Der bezaubernde Trickster
Wladimir Kramnik spielt sich in die Herzen der Schach- und Zauberkünstler. Von ruf & ehn
„Die Vernunft wird geblendet durch die strikte Anwendung der Vernunft. Ununterscheidbar der Fortschritt des Schwindels vom Schwindel des Fortschritts. Das Publikum taumelt, der Beifall will nicht mehr enden.“So schrieb einst Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedichtband Mausoleum über den großen Zauberkünstler Jean-Eugène Robert-Houdin (1805–1871), berühmt für seine magischen Automaten und seine magischen Effekte, mit denen er sein Publikum in Atem hielt. Robert-Houdin war ein Zauberkünstler, nicht bloß ein einfacher Magier, und manches, was Enzensberger über ihn notiert, könnte auch für Wladimir Kramnik, den Zauberer, gelten.
Die englische Sprache verfügt dabei über eine instruktive Unterscheidung: Auf der einen Seite gibt es den „trickster“, also den Manipulator, der mit Tricks und Kunststücken unterhält, und es gibt den „enchanter“, den Bezauberer. Seine Kunst beruht zwar auch auf Illusion und Täuschung des Publikums, einer Täuschung allerdings, die weit über den billigen Effekt hinausgeht. In den besten Momenten vermag der Trickster zu einem Enchanter zu werden: Auch wenn wir wissen, dass alles bloß ein Trick war, so sind wir von seiner Kunst bezaubert und staunen wie Kinder.
Bislang war Wladimir Kramnik nicht eben bekannt für Magie, Schwindel und Risiko. Seine ganze Karriere lang galt er als kühl kalkulierender Stratege, als ein Wahrheitssucher und vor allem als ein Wahrheitsfinder. Kramniks Stil hat sich jedoch in den letzten Jahren gewandelt. Vom rein rational agierenden Strategen wurde er zum dynamischen Taktiker, in seinen Partien scheint der objektiv richtige Zug nicht mehr der einzige Maßstab seiner Entscheidungen. Die folgende Glanzpartie des Großen Wlad wird ohne Zweifel in die Lehrbücher eingehen, die Frage ist nur, ob in die Lehrbücher der Schach- oder in die der Zauberkunst oder in die beider. Sehen Sie selbst, und unterwerfen Sie sich lustvoll der Kunst des Magiers: Das Kaninchen erscheint im Zylinder des 25. Zuges.
Kramnik – Harikrishna Shamkir 2017 Eine der populären AntiMarshall-Aufstellungen der Spanischen Partie.
Die neueste Mode. Ein Rückzug im Breyer-Stil. Der Springer soll über d7 und c5 auf aktivere Position gebracht werden, danach sollen Lb7 nebst Te8 und Lf8 die Entwicklung vollenden.
Um nach weißem d4 sofort mit cxd4 eine offene Linie für den Turm zu bekommen.
Ein Zug, der die Partie in taktische Fahrwasser lenkt. Ruhiger war 14.La2 oder 14.Lc2.
So isoliert Harikrishna den Be4 und erobert ihn. Denn 15.Lc2 cxd3 16.Lxd3 Te8 nebst Sc5 führt zu einer exzellenten Stellung für Schwarz.
Schwächer wäre 15... Sxe4?! 16.cxb5 Sdc5 17.a4.
Denn nach 16.Sxd6? Lxd6 17.Dxd6 Sc5 hat Weiß zu viele weißfeldrige Schwächen.
Im Ausgleichssinn war 19.Lc2 Lxc2 20.Dxc2 Se6 21.Lh4 zu empfehlen. Wieder will Kramnik mehr als 20.Lxf6 Dxf6 21.Te3. Zwingt den Läufer in eine passive Position.
Schwarz sichert den Königsflügel und droht Sd3, sodass Weiß keine Zeit hat, den Bb5 zu inhalieren.
Wieder bleibt keine Zeit für 24.Dxb5 wegen 24... f5 nebst f4. Ein selbstverständlicher Zug, und doch war Vorsicht angebracht: 24... f6 oder 24... Tfe8 waren gute Alternativen.
Der Zug des Jahres, über den trotz Computers noch lange diskutiert werden wird. Ein „Bluff“, ein „genialer Schwindel“in bedenklicher Stellung, oder gibt dieses Turmopfer reale Chancen? Die Partie wird in Abgründe geführt, die für Schwarz kaum zu meistern sind. Die Computer bevorzugen 25.Sxe5 f4! bzw. 25.Txd6?! Sxd6 26.Dxe5+ Dxe5 27.Lxe5+ Tf6! jeweils mit schlechter Stellung für Weiß.
Der erste Zug in die falsche Richtung. Das mutige 26... Kg6! 27.Ld4 Lg8 28.Lb1 Lc4 half Schwarz, das weiße Spiel zu beschränken.
Befreit die Bauern.
Dieses Tauschangebot wird natürlich verweigert.
Die Bauernphalanx setzt sich gefährlich in Bewegung. Danach ist für Weiß wieder alles in Ordnung. Das schwer zu findende 33... Da6 34.Db2 Lxc4 bewahrte den Vorteil. Danach steht schon Weiß besser. Wer wird die Bauern aufhalten?
Der letzte Fehler in schwieriger Lage. Nach 36... Db3! 37.Da1 Kg6! spielt Schwarz mit. Verzweiflung, weil auch 37... Lf7 38.c7 Tc8 39.b6 verliert.
Leitet mit scharfem Blick den Schlussangriff ein. Oder 39... Sxe4 40.Txe4! Dxe4 41.Lg7+ Ke7 42.Df6 matt.
Und 1-0, da Schwarz Haus und Hof verliert (42... Tdd8 43.Lh8, 42... Dxe5 43.Lg6+). Kb2 3. Ka4 Lc42.
axb6 Sb6!!1. Vorwoche):( 2626 Lösungen: