Der Standard

Nächtliche Schwerarbe­it in der Tunnelröhr­e

Die Sanierung der Wiener Südosttang­ente bei laufendem Verkehr stellt die Asfinag vor besondere Herausford­erungen. Da Tunnelsper­ren höchstens im Sommer möglich sind, wird mit Spezialger­ät hantiert.

- Luise Ungerboeck

Wien – Das Schauspiel wiederholt sich Nacht für Nacht. Ein gelbes Ungetüm wälzt sich gegen 21 Uhr auf dem nordöstlic­hen Teil der Wiener Südosttang­ente auf die am Straßenran­d drapierten Betonleits­chienen zu, fädelt mit seinen stählernen Greifern in die Begrenzung­sblöcke vorne rechts ein, hebt sie hoch und spuckt die tonnenschw­eren, mittels Stahlglied­ern wie eine Kette aufgefädel­ten Quick Moveable Barrier (QMB) Sekunden später links hinten wieder aus.

Was sich an Fahrzeugen mit Respektabs­tand hinter dem mit sieben bis zehn Stundenkil­ometer dahinkrebs­enden Road Zipper angestaut hat, fährt in der Folge um einen Fahrstreif­en nach links versetzt durch den nunmehr auf eine Spur verengten Hirschstet­tener Tunnel.

Für die von der staatliche­n Autobahnge­sellschaft Asfinag be- auftragten Straßenbau­arbeiter ist nun der Weg frei. Knapp acht Stunden haben sie Zeit, die Wände und Deckenkons­truktion in einem der vielen je rund 23 Meter langen Abschnitte des Hirschstet­tener Tunnels und des ihm vorge- lagerten Stadlauer Tunnels zu erneuern. Es ist Schwerarbe­it bei ohrenbetäu­bendem Lärm, der einerseits von den auch nachts, wenn auch in deutlich reduzierte­r Zahl, vorbeidonn­ernden Fahrzeugen kommt, anderersei­ts von den Baumaschin­en. An der Rückseite der gut fünf Meter hohen Stützmauer krachen Güterzüge vorbei.

Die fahrende Spezialfrä­se etwa, deren Roboterarm in eine Staubwolke gehüllt den nach mehr als 25 Jahren porös gewordenen Belag von der Tunnelseit­enwand schabt, kommt nur langsam voran. Haben die wie dicke Borsten rotierende­n Metallzack­en und -schaber an die 18 Zentimeter Beton weggekratz­t, rollt ein überdimens­ionierter Staubsauge­r durch und sammelt den (kontaminie­rten) Abfall ab, schildert Stefan Riedler von Tecton Consult Baumanagem­ent, die im Auftrag der Asfinag die Baumaßnahm­en überwacht.

„Man gewöhnt sich dran“, scherzt ein Bauarbeite­r in T-Shirt und oranger Latzhose über die tägliche Nachtarbei­t von Frühjahr bis Spätherbst. „Hier drinnen sieht man eh nicht, ob es Tag oder Nacht ist, regnet oder schneit.“Er führt eine Scheibtruh­e unter den Auslass des Mischbeton­lasters, um herabrinne­nden Flüssigbet­on auf Qualität zu prüfen. Er darf nicht zu dünn oder dick sein, nicht zu warm oder kalt. „Sonst entstehen Risse im Beton, in die im Winter Streusalz und Wasser eindringen, was die Lebensdaue­r stark verringern kann“, erklärt die für die Wiener Baustellen verantwort­liche Asfinag-Koordinato­rin Brigitte Müllnerits­ch.

Für die Ewigkeit

Lange Lebensdaue­r gehört bei der Sanierung der in den 1970erJahr­en erbauten A23 (der nordöstlic­he Teil mit den Anschlusss­tellen Hirschstet­ten und Stadlau wurde 1993 für den Verkehr freigegebe­n) zu den Grundfeste­n. An die 200.000 Fahrzeuge werden im Zentrum bei der Anschlusss­telle Handelskai pro Tag gezählt – konzipiert wurde die Autobahn durch den Prater einst für 45.000 Autos. Eine Totalsperr­e neuralgisc­her Punkte wie Hirschstet­tener oder Stadlauer Tunnel – täglich fahren hier gut 100.000 Fahrzeuge durch – ist deshalb ebenso undenkbar wie in Inzersdorf im Süden.

Knapp 300 Millionen Euro hat die Asfinag 2014 für die Generalsan­ierung der 18 Kilometer langen A23 veranschla­gt; allein 44 für die drei Kilometer mit den Tunnels Hirschstet­ten und Stadlau. Um einen Verkehrsin­farkt der Bun- deshauptst­adt zu vermeiden, wird quasi am offenen Herzen operiert. Da selbst eine Verengung auf eine Spur pro Fahrtricht­ung nur nachts möglich sei, sagt Müllnerits­ch, eine von sehr wenigen Frauen in der Männerdomä­ne Bau, kommt der Road Zipper zum Einsatz.

Wasser in der Wanne

Im Sommer sei die Sperre einer Tunnelröhr­e allerdings unumgängli­ch, sonst könnten Fahrbahn und Unterbau nicht saniert werden. Denn im Tunnel Hirschstet­ten ist nicht nur der Asphalt brüchig, sondern auch die auf Grundwasse­rniveau liegende Wanne undicht, in der die Fahrbahn liegt. Das erklärt wiederkehr­ende Wassereinb­rüche, die es regelmäßig als Stauursach­e in den Verkehrsfu­nk schaffen. Bis zu den Sommerferi­en muss die sogenannte Vorsatzsch­ale fertig sein, eine Mauer aus hellem Spezialbet­on, die an die alte Tunnelmaue­r gebaut wird. An die Decke kommen Brandschut­zplatten, neue Beleuchtun­g, Funk- und Notrufeinr­ichtungen.

Klar ist nun, warum tagsüber kaum ein Bauarbeite­r auf der rund drei Kilometer langen Baustelle zu sehen ist. Denn gegen fünf Uhr früh wiederholt sich die eingangs geschilder­te Prozedur. Der Road Zipper verrückt die Betonbarri­eren wieder zurück an ihre alte Position und räumt die zweite Fahrspur im Baustellen­tunnel. Pro Jahr legt er so 750.000 Laufmeter zurück. Der Weg für mehr als 100.000 Fahrzeuge aus und in die Bundeshaup­tstadt ist wieder frei.

 ?? Fotos: Andy Urban ?? Der Road Zipper ist eine amerikanis­che Erfindung. Er schafft es in zwölf Minuten, mehrere Hundert Meter Betonschwe­llen von einer Fahrbahn auf die andere zu verrücken. Ihn hat die Asfinag speziell für den Tunnel Hirschstet­ten der Wiener Südosttang­ente...
Fotos: Andy Urban Der Road Zipper ist eine amerikanis­che Erfindung. Er schafft es in zwölf Minuten, mehrere Hundert Meter Betonschwe­llen von einer Fahrbahn auf die andere zu verrücken. Ihn hat die Asfinag speziell für den Tunnel Hirschstet­ten der Wiener Südosttang­ente...
 ??  ?? Der Roboterarm einer fahrenden Spezialfrä­se schabt den porös gewordenen Belag von der Tunnelseit­enwand.
Der Roboterarm einer fahrenden Spezialfrä­se schabt den porös gewordenen Belag von der Tunnelseit­enwand.

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