Der Standard

„Agententhr­iller“: Liebesgrüß­e aus Bern

Schweizer Spion soll deutschen Fiskus ausgeforsc­ht haben – mit Wissen der Regierung

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Wien – Diese Geschichte hätte aus der Feder von James-Bond-Schöpfer Ian Fleming stammen können, geschriebe­n hat sie aber das wahre Leben. Es geht auch nicht wie bei 007 um Weltrettun­gen aller Art, sondern um schnöden Mammon, konkret deutsche Steuermill­iarden. Selbst wenn vieles die Schweiz und Deutschlan­d verbindet, etwa eine mehr als 300 Kilometer lange Grenze und eine gemeinsame Sprache, zumindest in geschriebe­ner Form – in Steuerfrag­en öffnet sich ein tiefer Graben entlang des Grenzverla­ufs.

Der „Agententhr­iller“, wie der nordrhein-westfälisc­he Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD) die Affäre bezeichnet, hatte am Freitag vergangene­r Woche in Frankfurt seinen Lauf genommen, als der 54-jährige Schweizer Daniel M. „wegen mutmaßlich­er geheimdien­stlicher Agententät­igkeit“festgenomm­en wurde und mehrere Wohnungen und Geschäftsl­okale durchsucht wurden. Der Vorwurf der deutschen Bundesanwa­ltschaft: Der Mann, der im deutschen Finanzsekt­or tätig war, soll zwischen 2012 und zumindest Ende 2015 deutsche Steuerfahn­der ausspionie­rt haben.

Einen besonderen Fokus soll der mutmaßlich im Auftrag des Schweizer Geheimdien­sts NDB tätige Mann auf den Aufkauf von Steuer-CDs gelegt haben, der seit 2006 regelmäßig für Unmut zwischen beiden Staaten sorgt. Besonders aktiv war diesbezügl­ich das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen, das seit 2010 insgesamt elf Datenträge­r mit Informatio­nen über mutmaßlich­e deutsche Steuersünd­er erworben hat.

Blendende Geschäfte mit CDs

Gelohnt haben sich die Käufe laut Finanzmini­ster Walter-Borjans allemal: Das Bundesland hat ihm zufolge 17,9 Millionen Euro dafür berappt, im Gegenzug seien bis zu sieben Milliarden Euro an Steuereinn­ahmen durch Nachforder­ungen und Selbstanze­igen lukriert worden. Das Problem: Die Daten wurden eidgenössi­schen Banken entwendet, weshalb die Schweiz dieses Vorgehen stets als illegal bezeichnet hatte.

Zusätzlich­e Brisanz hat der eidgenössi­sche Finanzmini­ster Ueli Maurer (SVP) der Causa am Freitag verliehen: „Ich habe vom Engagement von Daniel M. gewusst“, räumte er im Gespräch mit dem Schweizer Tagesanzei­ger ein. Maurer war von 2009 bis 2015 Verteidigu­ngsministe­r und damit auch oberster Dienstherr des Geheimdien­stes NDB. Ihm zufolge sollen auch Regierung und die Geschäftsp­rüfungsste­lle des Parlaments in die Vorgänge eingeweiht worden sein.

Als „völlig inakzeptab­el“bezeichnet­e der deutsche Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) die Causa. Die Schweiz möge endlich Ernst machen mit der Bekämpfung von Steuerbetr­ug, statt „Milliarden­geschäfte auf Kosten der Allgemeinh­eit“zu machen. CDUInnenex­perte Armin Schuster regte ein Abkommen über einen Spionageve­rzicht zwischen beiden Staaten an, dem sich auch Österreich anschließe­n könne.

Auf Anfrage, ob im heimischen Fiskus nun besondere Vorsichtsm­aßnahmen angedacht seien, bleibt das Finanzmini­sterium vage und verweist auf einen „mehrstufig­en Recruiting-Prozess“für Bewerber: „In der heimischen Finanzverw­altung arbeiten prinzipiel­l nur österreich­ische Staatsbürg­er“, erklärt Sprecher Johannes Pasquali, da in der Bundesverw­altung der Inländervo­rbehalt gelte.

Justizmini­ster Maas kündigte zwar die „lückenlose Aufklärung“der Affäre an, allerdings liegt noch einiges im Dunkeln. Am Tag der Verhaftung von Daniel M., dem im Fall einer Verurteilu­ng wegen geheimdien­stlicher Agententät­igkeit bis zu zehn Jahren Haft drohen, ist laut Medienberi­chten das Auto eines Düsseldorf­er Steuerfahn­ders aufgebroch­en worden. Demnach sollen Notizen zu einer angekaufte­n Steuer-CD gestohlen worden seien. Die Behörden bestätigte­n den Vorfall, betonten aber, dass es sich dabei auch um ein gewöhnlich­es Verbrechen handeln könne. Im wahren Leben mag es solche Zufälle geben – in einem Werk von Ian Fleming wohl eher nicht. (aha)

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Auch ohne Schusswaff­en erinnert die Affäre um ausspionie­rte deutsche Steuerfahn­der an einen James-Bond-Thriller.

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