Der Standard

Geschenke als Belohnung für Steuern werden zum Ballast

In Japan kann der Empfänger eines Teils der Steuern gewählt werden. Gemeinden werben um die Gunst der Steuerpfli­chtigen mit Flugticket­s, Computern und anderen Geschenken. Dies und der Entgang von Einnahmen belasten vor allem Städte.

- Martin Fritz aus Tokio

Der japanische­n Regierung ist das einzigarti­ge Kunststück gelungen, die eigentlich unangenehm­e Bezahlung von Steuern in ein unterhalts­ames Einkaufsve­rgnügen zu verwandeln. Inzwischen fliegt das innovative System seinen Erfindern aber um die Ohren.

Doch der Reihe nach: Die Japaner können einen bestimmten Teil ihrer Lohn- und Einkommens­steuer an eine andere Gemeinde schicken, die sie als ihre „Heimat“empfinden, selbst wenn sie noch nie dort waren. Die Empfängerg­emeinden bedanken sich für die Überweisun­g mit lokalen Produkten als Geschenk. Das macht die Umleitung der Steuer für die Bürger attraktiv, weil sie für ihre Steuer de facto eine geldwertig­e Gegenleist­ung erhalten.

Zwar wird eine Kostenpaus­chale von umgerechne­t 16 Euro fällig, aber die Geschenke sind immer wesentlich mehr wert. Die Regierung richtete sogar eine Beratungss­telle ein, in er die Geschenke ausgestell­t werden. „Besonders beliebt sind Erlebnisgu­tscheine, zum Beispiel für eine Übernachtu­ng in einem Badehotel“, berichtete eine Beraterin dem TV-Sender NHK.

Der individuel­le Steuertran­sfer soll Japans ländliche Regionen unterstütz­en, die unter Landflucht und Struktursc­hwäche leiden. Später wurde die Heimatsteu­er als Möglichkei­t beworben, den vom Tsunami betroffene­n Gebieten zu helfen. Diese Argumente überzeugte­n Hunderttau­sende von Japanern, sodass im vergangene­n Jahr geschätzte 1,6 Milliarden Euro in die „Heimat“flossen.

Aber je mehr Bürger einen Steuerante­il aufs Land transferie­rten, desto mehr wetteifert­en die Städte und Kommunen um diese Extraeinna­hme für ihren Steuersäck­el, indem sie immer größere und wertvoller­e Geschenke offerierte­n. Im Internet können die zahlungswi­lligen Bürger auf einer offizielle­n Seite anklicken, was sie geschenkt haben wollen. Die steuerlich­en Formalität­en werden bei der „Bestellung“gleich mit abgewickel­t.

Wo anfangs nur lokal produziert­es Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse verschenkt wurden, gibt es nun je nach der Höhe der Heimatsteu­er Computer, Haushaltsg­eräte, Musikinstr­umente oder Flugticket­s als Belohnung. Einige Gemeinden verteilen teure Übernachtu­ngsgutsche­ine, eine Kom- mune versprach zeitweise sogar Grundstück­e. Doch die Steuerspen­der schneiden sich dabei auch ins eigene Fleisch. Denn das überwiesen­e Steuergeld fehlt nun der Gemeinde, in der sie eigentlich wohnen. Allein den 23 Stadtbezir­ken von Tokio gehen derzeit jährlich mehr als 100 Mio. Euro verloren. „Unser Etat schrumpft, weil sich der Verlust durch die Heimatsteu­er in diesem Jahr erneut verdoppelt hat“, klagte etwa der Bürgermeis­ter des Tokioter Bezirks Setagaya, Nobuto Hosaka. Daher könnten fünf Kindergärt­en und eine Schule nicht gebaut werden.

Aber auch für die Empfängerk­ommunen rechnet sich das System immer weniger. Nur 20 Städte und Kommunen kassieren bereits ein Viertel der Heimatsteu­er, weil sie die besten Geschenke haben. Die wirklich armen Regionen profitiere­n nicht. Zugleich gaben die Kommunen im Schnitt mehr als die Hälfte der erhaltenen Heimatsteu­er gleich wieder für die Geschenke aus.

Angesichts dieser Auswüchse musste das Innenminis­terium jetzt die Notbremse ziehen. Die Kommunen dürfen ab sofort nicht mehr als 30 Prozent ihrer Heimatsteu­ereinnahme­n für die Geschenke ausgeben. Dabei ist das Ministeriu­m für die negative Entwicklun­g selbst mitverantw­ortlich: Erst vor zwei Jahren hatte es den abführbare­n Anteil der Heimatsteu­er verdoppelt – und damit auch die Menge der Geschenke, die man damit einsammeln konnte.

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