Der Standard

„Atemnot, geschwolle­ne Beine, Leistungsk­nick“

Herzinsuff­izienz ist eine facettenre­iche Erkrankung. Der Kardiologe Martin Hülsmann sieht den schwächer werdenden Herzmuskel als Ursache vieler Probleme und plädiert für Zusammenar­beit.

- Karin Pollack

INTERVIEW:

STANDARD: In den letzten Jahren hat die Zahl der Patienten mit Herzinsuff­izienz zugenommen. Warum? Hülsmann: Herzinsuff­izienz ist eine Erkrankung, die ältere Personen trifft. Die Menschen werden immer älter. Darin liegt eine Erklärung, allerdings gibt es für Österreich keine verlässlic­hen Zahlen, wir haben nur EU-Registerda­ten. Durchschni­ttlich sind drei Prozent der Bevölkerun­g von Herzinsuff­izienz betroffen, ein Prozent hat Symptome.

STANDARD: Welche? Hülsmann: Atemnot, geschwolle­ne Beine und einen spürbaren Leistungsk­nick. Viele tun das als Altersersc­heinung ab.

STANDARD: Herzinsuff­izienz kann aber auch die Folge eines Herzinfark­ts sein, oder? Hülsmann: Wir haben bei Herzinfark­ten in den letzten Jahren extrem viel erreicht. Dank Herzkathet­er und guten Versorgung­smanagemen­ts überleben wesentlich mehr Menschen. Dennoch hinterlass­en diese Ereignisse Spuren.

STANDARD: Inwiefern? Hülsmann: Narben am Herzmuskel. Dieses geschädigt­e Gewebe kann eine ungünstige Dynamik auslösen. Etwa, wenn das Herz versucht, den Schaden zu kompensier­en, und sich damit der Herzmuskel verändert. Eine chronische Herzinsuff­izienz entsteht.

STANDARD: Lässt sich diese Herzschädi­gung aufhalten? Hülsmann: Ja, mit Medikament­en wie ACE-Hemmern oder Betablocke­rn, die entgegenst­euern und insofern als Prävention gegen die Herzinsuff­izienz zu betrachten sind. Man verhindert eine Progressio­n der Erkrankung. Je tachykarde­r (Fachbegrif­f für gesteigert­e Herzfreque­nz, Anm.) ein Patient ist, umso stärker wird das Herz geschädigt. Sollten die Symptome bei einer manifesten Herzinsuff­izienz trotz Medikament­en nicht besser werden, sind Mineraloko­rtikoid-Antagonist­en und Angiotensi­n-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitore­n eine weitere Option.

STANDARD: Wo wird die beste Versorgung gewährleis­tet? Hülsmann: Bei Herzinsuff­izienz gibt es etablierte Leitlinien, insofern sind Patienten bei Allgemeinm­edizinern, die die Therapie kennen, gut aufgehoben. Empfehlens­wert sind regelmäßig­e Checks bei niedergela­ssenen Kardiologe­n, die EKGs durchführe­n, den sogenannte­n BNP- bzw. NT-proBNPWert (B-Typ Natriureti­sches Peptid oder Brain-Natriureti­c-Peptide, Anm.) im Blut messen. Über diese Hormone lässt sich ermitteln, wie die Organe im Körper, also Lunge, Leber und Nieren, durch den Herzmuskel versorgt werden. Patienten selbst sollten regelmäßig Puls messen. Ein Ruhepuls von mehr als 75 Schlägen ist ein Grund, den Arzt aufzusuche­n. Zu uns in die Ambulanz sollten nur jene Patienten mit Komplikati­onen und einem erhöhten NTproBNP von über 1500 Pikogramm/Milliliter kommen.

Standard: Was sind aus Ihrer Sicht schwere Fälle? Hülsmann: Patienten mit Herzinsuff­izienz leiden oft an anderen Erkrankung­en. Diabetes, Herzinsuff­izienz und Nierenprob­leme gehen oft miteinande­r einher. Vie- le sind depressiv. Diese sogenannte­n Komorbidit­äten sind insofern ein Problem, als Betroffene oft nicht mehr wissen, wohin sie sich wenden sollen. Für sie gibt es die Herzinsuff­izienzambu­lanz. Wir arbeiten eng mit Hepatologe­n, Endokrinol­ogen, Nierenspez­ialisten und Chirurgen zusammen, um einen optimalen Weg zu finden.

Standard: Wo hapert’s? Hülsmann: Wir sind dabei, Disease-Management-Programme einzuführe­n. Die größte Herausford­erung sind die Schnittste­llen, also die Übernahme von Patienten aus dem stationäre­n in den ambulanten Bereich – oder umgekehrt.

Standard: Was passiert bei einer suboptimal­en Versorgung? Hülsmann: Wenn es das Herz nicht mehr schafft, die Organe ausreichen­d mit Blut zu versorgen, nehmen sie Schaden. Wasser staut sich, das führt zur Atemnot. Viele Herzinsuff­izienzpati­enten kommen kurz vor einem Nierenvers­agen, weil man die eingeschrä­nkte Nierenfunk­tion oft nicht bemerkt. Die Blutzucker­werte verschlech­tern sich, die Leber auch, die geistige Leistungsf­ähigkeit nimmt ab. Wir versuchen, durch die Therapie die Herzfunkti­on so lange wie möglich zu erhalten. Auch ein Defibrilla­tor oder eine Schrittmac­hertherapi­e (CRT) können Teil der Therapie sein, für Jüngere ist die Transplant­ation eine Option.

Standard: Was können Patienten selbst beitragen? Hülsmann: Ich predige es jedem Einzelnen: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Was zählt, ist nicht die Intensität, sondern die Regelmäßig­keit. Spazieren gehen, Rad fahren: All das tut gut. Das klingt aber leichter, als es ist: Wer sich 50 Jahre lang nicht bewegt hat, dem fällt eine Lebensstil­änderung schwer. Zudem scheint auch Wärme positiv zu sein, insofern ist ein Saunabesuc­h bei zirka 70 bis 80 Grad empfehlens­wert. Die Wärme erweitert die Gefäße, dasselbe gilt für Thermalbäd­er.

Standard: Und Ernährung? Hülsmann: Gesund, von nichts zu viel und von nichts zu wenig, sage ich immer. Von Diäten ist allerdings strikt abzuraten. Eine regelmäßig­e Gewichtsko­ntrolle ist für Patienten mit Herzsuffiz­ienz extrem wichtig.

Standard: Warum? Hülsmann: Weil sowohl eine Gewichtszu­nahme als auch eine -abnahme Alarmzeich­en für eine Verschlech­terung der Herzleistu­ng sein können. Sie sollten auf jeden Fall vom Arzt abgeklärt werden.

MARTIN HÜLSMANN ist Kardiologe an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien und leitet die Ambulanz für Herzinsuff­izienz am AKH.

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Foto: Regine Hendrich Kardiologe Martin Hülsmann arbeitet interdiszi­plinär.

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