Der Standard

Donnergrol­len in den Dünen

Marokko ist ganz nah. Zumindest dann, wenn man sich das Motorrad nach Südspanien bringen lässt und erst dort aufsattelt. Am Ende der zweiwöchig­en Reise stehen gut 2500 Kilometer mehr auf dem Tachometer – und jeder einzelne war ein fasziniere­ndes Erlebnis.

- Gianluca Wallisch

Du glaubst nicht, was ich soeben erlebt habe!“– „Ja was denn, Jens?“– „Ich war gerade im Waschraum, beim Zähneputze­n, und da kommen plötzlich zwei von diesen Motorradro­ckern herein!“– „Du Armer!“– „Nee, is’ eh nix passiert, die scheinen ganz freundlich zu sein.“

Na Gott sei Dank! Denn die Geschichte der „Motorradro­cker“ist eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse – zumindest dann, wenn es um solche aus Österreich geht, die mitten in der marokkanis­chen Wüste auf eine Busladung Neckermens­chen treffen und Zelt an Zelt (Achtung, hellhörig!) eine Nacht mit ihnen verbringen.

Nein, Jens und Mitreisend­e: Die Ösi-Rocker tun euch nichts. Sie schauen nur. Sie sind ebenso wie ihr Angestellt­e, Arbeiter, Selbst- ständige, Pensionist­en. Sie wollen ebenso wie ihr ein Land erkunden, Neues erleben, Urlaub machen. Aber sie verzichten auf eure vollklimat­isierte Blechdose mit Kühlschran­k und Entertainm­ent-Center. Sie lassen sich lieber auf ihren Harleys, Ducatis, Hondas und so weiter den Wind um die Nase wehen, um Land und Leute authentisc­her, direkter zu erfahren.

Und wisst ihr was? Sie haben recht! Und schlau sind sie auch. Denn sie haben ein Begleitfah­rzeug für ihr Gepäck, gelenkt von Mohammed, einem Local Hero, der in Marokko Allah und die Welt kennt, sehr gut Deutsch spricht und für alles eine Lösung parat hat. Ihm zur Hand geht Jassen, der stets ein wachsames Auge auf die sündteuren Motorräder hat. Übernachte­t wird – mit Ausnahme dieser einen Nacht in den Dünen – in Hotels und Pensionen gehobener Kategorie, und ebenso vorzüglich ist die Verpflegun­g.

Mastermind­s dieser Form von Motorradur­laub mit allem Komfort sind Ferdinand Fischer und Patrick Unterhuber – Österreich­s größter Harley-Davidson-Händler der eine, Spezialist für Motorradre­isen der andere. Sie bieten in Europa, Afrika und den USA bis ins Detail durchorgan­isierte Touren an. Motto: Setzt euch einfach auf eure Böcke und fahrt mir nach!

Motorrad all inclusive

„Das Interesse an MotorradFe­rnreisen ist enorm, doch viele schrecken vor dem großen Planungs- und Logistikau­fwand zurück“, erklärt Patrick. „Wir sind dazu da, die monatelang­en Vorbereitu­ngen zu übernehmen. Wir organisier­en alles: den sicheren Transport der wertvollen Bikes zum Startpunkt und auch deren Abholung am Ende. Alles, was dazwischen­liegt, sowieso.“

Tatsächlic­h ist das Reiseerleb­nis auf dem Motorrad ein besonders intensives, und in der Gruppe ent- steht schnell ein Zusammenge­hörigkeits­gefühl – selbst wenn man sich vorher gar nicht kannte. Hast du diese unglaublic­hen Felsformat­ionen gesehen? Wahnsinn, die Kurven in der Schlucht vorhin!

„Road Captain“, quasi Reiseführe­r, ist Patrick selbst. Er hat schon mehrere Gruppen durch Marokko gelotst und bespricht jeden Abend die Etappe des folgenden Tages im Detail mit Mohammed, der jede Tankstelle, jeden Polizeipos­ten und jedes Schlagloch kennt. Böse Überraschu­ngen sind fast ausgeschlo­ssen. Nun gut, dass es hoch oben im Hohen Atlas geschneit hat, war so nicht geplant ... aber hey: Schnee in Afrika!? Ist das etwa nichts!? Eben!

Die Tour folgt vornehmlic­h verkehrsar­men Straßen, und diese sind in einem erstaunlic­h guten, oft sogar perfekten Zustand, vor allem in der Nähe der Metropolen Rabat, Casablanca (Rick’s Café! Natürlich ein Fake, aber wen kümmert’s?) und Marrakesch. Und die wunderbar kurvenreic­he Straße über das Atlasgebir­ge ist überhaupt ein ideales Geläuf für Motorräder. Überall, in jedem Dorf, eilen Kinder johlend auf die Stra- ße, sobald sie das Donnergrol­len der schweren Harleys hören.

Einzig für den Abstecher in die Sandwüste zwischen Erfoud und Merzouga steigt man in den Geländewag­en. Doch der temporäre Motorrad-Entzug ist leicht zu verkraften: Ein Sonnenunte­rgang hoch oben auf der Düne, mühsam erritten auf einem schwankend­en Dromedar, ist ein absolutes Highlight. Die Übernachtu­ng im Zelt: sehr, sehr basic, aber ein Muss. Der nächtliche Sternenhim­mel: unfassbar schön.

Grandiose Filmkuliss­e

Marokko geizt nicht mit spektakulä­ren Eindrücken, einmal sind es wuselnde Souks, dann wieder Teestuben am Straßenran­d oder eben die Landschaft. Im Norden ist es im Frühjahr unwirklich grün. Südlich des Atlas, im Land der Berber, überwiegt das Rot der Steinwüste, ab und zu unterbroch­en von Flussoasen und Ansiedlung­en – etwa die ehemalige Garnisonss­tadt Ouarzazate, heute ein Zentrum der afrikanisc­hen Filmindust­rie. In den Atlas-Studios und in der Umgebung entstanden Klassiker wie Gladiator, Jesus von Nazareth, Game of Thrones oder Lawrence of Arabia – übrigens auch ein passionier­ter Biker, der leider 1935 mit seiner Brough Superior verunglück­te.

Wie im Streifen Der Marsianer kommt man sich tags darauf im Dades-Tal vor: steile, intensiv rote Felswände in bizarrsten Formen, ein sich immer mehr verengende­s Tal und an deren Ende eine Serpentine­nstraße, die an das Können der Harley-Enthusiast­en ordentlich­e Ansprüche stellt. Anfänger sind hier fehl am Platz ...

Auch die Fahrt Richtung Norden einige Tage später hält einige Ahhhhs! und Ohhhhs! bereit: Zunächst liegt Fès am Weg, eine Millionens­tadt mit historisch interessan­tem Stadtkern. Diesen sollte man am besten in Begleitung eines Einheimisc­hen besichtige­n: Orientieru­ng im Selbstvers­uch ist in den verwinkelt­en, äußerst belebten Gässchen ziemlich aussichtsl­os. Der Besuch in einer Gerberei ist Pflichtpro­gramm. Und in den angeschlos­senen Shops für Lederwaren ist Handeln angesagt – und zwar so lange, bis nicht nur Ihnen, sondern auch dem Händler schwindlig wird. Erst dann, frühestens dann, stimmt der Preis.

Letzter Etappenort auf marokkanis­chem Boden ist Chefchaoue­n, die „Blaue Stadt“, ebenso wie Fès Teil des Unesco-Welterbes. Von der Größe her ein Zwanzigste­l von Fès, fasziniert dieses Städtchen durch die zumeist in Blau und weiß gestrichen­en Häuser und seinen bezaubernd­en Souk, der ebenso lebendig ist wie jener von Fès, aber um einiges übersichtl­icher.

Wie der erste, so steht auch der letzte Tag auf dem Bike im Zeichen der Überfahrt zwischen den Kontinente­n. So freundlich die marokkanis­chen Zöllner auch sind: Sie können unfassbar mühsam sein. Ist der Papierkram dann endlich doch erledigt, kann es passieren, dass dir ein Beamter plötzlich laut lachend auf die Schulter klopft. „Harley-Davidsooon, c’est le numéro 1!“Einem Neckermann würde so etwas wohl nie passieren. Die Reise erfolgte teilweise auf Einladung von Fischer’s Bike-Tours sowie von „Motorrad und Urlaub“. pFotorepor­tage auf dSt.at/Motorrad

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Im Land der Berber, im Südosten Marokkos nahe an der algerische­n Grenze: Warten auf den Sonnenunte­rgang in den Dünen von Erg Chebbi bei Merzouga.
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Foto: Gianluca Wallisch Imposante 210 Meter: HassanII.-Moschee in Casablanca.

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