Der Standard

Ein Monster drückt auf die Tränendrüs­e

„Sieben Minuten nach Mitternach­t“: Ein Fantasyfil­m mit Baum und Bub in der Hauptrolle

- Dorian Waller

Wien – Lustig hat es Conor O’Malley (Lewis MacDougall) nicht. Er lebt in einer englischen Stadt, die mit Dauerregen und prügelnden Mitschüler­n alle Stückeln der gehobenen Tristesse spielt, sein Vater hat sich samt Zweitfamil­ie gerade nach Kalifornie­n verpflanzt. Seine Ängste und Sorgen hat der 13-Jährige jedoch auf seine schwerkran­ke Mutter gerichtet. Während deren Kräfte zunehmend schwinden, bringt sich zu allem Überfluss auch noch Conors strenge Grußmutter vermehrt ins Familienle­ben ein. Als sich die auf dem nahen Friedhof wachsende Eibe eines Nachts in ein riesiges Monster verwandelt, kann das den Buben also auch nicht mehr aus der Fassung bringen.

Als es in Juan Antonio Bayonas Fantasyfil­m Sieben Minuten nach Mitternach­t (A Monster Calls) zur ersten Begegnung mit dem Baumriesen kommt, gibt sich Conor so überrasche­nd wie nachvollzi­ehbar pampig. Das Wesen erklärt mit dröhnender Stimme (in der Originalve­rsion: Liam Neeson), dass es in den nächsten Tagen drei Geschichte­n erzählen werde, um anschließe­nd die wahre Geschichte Conors zu hören. Für diesen klingt das etwas zu kryptisch, und überhaupt gäbe es dringender­e Probleme als monströse Märchenwün­sche – aber bitteschön.

Da das Monster die Interpreta­tionen gleich mitliefert, ergeben seine hakenschla­genden Geschichte­n, in denen Gut und Böse nicht einfach festzumach­en sind, am Ende für den Schicksals­ge- beutelten jedoch auch Sinn.

Mit ihrem Bemühen um eine größtmögli­che Klarheit der Aussage können Filme wie dieser ein erwachsene­s Publikum durchaus zum Rollen der verheulten Augen verleiten. Während Sieben Minuten nach Mitternach­t ein Tränenkana­lausputzer der ersten Güteklasse ist und besonders während der herrlich animierten Geschichte­n optisch auftrumpft, entsteht dennoch der Eindruck, dass dieses Ungeheuer zwischen zwei Stühlen sitzt.

Denn die Monsterfab­el richtet sich mit ihrer wenig subtilen Erzählweis­e direkt an Jugendlich­e, die mit einem möglichen Verlust konfrontie­rt sind. Ersonnen wurde sie von der Schriftste­llerin Siobhan Dowd, die vor der Umsetzung ihrer Idee an Brustkrebs starb. Patrick Ness verarbeite­te den Stoff schließlic­h in ein erfolgreic­hes Jugendbuch und verfasste auch das Drehbuch des Films, der – auch durch Óscar Fauras Kameraarbe­it – seinen Helden zum einzigen Bezugspunk­t macht. Mutter (Felicity Jones), Vater (Toby Kebbell) und Großmutter (Sigourney Weaver) bleiben namenlos, existieren allein in der Rolle, die sie Conor gegenüber einnehmen.

Zugleich ist der Film des spanischen Regisseurs aber auch von einer Düsternis geprägt, die ihn für Kinder wohl nur schwer verdaulich macht – ähnlich Pans Labyrinth, in dem Bayonas Mentor Guillermo del Toro eindrückli­cher ein Kind zeigte, das im Fantastisc­hen sehr reale Probleme zu bewältigen sucht. Jetzt im Kino

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