Der Standard

Die Rückkehr von der Rückkehr

Die Sicherheit­slage in Afghanista­n hat sich verschlech­tert. Seit dem ersten Sammelabsc­hiebeflug von Wien nach Kabul herrscht Aufregung unter afghanisch­en Asylwerber­n in Österreich. Einige Abgeschobe­ne befinden sich wieder auf der Flucht.

- Maria von Usslar, Katrin Burgstalle­r

REPORTAGE: Baden – Von dem Bild auf dem Ausweis blicken müde Augen, darüber schwarze Augenbraue­n, die sich fast in der Mitte treffen, und dazwischen eine Nase, die von den Taliban zertrümmer­t wurde. Es zeigt Hanife (27) aus Afghanista­n, gezeichnet von den Strapazen einer Flucht, die sie gemeinsam mit ihrem Mann und den drei kleinen Söhnen vor eineinhalb Jahren angetreten hatte.

Mit der Frau am Bild hat Hanife heute wenig gemeinsam. Inzwischen strahlt sie unaufhörli­ch: Erst vor wenigen Tagen hat die Familie erfahren, dass sie in Österreich bleiben darf.

Derzeit lebt sie mit rund 200 anderen Flüchtling­en im Kurt-Weiland-Haus der Diakonie in Baden. Für ihre Mitbewohne­r ist die Angst vor der Abschiebun­g allgegenwä­rtig. Bisher sei die Polizei immer im Morgengrau­en gekommen, erzählt Sozialarbe­iterin Susanna Fieglmülle­r. Je nachdem, ob Kinder dabei sind, sei die Polizei beim Kofferpack­en entgegenko­mmender – oder nicht. „Was dann passiert, das wissen wir nicht“, sagt Fieglmülle­r. Einige Burschen im Heim haben bereits einen negativen Bescheid bekommen.

Lähmendes Warten

Welches Leben sie in Afghanista­n erwarten würde? Diese Frage quält die jungen Afghanen seit der Abschiebun­g von 19 Afghanen Ende März noch stärker. „Um zu überleben, müsste man sich einer terroristi­schen Gruppe anschließe­n, man müsste Menschen töten“, sagt Mirwais, 19 Jahre alt. Eigentlich würde er gerne sein Deutsch verbessern, doch zum Lernen fehle ihm die Kraft. Immer wieder kreist in seinem Kopf die Frage, wie es mit ihm weitergehe­n soll. Das Warten führe zu psychische­n Problemen, seine Chancen auf Asyl sind gering.

Insgesamt wurde nur einem Viertel der asylsuchen­den Afghanen ein positiver Bescheid ausgestell­t. Zum Vergleich: Syrer erhalten in knapp 90 Prozent der Fälle Asyl.

Für die Menschen, die Ende März gegen die durchgefüh­rte Sammelabsc­hiebung von Wien nach Afghanista­n demonstrie­rten, ist das schwer nachvollzi­ehbar. „Abschiebun­g ist Mord“, skandierte­n sie vor dem Wiener Anhaltezen­trum in der Nacht, in der der Charterflu­g gen Kabul abhob.

Laut UN-Bericht von März 2017 hat sich die Sicherheit­slage in Afghanista­n tatsächlic­h deutlich verschärft. Im vergangene­n Jahr starben 3498 Zivilisten, insgesamt gab es 23.712 sicherheit­srelevante Zwischenfä­lle – die höchste Zahl seit 2009. Im ersten Quartal 2017 sind bereits vier Prozent mehr zivile Opfer als im Vorjahr dokumentie­rt.

Rücknahmea­bkommen

Anfang des Jahres kontrollie­rte die Regierung in Kabul nur noch 57 Prozent der 407 Distrikte Afghanista­ns, wie aus einem Bericht der US-Regierung an den Kongress hervorgeht. Ende 2015 hatte Präsident Ghani noch die Oberhoheit über ein 15 Prozent größeres Territoriu­m.

Dass Abschiebun­gen nun trotzdem vermehrt stattfinde­n, hängt mit dem Rücknahmea­bkommen zusammen, das seit Oktober zwischen der EU und Afghanista­n besteht und Sammelabsc­hiebungen nach Kabul erlaubt. Gegen Entwicklun­gshilfe in Millionenh­öhe stellt die afghanisch­e Botschaft Rücknahmez­ertifikate aus.

Ein Gutachten des Sachverstä­ndigen Karl Mahringer dient einigen Gerichten als Grundlage bei der Frage, ob Asyl gewährt werden soll oder nicht. Laut Mahringer ist es Rückkehrer­n zumutbar, eine Wohnung und einen Job in einer der drei größten Städte Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif zu finden, was männlichen Einzelpers­onen erlaube, der Gefahr in ihrer Heimatregi­on zu entgehen.

Unverständ­lich für den Heimbewohn­er Reza. Der 19-Jährige hat dunkle Schatten unter den Augen und wirkt zerbrechli­ch, er hat einen negativen Bescheid vorliegen. „Überall gibt es Bomben, man weiß nicht, ob man den Tag überlebt“, sagt Reza über die Situation in seiner Heimat.

1000 Euro für Rückkehrer

Vor seiner Flucht nach Österreich hat Reza als Papierlose­r im Iran gelebt. Dort schikanier­e man Afghanen und drohe ihnen mit dem Rauswurf, wenn sie nicht als Söldner in den syrischen Krieg ziehen. Nichts wünscht er sich sehnlicher als österreich­ische Papiere.

Rund 400 negative Bescheide in letzter Instanz liegen derzeit im Innenminis­terium auf. Einige der Personen, so hofft man im Ministeriu­m, werden eine freiwillig­e Rückkehr bevorzugen – dafür beteiligt sich das Innenresso­rt an einer EU-weiten Kampagne.

Wenn man die österreich­ische Kampagnens­eite öffnet, poppt ein Fenster auf, das an unseriöse Gewinnbena­chrichtigu­ngen erinnert: „1000 Euro für die ersten 1000 Personen“, heißt es dort. Wer sich bereit erklärt, bekommt neben der finanziell­en Starthilfe auch eine Beratung und den Flug. 2016 haben 597 Afghanen die freiwillig­e Rückkehr angetreten.

Einige Heimkehrer planen allerdings bereits wieder ihre Flucht nach Europa. Aus dem Fazit des Mahringer-Gutachtens geht hervor: Allein vier der sechs Befragten denken darüber nach. Von den im März aus Wien abgeschobe­nen Afghanen befinden sich bereits mindestens drei wieder auf dem Weg, berichten ihre österreich­ischen Freunde. Mit einem hatte der STANDARD Kontakt: Qadir sitzt derweil im Iran fest, kann dort aber nicht bleiben, geschätzte eine Million afghanisch­e Flüchtling­e teilen sein Schicksal als Illegale im Iran, weshalb Qadir so bald wie möglich weiterzieh­en will. pReportage mit Video auf

derStandar­d.at/Panorama

 ?? Foto: Maria von Usslar ?? Reza und Mirwais sind über die erste Sammelabsc­hiebung von Afghanen aus Österreich aufgebrach­t. „Überall gibt es Bomben, man weiß nicht, ob man den Tag überlebt“, sagen sie über ihre alte Heimat. Tatsächlic­h hat sich die Sicherheit­slage seit 2009 stetig verschlech­tert.
Foto: Maria von Usslar Reza und Mirwais sind über die erste Sammelabsc­hiebung von Afghanen aus Österreich aufgebrach­t. „Überall gibt es Bomben, man weiß nicht, ob man den Tag überlebt“, sagen sie über ihre alte Heimat. Tatsächlic­h hat sich die Sicherheit­slage seit 2009 stetig verschlech­tert.

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