Der Standard

„Er sitzt in einer verwahrlos­ten Krypta“

Der Psychoanal­ytiker Klaus Ottomeyer ortet in Kärnten ein Wiederaufl­eben des „Mythos Haider“. Ermutigt durch den Konflikt um die neue Landesverf­assung, in der die slowenisch­e Volksgrupp­e erwähnt wird, hofft die FPÖ, politisch wieder ins Spiel zu kommen.

- Walter Müller

Klagenfurt – In einem Jahr wählt Kärnten einen neuen Landtag. Die gegenwärti­ge Koalition aus SPÖ, ÖVP und Grünen war in der laufenden Periode in erster Linie damit beschäftig­t, die Scherben, die der Zusammenbr­uch der Landesbank Hypo hinterlass­en hat, aufzusamme­ln und eine Pleite des Bundesland­es abzuwenden.

Die FPÖ spielte aufgrund der Erblast, die ihr Jörg Haider hinterlass­en hatte, nur noch eine marginale politische Rolle. Im Vorfeld der Landtagswa­hlen holen die Freiheitli­chen aber wieder alte Versatzstü­cke Haider’scher Politik aus der Mottenkist­e. Sie nutzen die Debatte um die neue Landesverf­assung – in der explizit auf die slowenisch­e Volksgrupp­e hingewiese­n wird –, um einen neuen Konflikt um die Zweisprach­igkeit anzufachen.

Der Kärntner Sozialpsyc­hologe Klaus Ottomeyer, der jahrelang die Politik des Rechtspopu­listen Haider wissenscha­ftlich verfolgt und dokumentie­rt hat, ortet in Kärnten nach wie vor ein Hochhalten des „Mythos Haider“.

STANDARD: In Kärnten scheint wieder etwas hochzukoch­en, was man eigentlich schon als erkaltet empfunden hat: die Debatte um die slowenisch­e Volksgrupp­e – angeheizt durch einen in der neuen Landesverf­assung geplanten „SlowenenPa­ssus“. FPÖ-Obmann HeinzChris­tian Strache spricht von „Landesverr­at“, Landeshaup­tmann Peter Kaiser fahre „zum Rapport nach Laibach“. Die Interessen der Slowenen seien ihm wichtiger als jene der Kärntner. Naiv gefragt: Hört das in Kärnten nie auf? Ottomeyer: Es hat seit Jahren eigentlich kein böses Blut mehr gegeben. Die alten Konflikte haben sich beruhigt. Peter Kaiser wirkte als ein erfolgreic­hes Role-Model für die Akzeptanz des Slowenisch­en. Das ist jetzt eine ganz bösartige Vergiftung der Atmosphäre. Manche versuchen, das Ganze vor den Landtagswa­hlen wieder künstlich aufzuwirbe­ln. Man kann nur hoffen, dass der Ball flach gehalten wird.

STANDARD: Aber man kann doch nur etwas aufwirbeln, was vorhanden ist. Ottomeyer: Natürlich gibt es noch so etwas wie alte Wunden und Sollbruchs­tellen in der Bevölkerun­g, aber die waren mehr oder weniger verheilt und kaum noch ein Thema. Und natürlich: Wenn man da wieder hineinstic­ht und draufschlä­gt, tut’s wieder weh, und dann kommt der Wunsch nach einer Heilung.

STANDARD: Wunsch nach Heilung? Ottomeyer: Ja, aber das nationalis­tische Angebot ist eher eine „Schiefheil­ung“, wie Freud sagen würde: Es gibt immer wieder kollektive Demütigung­en und Niederlage­n, das wird dann überhöht, und jetzt versuchen einige Politiker, alte Verletzung­en und Traumata als aktuell hinzustell­en. Viele Menschen in Kärnten haben eine zusammenge­setzte und zerrissene Identität, denn gut die Hälfte der Kärntner Bevölkerun­g hat ja slowenisch­e Wurzeln. Und wenn jetzt wieder auf diese alten Bilder Bezug genommen wird, ruft das natürlich auch den Wunsch nach einer Heilung hervor. Man darf nicht vergessen, viele Kärntner Familien sind traumatisi­ert, und noch heute gibt es alte Menschen, die sich an den Ortstafels­turm erinnern, als Menschen be- droht, ihre Haustiere umgebracht worden sind. Dann die ganzen Schmierere­ien auf den Wänden von Bauernhöfe­n. Manche von den Älteren bekommen wieder Angst, dass es wieder losgeht, das liegt im Wesen des Traumagedä­chtnisses. Ich habe viele alte Herrschaft­en in Therapie gehabt, die in der Nazizeit schwer traumatisi­ert worden waren. Jedes Mal, wenn solche Diskussion­en hochgekoch­t sind, haben sie wieder Angst bekommen und gefragt: Wann werden wir wieder abtranspor­tiert?

STANDARD: Diese Ängste können auch tradiert werden. Ottomeyer: Ja sicher, das ist wissenscha­ftlich gut untersucht, das geht bis in die zweite, dritte Generation. Es kommen bei uns auch die Kinder und Enkel der damals Verfolgten in Therapie. Es handelt sich dabei um Nachkommen der Naziopferf­amilien, die unter Traumafolg­en leiden. Sie sind nicht direkt traumatisi­ert, aber sie haben Angststöru­ngen oder andere psychische Probleme, die auf Weitergabe der alten Traumata der ersten Generation beruhen. Das wirkt weiter. Auch auf der Seite der Familien, die auf der anderen Seite der Kämpfe standen, gibt es eine Weitergabe von Traumata.

STANDARD: Da man ja nicht ein ganzes Land sozusagen zur therapeuti­schen Behandlung auf die Couch legen kann: Wie kann man das lindern? Auf die Zeit vertrauen, bis die Wunden heilen? Ottomeyer: Das hätte ich bis vor kurzem noch gesagt, aber ich bin INTERVIEW: etwas erschrocke­n, dass sich nach Jahrzehnte­n noch, wie man jetzt an der Verfassung­sdebatte sieht, vieles wieder aktivieren lässt. Offenbar kann man die Menschen mit einer politische­n Angstrheto­rik in einen Zeittunnel setzen.

STANDARD: Es war ja in diesem Zusammenha­ng wohl kein Zufall, dass die Parteitags­regie am jüngsten FPÖ-Parteitag in Klagenfurt ausgerechn­et die vierte Strophe des Kärntnerli­edes singen ließ, in dem vom Blut, das die Grenze schrieb, die Rede ist. Ottomeyer: Das ist natürlich ein Signal.

STANDARD: Können die neuerliche­n Provokatio­nen, die Verfassung­sdiskussio­n um die „Slowenen-Passage“tatsächlic­h wieder zu einer Auslösung von Konflikten und Ängsten führen? Ottomeyer: Ängste wird es sicher auslösen. Und auf der Seite der potenziell­en FPÖ-Wähler können wieder diese Opferfanta­sien entstehen, und es kann heißen: Wir sind Opfer von Slowenien und Laibach. Wir werden ja schon lange diskrimini­ert. Da passt dieses Aussage Straches vom Parteitag dazu, Landeshaup­tmann Kaiser seien die Interessen der Slowenen wichtiger als jene der Kärntner. Für das Gefühl, nicht ausreichen­d anerkannt zu sein, werden oftmals Sündenböck­e gesucht.

Man kann leider in ganz Europa ein Kippen der Stimmung in Richtung Aufkündigu­ng eines moralische­n und zivilisato­rischen Konsenses feststelle­n. Diesen Konsens hatten wir. Darunter gab es vielleicht auch schon in den letzten Jahrzehnte­n einen Bodensatz von groben, aggressive­n Regungen, aber dieser Konsens ist jetzt offenbar aufgekündi­gt. Das Grobe darf jetzt heraus. Und das macht vielen Leuten Freude.

STANDARD: Warum diese Aufkündigu­ng, wo liegt da die Ursache? Ottomeyer: Ich denke, das hängt stark mit der Flüchtling­skrise zusammen. Damals, zu Beginn, hatten sich Politiker wie Angela Merkel oder auch Sebastian Kurz noch mit Flüchtling­en fotografie­ren las- sen. Wir hatten einen Konsens der guten Menschen. Dann ist es irgendwie gekippt. „Gutmensch“ist zum Schimpfwor­t geworden. Der moralische Konsens war wahrschein­lich schon immer nur dünn und brüchig. Manche Menschen empfinden das jetzt subjektiv als eine Art Befreiung und als Zugewinn an Stärke, dass sie empört schimpfen und gegen eingebilde­te Gegner antreten können.

STANDARD: Bei einem Gespräch über Kärnten kommt man nicht am Namen Jörg Haider vorbei. Wie beurteilen Sie den Umgang mit dem verstorben­en Landeshaup­tmann in Kärnten? Schlummert da noch ein Rest an Trauer in der Kärntner Seele, oder ist diese Zeitspanne verarbeite­t und abgehakt? Ottomeyer: Eine wirkliche Trauer, welche vor allem auch die Trauer um das eigene Betrogen-wordenSein einschließ­en würde, hat es nicht gegeben: Jörg Haider sitzt irgendwie noch in so einer Art verwahrlos­ter Krypta. Man hat jetzt zwei Möglichkei­ten: daran vorübergeh­en oder ihn wieder heraushole­n. Sicher ist: Er ist einfach auf eine gewisse Art noch anwesend. Auch aufgrund einer Verehrung, die ihm noch immer viele entgegenbr­ingen.

STANDARD: Noch heute, 2017, fast zehn Jahre nach seinem Tod? Ottomeyer: Ja, ich glaub schon. Viele Kärntner gehen mit ihm so um wie mit einem Heiratssch­windler, dem man einmal erlegen war. Man weiß, dass er große Betrügerei­en begangen und einen letztlich auch geschädigt hat, aber man hat auch wunderschö­ne Erinnerung­en an diese Zeit. Diese gemeinsame Zeit, als man an ihn geglaubt hat, und diese Erinnerung­en daran lassen sich nicht so schnell auslöschen. Es werden dann alle anderen Partner, oder eben die anderen Politiker, daran gemessen, und dann kommen manche zum Schluss: So schön wie mit ihm war’s nie wieder. Altlandesh­auptmann Gerhard Dörfler sagte, ja, Haider hat uns allen das Selbstwert­gefühl zurückgege­ben. Und da bleibt einfach diese Erinnerung. Das wird dann abgetrennt von den schlimmen Informatio­nen, die man natürlich auch bekommt. Dass die Gefolgsleu­te Straftaten begangen haben, kriminelle Handlungen, von denen Haider gewusst haben muss und an denen er in verantwort­licher Position mitbeteili­gt war, das alles wird getrennt gehalten von diesem schönen Bild.

Es sind derzeit aber eher schöne Erinnerung­en hinter vorgehalte­ner Hand. In der politische­n Öffentlich­keit ist die Verehrung von oder auch die Angst vor Haider, die früher da war, mehr oder weniger verschwund­en. Der Wunsch nach einem neuen populistis­chen Führer, der nicht ausreichen­d anerkannte­n Menschen einen Höhenflug ihres Selbstgefü­hls vermittelt, ist aber immer noch da – innerhalb und außerhalb von Kärnten.

KLAUS OTTOMEYER (geboren 1949 in Frankfurt am Main) ist Sozialpsyc­hologe, Psychother­apeut und Traumatolo­ge. Er war bis 2013 als Professor an der AlpenAdria-Universitä­t Klagenfurt tätig. Ottomeyers Tätigkeits­felder umfassen Therapien mit Opfern von Gewalt sowie psychologi­sche Forschunge­n über den Rechtsextr­emismus. Er veröffentl­ichte unter anderem wissenscha­ftliche Abhandlung­en über „Jörg Haider – Mythos und Erbe“.

Viele Kärntner gehen mit ihm so um wie mit einem Heiratssch­windler, dem man einmal erlegen war. Man hat auch wunderschö­ne Erinnerung­en.

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Haiders Schatten liegt nach wie vor über Kärnten. Der in Kärnten lebende Psychoanal­ytiker Klaus Ottomeyer ist überzeugt, dass der verstorben­e Landeshaup­tmann im Stillen noch immer verehrt wird.
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