Der Standard

Die Struktur unfassbare­r Emotionali­tät

Fragen des Zeigens, der Kollektivi­tät und der Bildfindun­g treiben den Künstler Martin Beck um. Das Mumok widmet ihm nicht nur eine Personale, sondern lud ihn außerdem ein, eine Sammlungss­chau zu kuratieren.

- Roman Gerold

Wien – Der Ausstellun­gsraum ist nie neutral; die Art und Weise, wie Kunst gezeigt wird, wirkt daran mit, wie wir sie wahrnehmen. Seit die Bewegung der Institutio­nskritik in den 1960er-Jahren den Kunstbetri­eb selbst zum Gegenstand der Kunst gemacht hatte, war die Frage nach den „Strategien des Zeigens“immer wieder Thema für Künstler. Wichtig ist dies auch für Martin Beck (geboren 1963 in Nenzing), der im Mumok neben seiner Personale rumors and murmurs in einem Stockwerk darunter eine Sammlungss­chau kuratiert.

Den Auftakt der Personale bildet ein Werkkomple­x über „modulare Ausstellun­gssysteme“. Aufgekomme­n Mitte des 20. Jahrhunder­ts, machten diese Systeme (Informatio­ns-)Ausstellun­gen mobiler. Kojen konnten nun aus Rohren zusammenge­steckt werden und wurden schlicht in den Raum gestellt, statt fix montiert – weder Techniker noch aufwendige Umbauten an der Architektu­r waren mehr vonnöten.

„Keine Zeit“

Was Beck interessie­rte, sind die Konsequenz­en dieser Entwicklun­g für die Aufbauer. In einem Video beobachtet man zwei junge Helfer, wie sie ein Röhrenstec­kAusstellu­ngssystem auf- und abund auf- und abbauen, ohne dass je eine echte Schau stattfände. Irgendwann kommt ein Dritter und fragt, ob die Arbeiter Zeit hätten, über ihre Arbeitsbed­ingungen zu sprechen. „Nein“, sagen sie, denn sie müssten schon wieder die nächste Ausstellun­g aufbauen.

Nicht nur auf die Flexibilis­ierung der Arbeit will Beck mit dem Video About the Relative Size of Things in the Universe (2007) allerdings hinaus. Entscheide­nd ist ihm auch der Aspekt der „Vermessung des Körpers“: Wo sich ModulAusst­ellungssys­teme an geometrisc­hen Rastern orientiere­n, werde es möglich, die Bewegung des Besuchers zu quantifizi­eren – ähnlich wie bei der Konsumente­nforschung im Supermarkt.

Um diesen Aspekt herauszust­reichen, fügte Beck dem Video nun eine Fotoserie von Eadweard Muybridge bei, der Bewegungs- abfolgen analysiert­e, indem er sie per Fotografie in Einzelbild­er zerlegte. Zu sehen ist auch das in Würfeln strukturie­rte Regalsyste­m namens Abstracta.

Einen Gegenentwu­rf zur strengen Ordnung präsentier­t Beck im Titelstück seiner Schau. Rumors and murmurs (Polygon) heißt eine Installati­on von 2012, die eine Wand mit einer gänzlich unregelmäß­igen Struktur aus Vielecken überzieht. Entlehnt ist sie dem Dome Cookbook (1970). Dieser Leitfaden der HippieZeit erklärt, wie man sich Behausunge­n baut, die eben keiner Struktur folgen, also architekto­nisch anarchisch bleiben.

Ebenfalls mit Becks Interesse für Gegenkultu­ren und -kollektive verknüpft ist die Arbeit Last Night (seit 2013): Ausgangspu­nkt ist die Undergroun­dparty The Loft, die in New York ab 1970 stattfand, ab 1984 jedoch nicht in alter Form fortgeführ­t werden konnte. Dem Gefühl der letzten Nacht auf dieser Party nähert sich Beck nicht etwa in dokumentar­ischen Fotos, sondern wieder über eine Struktur: Der Künstler rekonstrui­erte die Musik-Playlist dieser Nacht und produziert­e etwa ein Buch, das akribisch die einzelnen Songs samt Produktion­sdaten auflistet.

Szenen einer Sammlung

Das Zentrum des Werkkomple­xes Last Night ist jedoch ein Video, das in voller Länge – rund 13 Stunden – die Musik wiedergibt. Zu sehen ist dabei einzig die Nahaufnahm­e eines Plattenspi­elers. Ihn interessie­re die Verbindung des affektiven Moments mit dem strukturel­len Moment, sagte Beck, also die „unfassbare kollektive Emotionali­tät“dieser legendären Nacht des Jahres 1984 und deren Reduktion auf die Musik.

Zeitgleich mit Becks Personale zeigt das Mumok die von Beck kuratierte Ausstellun­g watching sugar dissolve in a glass of water. „Szenen“nennt er seine zum Teil sehr intuitiven Arrangemen­ts, mit denen er neue Querverbin­dungen zwischen Sammlungsw­erken herstellen will.

So kombiniert­e der zwischen New York und Wien pendelnde Künstler etwa David Hockneys Gemälde Self-Portrait with Blue Guitar (1977), worauf ein Blumenstra­uß zu sehen ist, mit einer Reihe enzyklopäd­ischer Pflanzenfo­tos von Karl Blossfeldt aus den 1920er-Jahren sowie mit einer Tempera-Arbeit Rudolf Schlichter­s aus dem Jahr 1953 mit dem Titel Fleischfre­ssende Pflanzen. „rumors and murmurs“: bis 3. 9. „watching sugar dissolve ...“: bis 14. 1. 2018

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In der Fotoserie „Flowers“(2015) thematisie­rt Martin Beck u. a. Fragen des Handwerks. Verbindung­slinien ergeben sich hier etwa zu David Hockneys „Self-Portrait with Blue Guitar“(1977), das in der von Beck kuratierte­n Sammlungss­chau zu sehen ist.
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Foto: Garret Linn Lebt in New York und Wien: Martin Beck.

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