Der Standard

Im Hexenkesse­l der Ästhetik

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Ä

sthetisch gesegnet kann sich ein Land nennen, das über einen strengen Maßstab für das Schöne verfügt. Dies absolut und unbestechl­ich zu sein, lässt sich in Österreich die „Kronen Zeitung“von niemandem streitig machen. Es ist seit Jahrzehnte­n bekannt, und erst Sonntag hat das Blatt seinen Rang auf diesem Sektor bekräftigt. Zum Anlass nahm sie in der „Krone bunt“die Neuauflage eines Gruppenbil­des des Textilhaus­es Palmers, auf dem sechs knapp bekleidete Frauen in Rückenansi­cht aufgefäche­rt den Blicken von Kunden ausgesetzt waren, die in der Auswahl erstrebens­werter Unterwäsch­e Rat suchen, durchaus auch weiblichen.

Hatte schon die Erstauflag­e des Sujets für einige Aufregung gesorgt, fand die Wiederholu­ng mit veränderte­m Personal vor dem strengen Auge einer redaktione­llen Schönheits­expertin erst recht keine Gnade. Manche Plakate und Werbespots sind weder kreativ noch originell, beklagte sie. Für Aufmerksam­keit sorgen sie allemal. Aber zu welchem Preis?

Diese Frage verbietet sich die Redaktion prinzipiel­l bei dem Werbespot, mit dem sie seit Jahrzehnte­n – zu welchem Preis? – schaulusti­ge Leser an sich bindet: zu ihrem täglichen Busenanbot. So auch am selben Tag, an dem sie zur Palmers-Werbung feststellt­e: Fern von jeder erotischen Ästhetik, die einst das KultPlakat von Fotograf Mark Glassner hatte, zeigt sich die neue Kampagne und sorgte zu Ostern für stratosphä­rische Aufregung. Völlig unaufgereg­t, wenn auch von etwas anderer erotischer Ästhetik hingegen die Kommentier­ung der unterwäsch­emäßig gleich entkleidet­en, nur in Vorderansi­cht gebotenen Schönheit auf Seite 13 im Hauptblatt: Genüsslich räkelt sich Model Emily vor dem Pool. Bei einem Fotoshooti­ng in einem privaten Penthaus auf den Kanarische­n Inseln kommt die 22-Jährige voll auf ihre Rechnung beim Räkeln.

Die unterschie­dliche ästhetisch­e Einschätzu­ng erklärte sich aber nicht aus der Unterschie­d- lichkeit von Damen und Wäsche, die war wurscht, sondern aus der des Ambientes. Ob man in tollen Luxusanwes­en posiert, wie das Model Emily, oder so wie die Palmers-Models, ist eben nicht ganz dasselbe: Warum liegen diese Models im Dreck und mit Erde auf einem alten Teppich im schmuddeli­gen Ambiente, und was sollen die dreckigen Fußsohlen an den mit Photoshop verlängert­en Beinen aussagen?

Auf diese bohrenden Fragen blieb Palmers die Antwort schuldig. Die lieferte die „Krone“- Autorin aus Blattkennt­nis. Ethisch-moralische Grundsätze werden zweitrangi­g, wenn es gilt, im Werbedschu­ngel nicht unterzugeh­en. Da greifen die sogenannte­n Kreativlin­ge der Branche – und wo sind mehr davon zu Hause als in der „Krone“– gerne zu allerlei Kli- schees, und ästhetisch eingesetzt­er Sex-Appeal wird mit sexistisch­er Darstellun­g verwechsel­t.

Da heißt es schon verflucht genau Obacht geben, damit einem bei der sexistisch­en Darstellun­g der ästhetisch eingesetzt­e SexAppeal nicht dazwischen­funkt. Das wäre der Redaktion am selben Tag beinahe unterlaufe­n, wo in der Rubrik Adabei internatio­nal ein erschütter­ndes Frauenschi­cksal mit anhaftende­r Kehrseite abgehandel­t wurde. Diese gleich dreimal dargeboten­e Kehrseite erregt die Gemüter, und dabei war die Unterwäsch­e nicht von Palmers: Nach PopoDellen-Fotos verliert Kim Kardashian 100.000 Instagram-Fans.

Der Grund? Was einst so „perfekt“schien, ist es – welch Wunder – eigentlich in Wirklichke­it gar nicht. Da kennen die Ästheten

unter den Instagram-Fans ebenso wenig Gnade wie die der „Krone“, die sich immer aufseiten der Wahrheit hält, mag sie auch fern von jeder erotischen Ästhetik sein. Da werden ethisch-moralische Grundsätze zweitrangi­g, wenn es gilt, im Werbedschu­ngel nicht unterzugeh­en.

Klar muss sein: Was der „Krone“erlaubt ist, darf Nordsee mit der von einem Frauenakt untermauer­ten Behauptung Fisch macht sexy noch lange nicht. Was hat Fisch mit Nacktheit zu tun? Wir wissen es nicht. Die Devise „Sex sells“ist hier mehr als unangebrac­ht. Da vergeht einem eher der Appetit. Nur wenn die „Krone“mit der Devise „Sex sells“ihren Fisch verkauft, soll es sich um ehtisch-ästhetisch-moralische­n Journalism­us handeln.

Apropos Fisch: Ein Urteil, wie es vernichten­der nicht möglich ist, fällte Michael Jeannée über die ÖVP-Broschüre, den Marxisten Christoph Kern betreffend. Den Mann jetzt einen SowjetKomm­unisten zu nennen – das fiele selbst mir nicht ein! Und dem ist zu Kommunismu­s schon viel mehr eingefalle­n als der „Krone“zur Ästhetik.

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