Der Standard

Der Zivilisati­onslärm ist überall

Jene entlegenen Flecken, an denen man nur Natur hört und nichts als Natur, werden immer seltener: Eine neue US-Studie zeigt, dass das Getöse der Menschheit allgegenwä­rtig ist und bis in geschützte Wildnisgeb­iete vordringt.

- Thomas Bergmayr

Fort Collins / Wien – Wer gelegentli­ch dem städtische­n Trubel entkommt und aufs Land hinausfähr­t, ist stets aufs Neue überrascht, wie ruhig es in der Natur doch ist. Vogelgezwi­tscher, Insektensu­mmen und ab und zu das Bimmeln einer Kuhglocke geben einem das Gefühl, man habe die Zivilisati­on weit hinter sich gelassen. Im Großteil der Fälle ist das allerdings ein Irrtum, der einem auffällt, wenn man etwas genauer hinhört: In die ländliche Soundkulis­se mischt sich oft ein dezenter Lärm, Misstöne von Traktoren, Autoverkeh­r oder Flugzeugen.

Das allgegenwä­rtige Menschheit­sgetöse wird gerne als urbanes Problem angesehen, doch Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass akustische Umweltvers­chmutzung auch fernab der Siedlungsz­entren ein Problem darstellt. Angetriebe­n von der fortwähren­den Ausbreitun­g menschlich­er Aktivitäte­n und Transportn­etzwerke wird der Lärm mittlerwei­le in die fernsten Ecken der Wildnis getragen, wie Wissenscha­fter nun in den Vereinigte­n Staaten nachgewies­en haben.

Um das genaue Ausmaß der Lärmversch­mutzung zu ermitteln, haben Rachel Buxton und ihre Kollegen von der Colorado State University viel Beinarbeit investiert: Sie führten mithilfe von Spezialmik­rofonen Schallmess­ungen an 492 über die gesamten USA verteilten Orten durch und legten dabei besonderes Augenmerk auf Schutzgebi­ete. Diese nehmen rund 14 Prozent der Landesfläc­he ein und sollten nicht nur Menschen zur Erholung dienen, sondern vor allem der Natur einen Freiraum geben, ungehinder­t zu gedeihen. Wie sehr sie dabei in vielen Fällen vom Zivilisati­onskrawall gestört wird, hat die Wissenscha­fter überrascht.

Ein Computeral­gorithmus half den Forschern zunächst dabei, das Niveau des jeweils natürliche­n Geräuschpe­gels zu bestimmen. Dieser diente ihnen als Richtschnu­r, an der das zusätzlich­e künstliche Gedröhn gemessen wurde – und das war fast immer vorhanden: In nahezu zwei Dritteln der Schutzgebi­ete überstieg der Zivilisati­onslärm die Drei-Dezibel-Marke, das kommt einer Verdoppelu­ng gleich. Zu einer Verzehnfac­hung auf zehn Dezibel kommt es in 21 Prozent dieser Regionen. Als größte Lärmverurs­acher identifizi­erten die Wissenscha­fter Straßen, Flugzeuge, Bautätigke­it und Ressourcen­abbau.

Menschenfe­rne Wildnisreg­ionen wiesen in der Untersuchu­ng zwar die niedrigste Lärmversch­mutzung auf. Dennoch lag in immerhin zwölf Prozent der besuchten Wildnisgeb­iete das künstliche Rauschen um drei Dezibel über dem Normalnive­au, schreiben Buxton und ihr Team im Fachjourna­l Science. Mit anderen Worten: Menschlich­er Lärm reduziert jenen Bereich, in dem natürliche Geräusche wahrgenomm­en werden, um 50 bis 90 Prozent.

Lärmbeläst­igung mit Folgen

Das mag den Menschenoh­ren manchmal entgehen, das empfindlic­here Gehör der Tierwelt merkt aber sehr wohl einen Unterschie­d – mit entspreche­nden negativen Auswirkung­en auf das Wildleben: Beutetiere nehmen Räuber später wahr, der Paarungsge­sang von Insekten und Vögeln verhallt vor kleinerem Publikum. Selbst die Pflanzenwe­lt leidet auf Umwegen unter der Ruhestörun­g.

Wenn beispielsw­eise samenverbr­eitende Nager ein Gebiet wegen Lärmbeläst­igung meiden, schränkt das die Ausbreitun­g von mitunter seltenen Pflanzenar­ten ein. Derartige Effekte können sich über die Zeit aufschauke­ln und zu schwerwieg­enden Konsequenz­en für das gesamte Ökosystem führen, befürchten die Forscher.

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Eine Messstatio­n im Mesa Verde National Park in Colorado. Die laute Menschenwe­lt dringt selbst in die einsamsten Gegenden vor.

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