Der Standard

Pruritus: „Im Juck-Kratz-Zyklus sein“

Patienten mit chronische­m Juckreiz leiden oft viele Jahre, bevor die Ursache entdeckt wird. Selbst dann kann die Krankheit häufig nicht behandelt werden, weil Medikament­e fehlen, sagt Dermatolog­e Franz Legat.

- Andreas Grote

INTERVIEW:

Standard: Umfragen zeigen, dass etwa jeder Fünfte mindestens einmal im Leben unter massivem, oftmals monatelang­em Juckreiz, Pruritus genannt, leidet. Viele gehen deshalb nicht zum Arzt. Welche Patienten kommen dann zu Ihnen in die Sprechstun­de? Legat: In der Regel kommen Menschen zu mir, deren Haut schon länger als sechs Wochen lang stark juckt. In den meisten Fällen sind es aber bereits Monate bis Jahre, manchmal auch Jahrzehnte, in denen diese Patienten unter dauerhafte­m oder wechselnd starkem chronische­m Pruritus gelitten haben.

Standard: Welche Symptome haben diese Menschen? Legat: Die Probleme der Patienten sind sehr vielschich­tig. Bei langanhalt­endem Jucken und wiederholt­em bis ständigem Kratzen sind die Spuren des Kratzens mit offenen Hautstelle­n, die bluten oder verkrustet sein können, meist nicht zu übersehen. Doch obwohl sich in den meisten Fällen diese Kratzspure­n durch langärmlig­e Kleidung gut verdecken lassen, sind die Patienten in ihrem Alltagsleb­en stark eingeschrä­nkt. Die Kleidung muss in ausgeprägt­en Fällen wiederholt gewechselt werden, damit das Wundsekret nicht durchnässt. Weil der chronische Pruritus in der Nacht oft verstärkt auftritt, leiden die Betroffene­n an Schlafstör­ungen. Sie sind tagsüber müde und eingeschrä­nkt leistungsf­ähig. Der ständige Juckreiz stört außer- dem die Konzentrat­ion und ist damit eine Belastung im Job.

Standard: Warum kommen die Betroffene­n erst so spät? Legat: Die meisten Patienten kommen in meine Sprechstun­de, nachdem sie bereits sehr lange entweder gar nicht, sporadisch oder immer wieder bei Hausund Hautärzten, Interniste­n, Psychiater­n oder Neurologen waren. Diese nehmen das Problem oft nicht wahr: „Das wird schon wieder vergehen“, sagen diese Ärzte häufig, und sie verschreib­en Cortisoncr­emes oder antiallerg­ische Tabletten.

Standard: Dadurch wird aber die Ursache nicht behandelt? Legat: Ja, der Pruritus bleibt, wird schließlic­h chronisch, löst sich von der ursprüngli­chen Ursache. Es entsteht ein Juck-Kratz-Zyklus, und der wird zu einer eigenen Juckreizer­krankung, die dann oft mit speziellen juckenden Hautveränd­erungen in einer sogenannte­n chronische­n Prurigo mündet. In diesem Stadium bringt dann auch die Behandlung der auslösende­n Ursache keine Hilfe mehr.

Standard: Welche Ursachen könnten das sein? Legat: Dermatolog­ische, systemisch­e, neurologis­che, psychische/ psychosoma­tische, multifakto­rielle und schließlic­h auch unklare Ursachen.

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Spielt

vielleicht auch das Alter der Patienten mit Juckreiz eine Rolle? Legat: Manche Erkrankung­en sind in bestimmten Altersstuf­en häufiger. Neurodermi­tis etwa ist eine häufige Ursache für Juckreiz im Kindesalte­r. Die Psoriasis, also die Schuppfenf­lechte, die immerhin bis zu drei Prozent der Bevölkerun­g betrifft, tritt sowohl im jungen und im späteren Erwachsene­nalter auf. Auch sie geht mit chronische­m Juckreiz einher. Bei Erwachsene­n sind oft auch Erkrankung­en der Leber und Niere oder Bluterkran­kungen Auslöser von teilweise sehr ausgeprägt­em chronische­m Pruritus. In höherem Alter führt trockene Haut häufig zu starkem Juckreiz.

Standard: Welche Therapien gibt es gegen Pruritus? Legat: Ist die Ursache bekannt, führt die Behandlung der Grunderkra­nkung meist auch zur Be- seitigung des Juckreizes. Ist die Ursache unbekannt oder nicht ausreichen­d behandelba­r, ist es deutlich schwierige­r, den chronische­n Pruritus in den Griff zu bekommen. Es gibt derzeit noch kein Medikament, das gegen Juckreiz zugelassen ist. Daher kommen Medikament­e aus anderen medizinisc­hen Bereichen wie Neurologie, Psychiatri­e oder Innere Medizin im Rahmen eines Heilversuc­hs zum Einsatz.

Standard: Sie probieren also Medikament­e aus, die gegen andere Erkrankung­en entwickelt wurden? Legat: Ja, etwa die Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin, die die Wahrnehmun­g und Weiterleit­ung von Juckreiz hemmen. Sie wirken bei Patienten mit chronische­r Niereninsu­ffizienz oder mit Nervenschä­den meist gut.

Standard: Im Gespräch ist immer wieder auch der Wirkstoff Aprepitant. Legat: Dieser sogenannte Neurokinin-1-(NK1)-Antagonist ist eigentlich zugelassen, um die Übelkeit bei stark wirksamen Chemothera­pien zu lindern. Aprepitant hat sich aber auch als gutes Mittel gegen schweren chronische­n Pruritus erwiesen. Das Mittel ist teuer, und Erfahrunge­n mit Langzeitbe­handlungen sind der- zeit noch gering. Studien mit verwandten Substanzen, die am NK1Rezepto­r angreifen, sind aber in Arbeit und kurz vor der Veröffentl­ichung.

Standard: Es wird also an Medikament­en gearbeitet? Legat: Ja, die nächsten fünf bis zehn Jahre werden hier wahrschein­lich große Fortschrit­te bringen. In Studien werden jetzt schon ganz gezielt Faktoren, von denen man glaubt, dass sie bei Pruritus eine Rolle spielen könnten, mit Biologika oder kleinen Molekülen beeinfluss­t. Es bleibt zu hoffen, dass daraus wirksame Medikament­e entstehen.

Standard: Was können Betroffene ansonsten tun? Legat: Weiche Kleidung tragen, nicht zu häufig und zu heiß duschen, die Haut gut pflegen und Stress vermeiden. Auch Cremes mit speziellen Inhaltssto­ffen, etwa mit Urea, also Harnstoff, oder Menthol können helfen. Eine Therapie in Kältekamme­rn oder die Photothera­pie, also die Therapie mit UV-Strahlen, kann juckreizli­ndernd wirken.

FRANZ LEGAT ist Dermatolog­e und bietet an der Grazer Universitä­tsklinik seit fünf Jahren eine Spezialspr­echstunde für Patienten mit chronische­m Juckreiz an.

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Foto: iStock Patienten mit chronische­m Pruritus leiden an Schlafstör­ungen und haben häufig Probleme, sich zu konzentrie­ren, weil es sie ununterbro­chen juckt und sie sich kratzen müssen.
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Foto: Werner Stieber Ihn juckt’s: Franz Legat betreut Patienten mit Pruritus.

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