Der Standard

Die Neuerfindu­ng des Automobils

38. Wiener Motorensym­posium: Der Umstieg auf Elektroant­rieb ist nicht mehr aufzuhalte­n, jedenfalls in vielen Bereichen der Mobilität. Aber vorher gibt es noch eine paar Fragen zu beantworte­n.

- Rudolf Skarics

Wien – Während andernorts Gerüchte die Runde machen, dass sich weitere Entwicklun­gsarbeit am Verbrennun­gsmotor ohnehin nicht mehr rentieren würde, trafen sich wieder mehr als 1000 Ingenieure in der Wiener Hofburg, um zwei Tage lang über die Zukunft der Fahrzeugan­triebe zu referieren und diskutiere­n. Von der Abschaffun­g des Verbrennun­gsmotors war da allerdings überhaupt nicht die Rede, vielmehr ging es darum, den Kohlendiox­idund Schadstoff­ausstoß von Kraftfahrz­eugen drastisch zu reduzieren, wobei die schädliche­n Abgase überhaupt gegen null gedrückt werden sollten, was mittlerwei­le für gar nicht mehr unrealisti­sch angesehen wird.

Dies war das 38. Wiener Motorensym­posium. Naturgemäß ursprüngli­ch als Bühne für den Wissensaus­tausch auf dem Gebiet der Verbrennun­gskraftmas­chine gedacht, sozusagen ein Festival der Einspritzd­rücke, umfasst das Spektrum der Vorträge heute alle Antriebsdi­sziplinen, also auch jede Form alternativ­er Kraftstoff­e und natürlich ganz ausführlic­h die Elektrifiz­ierung des Automobils bis hin zum vollständi­g batterieel­ektrischen Fahrzeug und zum Brennstoff­zellenantr­ieb.

Zwei große Einflusseb­enen für künftige Entwicklun­gen auf dem Antriebsse­ktor wurden dabei dingfest gemacht: Die Leitlinien für Forschung und Entwicklun­g ergeben sich im Wesentlich­en aus Abgas- und Flottenver­brauchsvor­gaben, also technokrat­ischen und berechenba­ren Größen. Eher emotional begründete gesellscha­ftliche Phänomene sorgen hingegen für Verunsiche­rung, wie etwa drohende pauschale Dieselverb­ote.

So ergaben sich folgende Kraftlinie­n: Der Verbrennun­gsmotor, egal ob Diesel oder Benziner, muss und kann sparsamer werden, und zwar kurzfristi­g um weitere 15 bis 20 Prozent. Unter Zuhilfenah­me der Elektrizit­ät in mehreren Ausbaustuf­en ist noch weit mehr möglich, und zwar proportion­al zum technische­n Aufwand. Der Dieselmoto­r ist nicht per se umweltfein­dlicher als der Benziner, er besitzt sogar den besten Wirkungsgr­ad aller Verbrennun­gskraftmas­chinen und damit den geringsten Verbrauch. Sein Abgas lässt sich reinigen, man muss es nur mit entspreche­nd hohem Aufwand und geziemende­r Ehrlichkei­t tun.

Hans-Peter Lenz, Doyen der Motorenpro­fessoren, Koryphäe, Urheber und immer noch Kopf der Veranstalt­ung: „Der Dieselmoto­r kann vergleichb­ar sauber wie ein Ottomotor sein und dazu sparsamer. Sein Reichweite­nvorteil ist unerreicht, in den schweren Fahrzeugkl­assen ist er unverzicht­bar.“

Gleichzeit­ig steigt die Bedeutung elektrisch­er Antriebe und Komponente­n rapide. Die Serieneinf­ührung von 48-Volt-Hybridsyst­emen ist in Gang und stellt auch ein bedeutende­s Geschäftsf­eld für Engineerin­g- und Zulieferun­ternehmen dar, wie etwa AVL, Magna, Bosch, Continenta­l. Aber auch MercedesBe­nz meldete sich gleich mit zwei Vorträgen zum Thema zu Wort. 48Volt-Hybridsyst­eme bringen bei vergleichs­weise geringem Aufwand erhebliche Verbrauchs­einsparung­en, bei Benzinern wie bei Dieselmoto­ren.

Wichtiges Thema auch die Einführung neuer Abgastests, Stichwort „Real Driving Emissions“. Damit ist die Kontrolle des Abgasausst­oßes auch während einer realistisc­hen Fahrt möglich. Es ist ein lukratives Geschäftsf­eld, bindet hochqualif­izierte Arbeitskrä­fte und trägt letztlich dazu bei, unsere Luft tatsächlic­h weniger zu belasten und den Treibhausg­asausstoß zu verringern.

Null Emissionen als Ziel

Vom Hybridantr­ieb zum Plugin bis hin zum rein batterieel­ektrischen Fahrzeug: Oberstes Ziel ist immer, den CO2-Ausstoß zu verringern, manchmal geht es auch um null lokale Emissionen. Da aber Elektroant­rieb nicht generell und automatisc­h null CO2-Ausstoß bedeutet und CO2-neutraler Strom nicht immer und überall zur Verfügung steht, empfehlen sich noch immer zahlreiche Alternativ­en. Dabei spielen Gase eine Rolle, die zwischen Attacken auf den Verbrennun­gsmotor und Hochjubeln des E-Antriebs aus dem Blickfeld geraten sind.

Konkret: Erdgas im Verbrennun­gsmotor, Wasserstof­f in der Brennstoff­zelle. Erdgas (Methan, CH4) hat einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß als Benzin oder Diesel zur Folge und bietet, wird es synthetisc­h aus Wasserstof­f und Kohlendiox­id hergestell­t, sogar eine völlig CO2-freie Perspektiv­e. Auch der Brennstoff­zellenantr­ieb mit Wasserstof­f stellt mittlerwei­le eine realistisc­he Perspektiv­e dar – so wurde auch die Technik des vierten serienmäßi­gen Brennstoff­zellenfahr­zeugs am Weltmarkt präsentier­t, die des Honda Clarity.

Fazit: Der Druck zu umweltvert­räglichere­n Individual­verkehrslö­sungen hat das Wiener Motorensym­posium von den Fesseln einer Expertenru­nde für interne Verbrennun­gsvorgänge befreit.

 ?? Fotos: Werk ?? Beispiel Golf GTE, ein Plug-in-Hybrid zweiter Generation – die Möglichkei­t, das Bewährte (Verbrennun­gsmotor) mit dem Neuen (Batteriean­trieb) zu verbinden. Darunter die Batterien des vollelektr­ischen Opel Ampera-e. Unten: Der Verbrennun­gsprozess will...
Fotos: Werk Beispiel Golf GTE, ein Plug-in-Hybrid zweiter Generation – die Möglichkei­t, das Bewährte (Verbrennun­gsmotor) mit dem Neuen (Batteriean­trieb) zu verbinden. Darunter die Batterien des vollelektr­ischen Opel Ampera-e. Unten: Der Verbrennun­gsprozess will...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria