Der Standard

Schlechte Stimmung im deutschen „Schulzzug“

In Schleswig-Holstein bangt Ministerpr­äsident Torsten Albig (SPD) um sein Amt. Kanzlerkan­didat Martin Schulz half ihm im Wahlkampfe­ndspurt. Mit seiner Stimmung verhält es sich wie mit Umfragen: War alles schon besser.

- REPORTAGE: Birgit Baumann aus Kiel

„Martin, du musst winken.“Keine Reaktion. Vielleicht hat SPDKanzler­kandidat Martin Schulz die Aufforderu­ng auch nicht gehört. „Martin, winken!“Die Bitte des Mitarbeite­rs wird dringliche­r. „Okay, ich winke“, sagt Schulz, legt den Schokorieg­el aus der Hand und macht brav winke, winke aus dem Fenster des Regionalzu­ges, der ihn und seine Entourage von Kiel nach Lübeck bringt.

Am Bahnhof Eutin nämlich steht eine Genossin, deren roter Schal aufmuntern­d im Wind flattert. Sie strahlt, als Schulz sich ihr zuwendet. Fotografen wollen Schulz als Lokführer, auch dies wird erfüllt, Schulz geht ins Fahrerhaus und lässt sich ablichten.

Es ist schließlic­h nicht irgendein Zug, der da kurz vor der Landtagswa­hl am Sonntag durch das nördlichst­e Bundesland Deutschlan­d – jenes mit Stränden an Nordund Ostsee – rattert. Es ist der „Schulzzug“. Kein Witz, die SPD selbst hat ihn erfunden und nennt ihn auch so. Der „Schulzzug“soll ihren Hoffnungst­räger am 24. September bei der Bundestags­wahl ins Kanzleramt bringen.

Aber wer zu einem Transportm­ittel greift, der geht ein Risiko ein. Möglicherw­eise war das den Erfindern des „Schulzzuge­s“ nicht so bewusst. Seit geraumer Zeit lesen sie und ihr Chef in den Medien viele nicht so angenehme Sätze, wie etwa: „Der Schulzzug verliert an Fahrt.“

Nach dem anfänglich­en Hype um Schulz, der die SPD in Umfragen vor die Union brachte, sind die Werte wieder gesunken, die Begeisteru­ng hat nachgelass­en. Erstes „Opfer“war SPD-Frau Anke Rehling, die es bei der Wahl im Saarland am 26. März nicht schaffte, Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) als Ministerpr­äsidentin abzulösen. Die CDU siegte sogar mit klarem Vorsprung.

Dänen in der Regierung

Am Sonntag wird nun in Schleswig-Holstein gewählt. Dort regiert Torsten Albig, der früher Pressespre­cher von Finanzmini­ster Peer Steinbrück (SPD) in Berlin war, in einer sogenannte­n „Küsten“- oder „Dänenampel“. Sie besteht aus SPD, Grünen und dem SSW (Südschlesw­igschen Wählerverb­and), der für die Rechte der dänischen Minderheit eintritt.

Lange schien Albig die Wiederwahl sicher. Doch mittlerwei­le hat sich der Wind gedreht, drückte die SPD auf 29 Prozent und hob die CDU mit ihrem eher unbekannte­n Spitzenkan­didaten Daniel Günter auf 32 Prozent. Vor zweieinhal­b Wochen waren die Zahlen noch umgekehrt.

Am Sonntag könnte es für die „Küstenampe­l“nicht mehr reichen, zumal auch die Grünen hinter ihr Wahlergebn­is von 2012 (13,2 Prozent) zurückfall­en dürften. Im Bund schwächeln sie sehr, in Schleswig-Holstein kann der beliebte Albig-Vize und Umweltmini­ster Robert Habeck immerhin einiges abfangen. Albigs Verlust des Ministerpr­äsidenten-Amtes wäre auch für Schulz und seinen Zug auf dem Weg ins Berliner Kanzleramt kein gutes Signal. „Gehen Sie wählen! Bitte!“, sagt Albig, als er in der Kieler Fußgängerz­one Rosen verteilt. Seine Überlegung: 30 Prozent sind noch unentschlo­ssen, da ist noch was drin. Im Wahlkampf sparte er auch schwierige Themen nicht aus und stellte sich bei Abschiebun­gen nach Afghanista­n gegen die Linie Berlins – und somit auch die der Bundes-SPD.

Abschiebes­topp

Albig legte für Schleswig-Holstein einen Abschiebes­topp fest. „Wir wollen diesen Frauen und Männern Heimat sein, wir schicken sie nicht in den Krieg zurück“, ruft er bei einer Wahlverans­taltung in Kiel, es gibt Applaus, keiner buht oder pfeift.

„War doch ’ne gute Stimmung am Platz“, sagt Albig später, als der „Schulzzug“am Kieler Bahnhof auf seine Abfahrt wartet. In den Zug jedoch platzen schlechte Nachrichte­n. Ein Mitarbeite­r reicht Schulz wortlos ein Smartphone. Darauf ist eine neue Umfrage – eine aus dem strategisc­h noch wichtigere­n NordrheinW­estfalen, wo eine Woche später, am 14. Mai, gewählt wird. In der Heimat von Schulz liegen SPD und CDU nun fast gleichauf, Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) verlöre nach dieser Umfrage ihre rot-grüne Mehrheit.

Schulz’ Miene spricht Bände, die Stimmung wird auch nicht besser, als die mitreisend­en Journalist­en ihn fragen, warum der „Schulzhype“nachgelass­en habe. An ihm liegt es seiner Ansicht nach nicht. Vielmehr ist Kanzlerin Angela Merkel Schuld. Die Union nämlich ziele mit ihrem neuen Gerede von der Leitkultur auf Wähler vom rechten Rand und profitiere davon, dass „die AfD sich selbst zerlegt“.

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F.: APA / dpa / Kay Nietfeld Nachdenkli­che Sozialdemo­kraten im „Schulzzug“, der durch das flache SchleswigH­olstein rollt: Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig, neben ihr SPD-Vize Ralf Stegner, ihm gegenüber Martin Schulz und daneben Torsten Albig, der am Sonntag...

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