachvollziehbar. „Abschiebung ist Mord“, skandierten sie vor dem Wiener Anhaltezentrum in der Nacht, in der der Charterflug gen Kabul abhob.
Laut UN-Bericht von März 2017 hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan tatsächlich deutlich verschärft. Im vergangenen Jahr starben 3498 Zivilisten, insgesamt gab es 23.712 sicherheitsrelevante Zwischenfälle – die höchste Zahl seit 2009. Im ersten Quartal 2017 sind bereits vier Prozent mehr zivile Opfer als im Vorjahr dokumentiert.
Rücknahmeabkommen
Anfang des Jahres kontrollierte die Regierung in Kabul nur noch 57 Prozent der 407 Distrikte Afghanistans, wie aus einem Bericht der US-Regierung an den Kongress hervorgeht. Ende 2015 hatte Präsident Ghani noch die Oberhoheit über ein 15 Prozent größeres Territorium.
Dass Abschiebungen nun trotzdem vermehrt stattfinden, hängt mit dem Rücknahmeabkommen zusammen, das seit Oktober zwischen der EU und Afghanistan besteht und Sammelabschiebungen nach Kabul erlaubt. Gegen Entwicklungshilfe in Millionenhöhe stellt die afghanische Botschaft Rücknahmezertifikate aus.
Ein Gutachten des Sachverständigen Karl Mahringer dient einigen Gerichten als Grundlage bei der Frage, ob Asyl gewährt werden soll oder nicht. Laut Mahringer ist es Rückkehrern zumutbar, eine Wohnung und einen Job in einer der drei größten Städte Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif zu finden, was männlichen Einzelpersonen erlaube, der Gefahr in ihrer Heimatregion zu entgehen.
Unverständlich für den Heimbewohner Reza. Der 19-Jährige hat dunkle Schatten unter den Augen und wirkt zerbrechlich, er hat einen negativen Bescheid vorliegen. „Überall gibt es Bomben, man weiß nicht, ob man den Tag überlebt“, sagt Reza über die Situation in seiner Heimat.
1000 Euro für Rückkehrer
Vor seiner Flucht nach Österreich hat Reza als Papierloser im Iran gelebt. Dort schikaniere man Afghanen und drohe ihnen mit dem Rauswurf, wenn sie nicht als Söldner in den syrischen Krieg ziehen. Nichts wünscht er sich sehnlicher als österreichische Papiere.
Rund 400 negative Bescheide in letzter Instanz liegen derzeit im Innenministerium auf. Einige der Personen, so hofft man im Ministerium, werden eine freiwillige Rückkehr bevorzugen – dafür beteiligt sich das Innenressort an einer EU-weiten Kampagne.
Wenn man die österreichische Kampagnenseite öffnet, poppt ein Fenster auf, das an unseriöse Gewinnbenachrichtigungen erinnert: „1000 Euro für die ersten 1000 Personen“, heißt es dort. Wer sich bereit erklärt, bekommt neben der finanziellen Starthilfe auch eine Beratung und den Flug. 2016 haben 597 Afghanen die freiwillige Rückkehr angetreten.
Einige Heimkehrer planen allerdings bereits wieder ihre Flucht nach Europa. Aus dem Fazit des Mahringer-Gutachtens geht hervor: Allein vier der sechs Befragten denken darüber nach. Von den im März aus Wien abgeschobenen Afghanen befinden sich bereits mindestens drei wieder auf dem Weg, berichten ihre österreichischen Freunde. Mit einem hatte der STANDARD Kontakt: Qadir sitzt derweil im Iran fest, kann dort aber nicht bleiben, geschätzte eine Million afghanische Flüchtlinge teilen sein Schicksal als Illegale im Iran, weshalb Qadir so bald wie möglich weiterziehen will. pReportage mit Video auf
derStandard.at/Panorama