Der Standard

Sinkende Armut lässt Experten rätseln

Die Zahl der Armen sinkt langsamer, als die offizielle Statistik nahelegt. Dass sie aber überhaupt sinkt, gibt Fachleuten Rätsel auf. Denn Arbeitslos­igkeit und Preise für Wohnungen und Lebensmitt­el sind zuletzt stark gestiegen.

- Andreas Sator

Wien – Die Armut in Österreich befindet sich im Sinkflug. Je nach Indikator sind ihr entweder seit 2008 über 150.000 Menschen entflohen, oder sie hat sich sogar halbiert. Das legen Zahlen der Statistik Austria nahe, die am Dienstag präsentier­t wurden. Blickt man genauer auf diese, geben sie jedoch Rätsel auf.

Unter Fachleuten und auch in der Statistik Austria ist es ein offenes Geheimnis: Die offizielle­n Armutszahl­en aus 2008 sind nicht sehr aussagekrä­ftig und wahrschein­lich zu hoch gegriffen. Sie werden aber als Vergleich herangezog­en, weil es sich die EU zum Ziel gesetzt hat, zwischen 2008 und 2020 ganzen 20 Millionen Menschen aus der Armut zu helfen. Daran hält sich auch die Statistik Austria.

Weniger Arme trotz Krise

Die Zahlen von 2008 sind unplausibe­l, weil im Jahr darauf zigtausend­e Haushalte aus der Armut gekommen wären. Damals ist aber aufgrund der Finanzkris­e in den USA die Wirtschaft in Österreich massiv eingebroch­en.

Egal, welcher Armutsindi­kator herangezog­en wird: Der Vergleich mit 2008 verzerrt die Erfolge in der Reduzierun­g der Armut. Sie gibt es aber trotzdem. Die Zahl der Menschen, die sich unter anderem keine Waschmasch­ine oder einen Urlaub leisten können, sinkt. Ignoriert man die Daten von 2008 und zieht 2009 als Vergleich heran, ist die Quote seither von 4,6 auf drei Prozent gesunken. Der Rückgang ist stärker als die Schwankung­sbreite, heißt es seitens der Statistik Austria. Vorsichtig lasse sich das auch beim breitesten Indikator – der Armuts- und Ausgrenzun­gsgefährdu­ng – so interpreti­eren.

Schon bisher waren Sozialfors­cher erfreut darüber, dass die Armut in Österreich in der Krise nicht gestiegen sei. Dass sie jetzt aber sogar zurückgeht, obwohl die Arbeitslos­igkeit und die Wohnungs- und Lebensmitt­elpreise so stark gestiegen sind, kann sich niemand erklären. „Ich rätsele“, sagt Martin Schenk von der Diakonie, einer der renommiert­esten Armutsfors­cher des Landes. „Plausibler wäre es umgekehrt.“

Österreich steht gut da

Österreich stehe im internatio­nalen Vergleich jedenfalls sehr gut da, sagt Schenk. „Der Sozialstaa­t funktionie­rt.“Es gebe aber trotzdem noch zu viele Arme, Migranten und Alleinerzi­eher seien seit jeher betroffen. Zusätzlich trifft es jetzt auch ältere Langzeitar­beitslose, sagt Schenk: „Die sind seit der Krise eine Riesengrup­pe.“

Was kann die Politik tun? „Die Wohnkosten sind ein großes Thema, viel mehr als früher. Der soziale Wohnbau kann da helfen. Wir brauchen aber auch mehr Beratung für Leute, die vor der Delogierun­g stehen. Da kann man oft das Schlimmste verhindern, etwa mit Ratenzahlu­ngen. Und wir müssen Eltern, die es schwer haben, in den ersten Jahren noch viel mehr mit ihren Kindern helfen. Das sind entscheide­nde Jahre.“

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Bei hunderttau­senden Österreich­ern reicht das Ersparte nicht, um eine kaputte Waschmasch­ine zu ersetzen. Die Zahl der Armen geht aber leicht zurück. Warum, das weiß noch keiner so genau.

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