Der Standard

Formalisti­scher Machtpoker

- Gerald Schubert

Feigheit sieht anders aus. Tschechien­s sozialdemo­kratischer Regierungs­chef Bohuslav Sobotka hatte mit der Ankündigun­g seines Rücktritts am Dienstag klar Stellung bezogen. Er wolle, so die Botschaft, mit Finanzmini­ster Andrej Babiš von der liberal-populistis­chen Partei Ano nicht mehr in einer Regierung sitzen.

Die steuerscho­nenden Praktiken, die er Babiš vorwirft, sind in der Tat keine Kardinaltu­genden eines Finanzmini­sters. Auch die am Mittwoch veröffentl­ichten Tonaufnahm­en eines Gesprächs zwischen Babiš und einem Journalist­en könnten Wasser auf Sobotkas Mühlen sein. In der Unterhaltu­ng geht es um mögliche Enthüllung­sartikel über politische Gegner. Pikant: Der Journalist arbeitete für eine Zeitung, die einst Babiš gehört und die dieser erst kürzlich in einen Treuhandfo­nds ausgelager­t hatte.

Sobotkas Schritt ein halbes Jahr vor dem Wahltermin mag spät gekommen sein, ein feiger Rückzug war er nicht. Das Problem ist ein anderes: Sobotka zögert den formellen Rücktritt hinaus, Präsident Zeman lässt ihn deshalb auf der Prager Burg stehen wie einen begossenen Pudel. Taktische Winkelzüge und persönlich­e Untergriff­e erhalten breiteren Raum als Sachpoliti­k. Ein Land, in dem Extremiste­n aller Art nur eine marginale Rolle spielen, hätte sich einen inhaltsori­entierten Wahlkampf verdient. Die Akteure der Krise müssen ihren formalisti­schen Machtpoker rasch beenden, wenn sie die radikalen Ränder nicht stärken wollen.

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