Der Standard

Brisanter Poker der Türkei bei Waffendeal mit Russland

Kauf von russischem Luftabwehr­system würde Beziehunge­n zu anderen Nato-Mitglieder­n massiv belasten

- André Ballin aus Moskau

Der Preis ist hoch: 500 Millionen Dollar will Russland für eine S400-Division, das modernste russische Luftabwehr­system, von der Türkei haben. Nach Angaben der Nachrichte­nagentur RBK, die sich auf eine Insiderque­lle aus dem Kreml beruft, geht es derzeit in den Verhandlun­gen, die sich „im Endstadium“befinden, um insgesamt vier Raketenkom­plexe. Das entspräche einem Gesamtwert von zwei Milliarden Dollar.

Allerdings gibt es weder beim Preis noch bei der Stückzahl bisher Einverstän­dnis. „Die Türkei kann sich das nicht leisten, sie müsste einen Kredit bei Russland aufnehmen. Und so abhängig will Ankara von Moskau nicht werden“, sagte der Informant.

Das Thema militärisc­h-technische Zusammenar­beit wurde auch beim jüngsten Treffen zwischen Wladimir Putin und Tayyip Erdogan in Sotschi „positiv“besprochen, erzählte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kürzlich.

Hoher politische­r Preis

Die Türkei kann das Waffensyst­em gut gebrauchen: Katjuschas der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) landen ab und zu auch in türkischen Städten. Doch Ankara muss nicht nur den finanziell­en, sondern auch den politische­n Preis bedenken. Der Kauf stellt die Beschaffun­gsdiszipli­n der Nato infrage. Allgemein kaufen die Mitglieder ihre Waffen nur bündnisint­ern ein. Der Kauf russischer S400 würde die derzeit ohnehin angespannt­en Beziehunge­n zur Nato weiter strapazier­en.

Der Leiter des Moskauer Zentrums für moderne Türkeifors­chung Juri Mawaschew schätzt die Wahrschein­lichkeit eines tatsächlic­hen Vertragsab­schlusses daher nur auf 30 Prozent ein. Ähnlich kommentier­t das auch Alexander Schumilin vom NahostZent­rum des Instituts für US- und Kanadafors­chung: Er sieht ein „politische­s Spiel“Ankaras, um der Nato zu demonstrie­ren, dass man Alternativ­en habe.

Die Türkei pokert freilich hoch: Von Russland fordert sie beim Verkauf auch einen Technologi­etransfer und sogar die Gemeinscha­ftsprodukt­ion einzelner Komponente­n des Waffensyst­ems – woran Moskau kein Interesse hat.

Anderersei­ts ist sich der Kreml durchaus der politische­n Tragweite bewusst. Um die Nato zu schwächen, könnte man punktuell einlenken. Dann müsste Ankara entscheide­n, ob der Waffendeal mit Moskau so verlockend ist, um die Beziehunge­n mit Brüssel endgültig zu ruinieren. Angesichts der Entfremdun­g, die sich derzeit zwischen der Türkei und dem Westen vollzieht, wäre die Wahl zugunsten der Nato zweifelhaf­t.

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