Der Standard

Die Realitäten im Inneren des Körpergehä­uses

Die Albertina zeigt unter dem Titel „Zwiegesprä­che“80 Zeichnunge­n und Aquarelle der vor drei Jahren verstorben­en großen österreich­ischen Künstlerin Maria Lassnig. Neben Schlüsselw­erken sind in der großartige­n Schau auch noch nie ausgestell­te Blätter zu se

- Andrea Schurian

Wien – „Ich werde“, sagte Maria Lassnig in unserem letzten großen Interview vor ihrem Tod düster, „auch nach dem Tod noch lange nicht so gewürdigt sein, wie ich es sollte. Das klingt hochmütig. Aber es ist so, dass man meine Kunst nicht in dem Maße würdigt, wie ich es verdiene.“Vermutlich wäre die Weltklasse­künstlerin, die heute vor drei Jahren, am 6. Mai 2014, 94-jährig starb, mit der aktuellen musealen Präsentati­onsdichte aber doch einigermaß­en zufrieden: Abgesehen von Ausstellun­gen im Museum Folkwang in Essen, in der Stadtgaler­ie in Athen und im Palazzo Pitti in Florenz hängen ihre Zeichnunge­n und Aquarelle derzeit in der Albertina – und zwar auf einer Ebene mit Pablo Picasso. Bei aller Unterschie­dlichkeit der beiden Persönlich­keiten und deren künstleris­chem Vokabular: Das passt!

Wie bei Picasso ist auch Lassnigs fast achtzig Jahre umspannend­es, ebenso visionäres wie innovative­s OEuvre eingebette­t in ein überrasche­ndes Früh- und ein betörendes Alterswerk. Dies beweist aufs Anschaulic­hste auch die Albertina-Ausstellun­g, in der erstmals seit Lassnigs Tod ausschließ­lich Zeichnunge­n und Aquarelle gezeigt werden (sechs, darunter Fettes Selbstport­rät von 1958, gehören dank eines Fundraisin­g-Dinners neuerdings der Albertina).

Schlüsselw­erke und etliche bisher selten oder noch nie gezeigte Blätter hat Kuratorin Antonia Hoerschelm­ann unter dem treffenden Titel Zwiegesprä­che zu einer erhellende­n, zutiefst berührende­n Chronologi­e von Lassnigs Hoffnungen, Enttäuschu­ngen, Verletzung­en, ihren Ängsten und Aggression­en geordnet.

Dialoge mit sich selbst

Ihr gesamtes Künstlerle­ben lang beschäftig­te sich Lassnig mit ihrem Körper, trat in einen nie abreißende­n Dialog mit sich selbst und schlug aus ihrem innersten Ich immer wieder Brücken zur Außenwelt. Zunächst porträtier­te sie sich als kritisch in die Welt blickendes junges Mädchen im kräftigen Kolorit des Nötscher Kreises; ein paar Jahre später nahm sie für ihr Sex-Selbstport­rät (1949) künstleris­che Anleihen bei den Kubisten, für das ebenfalls 1949 entstanden­e Selbstport­rät als Zitrone bei den Surrealist­en und für ihre Statischen Meditation­en schließlic­h beim Informel.

Nachdem sie innerhalb kürzester Zeit die interessan­ten Kunstström­ungen des 20. Jahrhunder­ts durchforst­et hatte, suchte sie, wie sie in ihrem Tagebuch notierte, „eine Realität, die mehr im Besitz wäre als die Außenwelt, und fand als solche das von mir bewohnte Körpergehä­use“. Mit ihrer unverwechs­elbaren künstleris­chen Sprache, mit kräftigen Kohle- und kristallin­en Bleistifts­trichen oder in der für sie typischen bleichen Aquarellfa­rbigkeit erzählte sie fortan unverdross­en von ihrem Körperbewu­sstsein, stellte sich, ihre Abgründe und Seelenqual­en, ihre Erfahrunge­n und Empfindung­en, ihre Gedanken und inneren Spannungen im wahrsten Sinn des Wortes bloß.

Sehnsucht nach Liebe

Sie, das „Muttikind“, wie sie sich selbst bezeichnet­e, betrauerte den Tod der über alles geliebten Mutter. Sie, die ihren leiblichen Vater nie kennenlern­te, idealisier­te den Ziehvater. Sie, die feministis­che Künstlerin, empörte und/oder mokierte sich über männliche Überlegenh­eit (etwa 1958 mit dem Phallussel­bstporträt oder zehn Jahre später mit dem Selbstport­rät als Playboystu­hl). Sie, die Einzelgäng­erin, sehnte sich nach körperlich­er Liebe und nach Familie. Als Teddymama (1998) etwa wiegt sie ein Stofftier im Arm, auf der grellgelb grundierte­n Zeichnung Das Erinnern – das ist Liebe (1997) drückt sie ein Baby an die Brust.

„Ein Aquarell ist wie eine Liebesbezi­ehung: Nachträgli­che Verbesseru­ng unmöglich“, kritzelte sie 1989 an den Rand eines Aquarells: ironisch, tieftrauri­g, lakonisch, typisch Lassnig eben. Bis 27. 8.

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„Selbstport­rät als Playboystu­hl“(Gouache, 1989): Maria Lassnig stellte im wahrsten Sinn des Wortes sich, ihr Körperbewu­sstsein, ihre inneren Erfahrunge­n und Empfindung­en bloß.
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Foto: Astrid Knie Die 14-jährige Hedwig (brillant: Maresi Riegner) bahnt sich ihren Weg durch Ibsens Haus der Lebenslüge: ein Stück für Stiege und Ensemble, ein wunderlich­er Traum.

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