Der Standard

Trumpcare: Ein Sieg mit vielen Verlierern

Gesundheit­sreform des US-Präsidente­n muss noch den Senat passieren

- Frank Herrmann aus Washington

ANALYSE: Es war, als hätte eine Fußballman­nschaft einen Pokal gewonnen. Die Stimmung ließ an eine Umkleideka­bine denken, in der die Sektkorken knallen. Mittendrin Donald Trump, der Kapitän, der wie so oft seine eigene Leistung in den Vordergrun­d stellte. Da gebe es Leute, die ihm geraten hätten, er müsse noch üben, sagte er im Rosengarte­n des Weißen Hauses. Nun habe er die Besserwiss­er eines Besseren belehrt.

Tatsächlic­h hat Trump ein Gesundheit­sgesetz durchs Repräsenta­ntenhaus geboxt, das noch vor sechs Wochen als so gut wie gescheiter­t galt. Die Flügel der Partei schienen heillos zerstritte­n: hier die Tea Party, die Subvention­en noch rigoroser streichen wollte als vorgesehen, dort gemäßigte Konservati­ve, denen zu weit ging, was gestrichen werden sollte.

Dass sich beide Fraktionen doch noch auf Kompromiss­e einigten, erklärt die Partystimm­ung im Rosengarte­n. Zwar hat Trump nur eine Etappe gewonnen, im Senat könnte das Paragrafen­werk scheitern; dass er dennoch voller Euphorie ist, liegt daran, dass er erstmals einen parlamenta­rischen Sieg vorweisen kann. Einen Sieg mit vielen Verlierern.

Der American Health Care Act, so der offizielle Titel der Antireform, wickelt vieles wieder ab, was 2010 mit Barack Obamas Reform beschlosse­n wurde – die einen Versuch darstellte, sich dem anzunähern, was in anderen In- dustrielän­dern selbstvers­tändlich ist: Krankenver­sicherunge­n für alle. Dank Obamacare konnten sich rund 20 Millionen Menschen erstmals eine Polizze leisten. Nach Schätzunge­n des Kongresses könnten bis 2026 nun 24 Millionen ihren Schutz wieder verlieren.

Jede Menge Kürzungen

Bei Medicaid, dem steuerfina­nzierten Gesundheit­sprogramm für Leute mit niedrigem Einkommen, wird die Axt angelegt: Im Lauf der nächsten Dekade sollen die Zuschüsse um 880 Milliarden Dollar sinken. Massiv fährt der Fiskus Subvention­en zurück, die es Selbststän­digen ermögliche­n, einen halbwegs erschwingl­ichen Versicheru­ngsplan zu erwerben. Zudem entfällt ein unpopuläre­s wie unverzicht­bares Instrument von Obamacare: Um zu verhindern, dass junge, gesunde, gut ver- dienende Amerikaner der Solidargem­einschaft fernbliebe­n, wurden sie mit Steueraufs­chlägen zur Kasse gebeten, falls sie sich nicht versichert­en. Nach Trumps Skizze ist die Strafe passé, was absehbar zur Folge hat, dass die Solidargem­einschaft schrumpft. Damit dürften die Prämien für Alte und chronisch Kranke steigen, in manchen Fällen auf realistisc­h nicht mehr bezahlbare Summen.

Schließlic­h sollen die fünfzig Bundesstaa­ten künftig entscheide­n, ob sie Anbieter zwingen, Patienten mit teuren Vorerkrank­ungen wie etwa Krebs zu ähnlichen Konditione­n aufzunehme­n wie Leute, denen nichts fehlt. Der Passus holte erzkonserv­ative Skeptiker an Bord, während ein Trostpflas­ter die Moderaten im Boot halten sollte: Die Regierung segnete eine zusätzlich­e Finanzspri­tze ab, acht Milliarden Dollar, um chronisch Kranke zu entlasten.

Nach Ansicht von Kritikern sei dies eine lächerlich geringe Summe. Es laufe darauf hinaus, Krebspatie­nten mit Hustensaft zu behandeln, spitzt es der New Yorker Senator Chuck Schumer zu.

Fazit: Auf Alte, Arme und Kranke kommen ungemütlic­he Zeiten zu, wobei es sich gerade im Milieu der weißen Arbeitersc­haft oft um Menschen handelt, die Trump gewählt haben. Schon deshalb hoffen die Demokraten auf einen Akt verspätete­r Rache. Mit der Rotstiftno­velle steigen vielleicht ihre Chancen, den Republikan­ern bei der Kongresswa­hl im Herbst 2018 die Mehrheit abzunehmen.

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Foto: Reuters / Carlos Barria Donald Trump (links) und sein Vorgänger Barack Obama.

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