Griss-TV „kein Richterspiel“
An vorerst drei Sonntagen verhandelt Irmgard Griss in „Im Namen des Volkes“auf Puls 4 um 20.15 Uhr heikle Themen – außer Todesstrafe. Auftakt mit Philosophin Amani Abuzahra und Anwältin Seyran zum Thema Kopftuch.
Standard: Das Thema Ihrer ersten Sendung „Kopftuchverbot in Schulen: Ja oder Nein?“polarisiert. Was erwarten Sie sich? Griss: Ich hoffe auf eine faire Auseinandersetzung. Den Zusehern soll es möglich sein, sich in die Befürworter und Gegner eines Kopftuchverbots hineinzuversetzen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Ziel ist es, die gegenteiligen Standpunkte begreiflich zu machen.
Standard: Zum Schluss soll es via Umfrage eine Art Stimmungsbarometer geben, wie die Österreicher darüber denken. Als Handlungsanleitung für Politiker? Griss: Die Politik wird sicher ihre Schlüsse daraus ziehen, aber das ist natürlich kein Volksbegehren oder ein Vorschlag für eine Gesetzesinitiative, sondern der Versuch, ein emotionales Thema sachlich aufzuarbeiten.
Standard: Sehen Sie sich als „TVRichterin“oder als Moderatorin zwischen den Teams? Griss: Meine Aufgabe ist, darauf hinzuwirken, dass es sachlich zugeht und es keine Untergriffe gibt. Es soll ein Austausch von Argumenten sein. Wir sprechen nicht über diese Menschen, sondern mit ihnen. Sie kommen zu Wort, etwa weil sie eine Muslimin ist und sich fragt, ob ihr Kind in der Schule ein Kopftuch aufsetzen darf oder nicht. Sie setzen sich mit mehr Herzblut damit auseinander als jemand, der das von einem theoretischen Standpunkt aus diskutiert. Standard: Bringen Sie Ihre gesetzliche Expertise ein, oder geht es eher um Fragen der Moral? Griss: Ich war über 30 Jahre Richterin, und das spielt insofern eine Rolle, als ich als Richterin immer darauf hinwirken musste, dass es nicht untergriffig wird, der andere zu Wort kommt und Argumente bringt. Die Sendung ist aber kein Richterspiel, bei der ich eine Entscheidung zu treffen habe. Das Schöne bei dem Konzept ist, dass jemand als Person für eine bestimmte Auffassung steht. Das kann eine neue Qualität in der Auseinandersetzung mit so heiklen Themen bringen.
Standard: Gibt es Tabus? Griss: Es muss immer eine Alternative, also ein Ja oder Nein, vorhanden sein, die rechtlich und moralisch zulässig ist. Eine Diskussion über die Todesstrafe ist ausgeschlossen – nach meinem Moralverständnis. Genauso verhält es sich mit dem Verbotsgesetz. Da gibt es keine Diskussion darüber.
Standard: Besteht die Gefahr, dass moralische Fragen die rechtlichen Grundlagen aushöhlen? Griss: Unsere Rechtsnormen sind so gestaltet, dass sich der Durchschnittsbürger daran halten kann. Die Normen der Moral zielen auf Vervollkommnung. Das ist ein höherer Standard, den nicht jeder erreichen kann. Jeder muss das mit seinem Gewissen ausmachen. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass das eine über dem anderen steht.
Standard: Sie machen die Sendung gratis. Warum? Griss: Ich habe schon so viel ehrenamtlich gemacht, das reiht sich in die lange Liste ein. Mir ist das aber auch ein Anliegen. Ich denke viel darüber nach, was wir tun können, damit unsere Demokratie lebendiger wird und wie man mehr Bürgerbeteiligung erreichen kann. Was wir brauchen, ist eine bessere Diskussionskultur.
Standard: Sie schließen eine Rückkehr in die Politik nicht aus. Ist die TV-Präsenz ein Motor für später? Griss: Seit der Bundespräsidentschaftswahl habe ich verschiedene Sachen gemacht, Diskussionen, Gespräche, Vorträge, und ich sehe das schon auch als zivilgesellschaftliches Engagement. Solange ich das machen kann – auch wenn es nur ein kleiner Bereich ist –, leiste ich gerne einen Beitrag zu einer lebendigeren Demokratie. Ob daraus noch mehr wird, weiß ich heute noch nicht. Ich lasse es auf mich zukommen.
IRMGARD GRISS (70) war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und kandidierte bei der letzten Bundespräsidentenwahl. pMehr auf derStandard.at/Etat