Der Zivilisationslärm ist überall
Jene entlegenen Flecken, an denen man nur Natur hört und nichts als Natur, werden immer seltener: Eine neue US-Studie zeigt, dass das Getöse der Menschheit allgegenwärtig ist und bis in geschützte Wildnisgebiete vordringt.
Fort Collins / Wien – Wer gelegentlich dem städtischen Trubel entkommt und aufs Land hinausfährt, ist stets aufs Neue überrascht, wie ruhig es in der Natur doch ist. Vogelgezwitscher, Insektensummen und ab und zu das Bimmeln einer Kuhglocke geben einem das Gefühl, man habe die Zivilisation weit hinter sich gelassen. Im Großteil der Fälle ist das allerdings ein Irrtum, der einem auffällt, wenn man etwas genauer hinhört: In die ländliche Soundkulisse mischt sich oft ein dezenter Lärm, Misstöne von Traktoren, Autoverkehr oder Flugzeugen.
Das allgegenwärtige Menschheitsgetöse wird gerne als urbanes Problem angesehen, doch Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass akustische Umweltverschmutzung auch fernab der Siedlungszentren ein Problem darstellt. Angetrieben von der fortwährenden Ausbreitung menschlicher Aktivitäten und Transportnetzwerke wird der Lärm mittlerweile in die fernsten Ecken der Wildnis getragen, wie Wissenschafter nun in den Vereinigten Staaten nachgewiesen haben.
Um das genaue Ausmaß der Lärmverschmutzung zu ermitteln, haben Rachel Buxton und ihre Kollegen von der Colorado State University viel Beinarbeit investiert: Sie führten mithilfe von Spezialmikrofonen Schallmessungen an 492 über die gesamten USA verteilten Orten durch und legten dabei besonderes Augenmerk auf Schutzgebiete. Diese nehmen rund 14 Prozent der Landesfläche ein und sollten nicht nur Menschen zur Erholung dienen, sondern vor allem der Natur einen Freiraum geben, ungehindert zu gedeihen. Wie sehr sie dabei in vielen Fällen vom Zivilisationskrawall gestört wird, hat die Wissenschafter überrascht.
Ein Computeralgorithmus half den Forschern zunächst dabei, das Niveau des jeweils natürlichen Geräuschpegels zu bestimmen. Dieser diente ihnen als Richtschnur, an der das zusätzliche künstliche Gedröhn gemessen wurde – und das war fast immer vorhanden: In nahezu zwei Dritteln der Schutzgebiete überstieg der Zivilisationslärm die Drei-Dezibel-Marke, das kommt einer Verdoppelung gleich. Zu einer Verzehnfachung auf zehn Dezibel kommt es in 21 Prozent dieser Regionen. Als größte Lärmverursacher identifizierten die Wissenschafter Straßen, Flugzeuge, Bautätigkeit und Ressourcenabbau.
Menschenferne Wildnisregionen wiesen in der Untersuchung zwar die niedrigste Lärmverschmutzung auf. Dennoch lag in immerhin zwölf Prozent der besuchten Wildnisgebiete das künstliche Rauschen um drei Dezibel über dem Normalniveau, schreiben Buxton und ihr Team im Fachjournal Science. Mit anderen Worten: Menschlicher Lärm reduziert jenen Bereich, in dem natürliche Geräusche wahrgenommen werden, um 50 bis 90 Prozent.
Lärmbelästigung mit Folgen
Das mag den Menschenohren manchmal entgehen, das empfindlichere Gehör der Tierwelt merkt aber sehr wohl einen Unterschied – mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf das Wildleben: Beutetiere nehmen Räuber später wahr, der Paarungsgesang von Insekten und Vögeln verhallt vor kleinerem Publikum. Selbst die Pflanzenwelt leidet auf Umwegen unter der Ruhestörung.
Wenn beispielsweise samenverbreitende Nager ein Gebiet wegen Lärmbelästigung meiden, schränkt das die Ausbreitung von mitunter seltenen Pflanzenarten ein. Derartige Effekte können sich über die Zeit aufschaukeln und zu schwerwiegenden Konsequenzen für das gesamte Ökosystem führen, befürchten die Forscher.