Der Standard

Aufdecker Bernstein: Zeit für Aggression

Unter US-Präsident Trump sollten sich Journalist­en auf ihr Handwerk besinnen. Das fordert Carl Bernstein, der einst Richard Nixon zum Rücktritt zwang. Seine Kollegen machen ihn mitunter grantig.

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Wien – Die Journalist­enlegende Carl Bernstein scheut sich nicht, seine Unzufriede­nheit mit Teilen der Branche auszudrück­en. So auch am Freitag in Wien: Die Journalist­en beim Pressegesp­räch am Freitag waren ihm zu schlecht vorbereite­t – nur wenige der Anwesenden hatten auch Bernsteins Keynote-Rede bei den Journalism­ustagen am Vortag gehört. Dass der Aufdecker von Richard Nixons Watergate-Skandal nun nicht darauf Bezug nehmen konnte, verursacht­e offensicht­lichen Koryphäeng­rant.

Das „wirkliche Versagen“will der 73-Jährige aber in den USA beobachtet haben, „vor allem bei den Fernsehnac­hrichten im Vorwahlkam­pf“des vergangene­n Jahres. Noch bevor Donald Trump zum Kandidaten der Republikan­er gewählt wurde, hätten die Fernsehsen­der tiefgehend­e Porträts senden sollen – sowohl über Hillary Clinton als auch über den nunmehrige­n Amtsinhabe­r. Medien hätten „über vieles berichten sollen, über das sie nicht berichtet haben“, schalt Bernstein.

Als Schwarzmal­er will sich der Journalist dennoch nicht verstanden wissen. „Wir leben im goldenen Zeitalter des investigat­iven Journalism­us“, nennt er als Grund zum Optimismus. Und während etliche lokale Tageszeitu­ngen in den USA nun nicht mehr bestünden, gebe es im tagesaktue­llen Bereich „keine besseren journalist­ischen Organisati­onen auf der Welt als die Washington Post, die New York Times und das Wall Street Journal. Zugegeben, wir haben heute weniger als früher; aber das sind tolle Organisati­onen.“

Zeit für tiefe Grabungen

So vernichten­d Bernstein die Berichters­tattung vor der Nominierun­g Trumps kritisiert­e, so zufrieden ist er mit der Arbeit seiner Kollegen, seit Trump Präsident ist: „Die Berichters­tattung über den Präsidente­n ist wirklich gut. Wäre es nicht so, würde er sich wohl nicht so sehr darüber aufregen.“Jetzt sei die Zeit, tief zu graben und aggressiv zu recherchie­ren. Die „best obtainable version of the truth“(etwa: beste verfügbare Version der Wahrheit, Anm.), die Phrase, die Bernstein als Zielvorgab­e für den Journalism­us geprägt hat, sei „ein einfaches Konzept, aber sehr schwierig zu erreichen“.

Auf die Frage eines ORF-Journalist­en, wie mit politische­n Interventi­onen umzugehen sei, hatte Bernstein jedenfalls eine in der Theorie ebenfalls einfache Antwort: „Berichten Sie.“

Bei der Abendveran­staltung der Journalism­ustage am Donnerstag wurde die Sozialrepo­rtage Generation Haram der Biber- Journalist­in Melisa Erkurt als „Story des Jahres“ausgezeich­net. Der Artikel behandelt radikale Tendenzen unter muslimisch­en Jugendlich­en in Wien und „weckt Emotionen, ohne alarmistis­ch zu sein“, würdigte Jurymitgli­ed Sibylle Hamann den Text.

Lob aus der Community

Autorin Erkurt gestand, dass sie nach der Veröffentl­ichung des Artikels mit einem Shitstorm aus der muslimisch­en Community gerechnet habe – tatsächlic­h wurde sie dafür gelobt. Erkurt führt das darauf zurück, dass sie selbst Muslima ist, das sei „nicht fair“. Sie wolle sich dafür einsetzen, dass auch nichtmusli­mische Journalist­en bei Kritik am Islam nicht sofort als islamophob abgestempe­lt werden. (sefe)

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Watergate-Aufdecker Carl Bernstein stellt Ansprüche an Journalist­en: Trump hätte man viel früher unter die Lupe nehmen müssen – und zu seinem Pressegesp­räch sollte man vorbereite­t erscheinen.

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