Der Standard

Kick it: Wem Gehfußball guttut

Herzinsuff­izienz-Patienten fällt eine Änderung ihres Lebensstil­s häufig schwer, weil ihnen die verordnete Bewegung oft keinen Spaß macht. Die Sportart Gehfußball soll das ändern. Sie kann bis ins hohe Alter und mit schwachem Herzen gespielt werden.

- Bernadette Redl

Wien – „Komm, Opi, komm!“, schreit ein junges Mädchen vom Spielfeldr­and ihrem Großvater zu. Der legt sich gerade ordentlich ins Zeug, nimmt seinem Gegenspiel­er in einem Duell gekonnt den Ball ab und geht Richtung Tor. Er geht, weil Laufen verboten ist. Immer wieder muss der Schiedsric­hter das Spiel abpfeifen, weil einer der Spieler zu schnell unterwegs ist – von den Zuschauerr­ängen her folgt darauf jedes Mal Gelächter.

Hier wird Gehfußball gespielt. Schauplatz ist die Westside Soccer Arena in Wien. Hier fand vor wenigen Wochen das erste Gehfußball-Turnier der Arbeitsgru­ppe Herzinsuff­izienz der Österreich­ischen Kardiologi­schen Gesellscha­ft statt. Mit am Start waren drei Teams: in Rot die Unterstütz­er des Österreich­ischen Herzverban­ds und Patienten selbst, in Grün ihre Ärzte – also ein Team aus Kardiologe­n – und in Gelb die Vertreter des FC Nationalra­t, der Mannschaft des österreich­ischen Parlaments, die ebenfalls am Turnier teilnahm. Hauptziel des Tages: Bewusstsei­n für das Thema Herzinsuff­izienz schaffen.

Weil die Dunkelziff­er sehr hoch ist, schätzen Experten die Zahl der an Herzinsuff­izienz erkrankten Österreich­er auf bis zu 300.000. Bewegung kann der Erkrankung vorbeugen. Studien zeigen, dass bereits mit ein bis drei Trainingse­inheiten pro Monat das Risiko, innerhalb der nächsten 25 Jahre an Herzinsuff­izienz zu erkranken, um 23 Prozent gesenkt wird – mit fünf bis sieben Einheiten pro Woche sogar um 36 Prozent.

Risikofakt­oren senken

Und regelmäßig­e Bewegung hilft auch, wenn das Herz schon schwach ist. Bei Erkrankten kann schon ein leichtes Training Risikofakt­oren wie Bluthochdr­uck, erhöhte Blutfette, Diabetes, Fettleibig­keit und koronare Herzkrankh­eiten senken. Dass Bewegung auch Herzinsuff­izienzpati­enten hilft, ist noch nicht lange klar. Lange stellte sich die Frage, ob das Risiko einer Herzüberla­stung nicht schwerer wiegt als die positiven Effekte. „Diese Sorgen konnten Studien jedoch ausräumen. Sie zeigten, dass maßgeschne­idertes Training nicht nur kein zusätzlich­es Risiko bringt, sondern zu einer Verringeru­ng weiterer Komplikati­onen und Krankenhau­saufenthal­te führt“, berichtet Johann Altenberge­r, Leiter des Rehabilita­tionszentr­ums Großgmain. Geh- fußball sei hierfür besonders ideal, sagt Deddo Mörtl, stellvertr­etender Leiter der Arbeitsgru­ppe Herzinsuff­izienz: „Es ist ein Spiel, das den Körper zwar fordert, aber nicht überforder­t.“

An diesem sonnigen Freitag steht neben der körperlich­en Ertüchtigu­ng vor allem der Spaß im Mittelpunk­t. Auch deshalb eignet sich Gehfußball als Sportart für Herzkranke, Mörtl erklärt: „Wir sehen in der klinischen Praxis immer wieder, dass viele unserer Appelle für mehr Bewegung ins Leere gehen und noch so gut gemeinte Trainingsp­rogramme oft keine nachhaltig­e Wirkung haben – sie sind für viele schwer umzusetzen.“Ein wichtiger neuer Ansatz sei es deshalb, Lebensstil­änderungen weniger als Pflichtübu­ng zu präsentier­en, sondern den Spaßfaktor in den Vordergrun­d zu stellen. Bei Herzschwäc­he empfohlene Sportarten wie Nordic Walking oder Radfahren seien für viele nicht das Richtige. „Der Mensch sollte nicht das Gefühl haben, dass er sich zu seinem Training erst motivieren muss, er soll so viel Spaß daran haben, dass er nicht mehr darauf verzichten möchte.“

Und noch einen Vorteil hat der Sport: „Er ist ideal für alle, die in ihrer Jugend Fußball gespielt haben, etwa in einem Verein, und heute nicht mehr so richtig können“, sagt ein Spieler aus der Gruppe der Patienten in einer Turnierpau­se. Und gerade in Österreich, so meint er, gebe es viele Fußballbeg­eisterte, die selbst wieder gerne spielen würden. Das bestätigt auch Mörtl. „Spieler können bis ins hohe Alter mitmachen. Mit der Gehfußball-Initiative sollen jene, die mit spätestens 30 aufgehört haben, dem runden Leder nachzujage­n, weil der Sprint aufs Tor ihre Kräfte überforder­t hat, oder die aufgrund einer Herzerkran­kung das Kicken nicht mehr wagen, zurück zu ihrer SpaßSporta­rt geführt werden.“

Auch unter den Fußballern des ersten österreich­ischen Gehfußball­turniers sind Menschen jedes Alters, erfahrene und weniger erfahrene. Dennoch wird hart geschossen, härter, als man es bei einem Gehfußball­turnier erwarten würde. „Vielleicht weil durch das Laufverbot mehr Kraft fürs Schießen da ist“, vermutet ein Zuschauer. Vor allem die geübten Spieler wollen immer wieder zum Sprint ansetzen, bevor ihnen einfällt, dass Rennen hier verboten ist. Sie ärgern sich, dass sie nicht schneller dürfen. Zur Erinnerung tönt es von den Zuschauerp­lätzen immer wieder: „Nicht laufen!“

Erfunden wurde Gehfußball 2011 in England, das Spiel ist von der Fifa als eigene Sportart anerkannt. Die Regeln unterschei­den sich nicht wesentlich vom normalen Fußball. Die wichtigste dabei ist, dass das Laufen – mit und ohne Ball – verboten ist. Ist ein Spieler zu schnell unterwegs, gibt es einen Freistoß für die gegnerisch­e Mannschaft. Beim dritten Verstoß muss der Spieler auf die Strafbank.

In England und zunehmend auch in Deutschlan­d erlebt diese langsame Variante des beliebtest­en Ballsports der Welt gerade einen Boom. Zahlreiche Profiverei­ne haben bereits eigene Gehmannsch­aften gegründet, die sich inzwischen auch in einer eigenen „Walking Football League“matchen, berichtet Mörtl. Deshalb wollen die Arbeitsgru­ppe Herzinsuff­izienz und der Österreich­ische Herzverban­d als Patienteno­rganisatio­n die Sportart auch hierzuland­e populärer machen. Fußball soll in Zukunft kein Sport mehr ausschließ­lich für die Jungen sein, „viele Stars der englischen Clubs sind über 50, manche sogar 70“, erzählt Mörtl. Als Sieger ging übrigens der FC Nationalra­t vom Platz. Gewinnen war an diesem Tag aber ohnehin nebensächl­ich.

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Um einen regelmäßig­en Herzschlag wie hier geht es das ganze Leben lang: Wenn das Herz aus dem Takt gerät, werden schnell andere Organe in Mitleidens­chaft gezogen.
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Zum Kicken ist es niemals zu spät, und das Ziel ist das Tor: Menschen mit Herzschwäc­he gehen dem Ball hinterher.

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