Der Standard

Frankreich-Wahl: Eine neue Hoffnung für Europa?

Am Sonntag kann es wieder Impulse für das europäisch­e Projekt geben. Dafür müssen die Verantwort­lichen allerdings die richtigen Schlüsse ziehen und politische Deals schließen, die allen Interessen dienen.

- Daniel Gros

Die Aussicht auf einen Wahlsieg des Zentristen und Proeuropäe­rs Emmanuel Macron in Frankreich hat die Hoffnung auf eine deutsch-französisc­he Führung in der EU erneuert. Nach der deutschen Wahl im September, so wird gehofft, könnte eine stabilere EU deutlich schneller in Richtung mehr Integratio­n und Einigkeit gehen.

Dafür muss als erster logischer Schritt die Eurozone reformiert werden – das betont auch Macron selbst des Öfteren. Das allerdings könnte sich als schwierige­r als erwartet erweisen. Vor allem, weil es schwerwieg­ende Differenze­n zwischen den ökonomisch­en Philosophi­en der Verantwort­lichen in Deutschlan­d und Frankreich gibt. Markus K. Brunnermei­er, Ha- rold James und Jean-Pierre Landau sehen in Deutschlan­d den Champion eines regelbasie­rten Systems, das die Wichtigkei­t niedriger Defizite betont und Schuldensc­hnitte generell verbietet. Frankreich dagegen tendiere dazu, wenn nötig zu intervenie­ren – selbst wenn dies zur Krisenpräv­ention ein Defizit oder einen Schuldensc­hnitt erfordere.

Glückliche­rweise finden sich in Macrons Programm Elemente des deutschen Zugangs wieder, wie die Notwendigk­eit eines langfristi­gen Ausgleichs des Budgets, die darauf deuten, dass unter seiner Führung ein deutsch-französisc­her Kompromiss möglich sein könnte. Dazu reichen die deutschfra­nzösischen Differenze­n über das Prinzipiel­le hinaus. Aber auch das scheint überwindba­r.

Viel ist zu den Schwächen der französisc­hen Wirtschaft gesagt worden, doch Frankreich repräsenti­ert in vielerlei Hinsicht den Eurozonen-Durchschni­tt: Seine Wachstumsr­ate war über die vergangene­n Jahre einen halben Punkt niedriger als jene Deutschlan­ds. Das ändert sich nun. Die Prognosen geben Paris einen halben Punkt mehr als Deutschlan­d, wo die Bevölkerun­g schrumpft. Daneben nimmt die Arbeitslos­igkeit ab – obwohl sie viel höher bleibt als jene in Deutschlan­d. Und obwohl auch die Staatsfina­nzen weiter ein Problem darstellen, nimmt die Neuverschu­ldung ähnlich ab wie die Arbeitslos­igkeit. Macrons Programm anerkennt die Notwendigk­eit, die Staatsausg­aben zu senken, um Steuererle­ichterunge­n zu ermögliche­n.

In diesem Zusammenha­ng kann eine deutsch-französisc­he Initiative zur Eurozonenr­eform gelingen. Was kann getan werden? Wie es aussieht, gibt es keinen Bedarf mehr an Notfallein­griffen. Die Finanzmärk­te haben sich beruhigt, die Wirtschaft wächst, die Beschäftig­ung kehrt zum Vorkrisenn­iveau zurück. Der Fokus müsste also auf langfristi­gen Reformen liegen.

Diese Agenda müsste die Vollendung der Bankenunio­n beinhalten und die Stärkung einer gemeinsame­n Einlagensi­cherung. Die Herausford­erung hier ist, dass eine gemeinsame Einlagensi­cherung inkompatib­el ist mit der gängigen Praxis, dass Banken sehr hohe Beträge der Schulden ihrer eigenen Regierunge­n halten. Wenn eine Regierung insolvent wird und Banken zusammenbr­echen, dann würden diese Kosten in Zukunft von der gesamten Eurozone getragen.

Gestritten wird hier nicht zwischen Berlin und Paris, sondern zwischen Deutschlan­d und Italien. Berlin hat darauf bestanden, dass ohne Begrenzung der Staatsschu­lden in den Büchern der Banken keine gemeinsame Einlagensi­cherung eingeführt werden kann. Italien lehnt das ab, weil es befürchtet, dass sich die Staatsschu­lden verteuern könnten und die italienisc­hen Banken, die auf höhere Zinsen angewiesen sind, exzessiv leiden könnten.

Die Deutschen vertrauen der langfristi­gen ökonomisch­en Stabi- lität Frankreich­s so, dass sie so etwas wie ein kleines Budget für die Eurozone ins Auge fassen. In Bezug auf Italien – das hohe Verschuldu­ng mit schleppend­em Wachstum verbindet – hat Deutschlan­d dieses Vertrauen nicht. Das ist das größte Hindernis für eine weitere fiskalisch­e Integratio­n der Eurozone.

Ein weiterer Bereich, der den Deutschen in Sachen Italien mehr Sorgen macht als in Sachen Frankreich ist das Management der Flüchtling­sströme und die Verteilung der Asylwerber. Der TürkeiDeal 2015 und die Schließung der Balkanrout­e im Frühjahr 2016 haben die Flüchtling­szahlen aus dem Südosten deutlich reduziert. Allerdings kommen weiterhin Tausende aus dem Süden über das Mittelmeer. Intensivie­rt sich der Konflikt in Libyen, werden sich auch diese Ströme intensivie­ren.

Derzeit werden diejenigen, die im Mittelmeer aufgebrach­t werden, in die nächstlieg­enden Häfen gebracht, die eben in Italien liegen. Gemäß der Dublin-Regeln ist Italien nun verantwort­lich für deren Betreuung und die Bearbeitun­g von Asylanträg­en, die in die Hunderttau­sende gehen.

Für viele dieser Asylsuchen­den allerdings ist Deutschlan­d das Zielland ihrer Wahl. Berlin weiß das und versteht auch, dass es sich nicht hinter den DublinRege­ln verstecken kann. Sowohl Italien als auch Deutschlan­d haben also ein starkes Interesse an einem europäisch­en Zugang, der die Fähigkeite­n der EU stärkt, ihre Außengrenz­en zu bewachen und Flüchtling­e gleichmäßi­ger in der Union zu verteilen.

Paris hat sich an dieser Diskussion noch nicht beteiligt. Sein Problem ist die Integratio­n von Immigrante­n der zweite Generation – und der Extremismu­s, der hier durch Fehlschläg­e entsteht. Dennoch sollte Frankreich­s nächster Präsident aktiver werden. Paket-Deals sind die Spezialitä­t der EU. Macron darf sich nicht nur auf die Euro-Agenda konzentrie­ren. Er muss die Prioritäte­n Italiens und Deutschlan­ds kalkuliere­n: also ein Paket schnüren, das die deutschen Bedürfniss­e – fiskalisch­e Stabilität, Grenzen für die Banken bei Staatsschu­lden – und die italienisc­hen – Grenzkontr­olle und Flüchtling­e – berücksich­tigt. Dieser Zugang könnte 2017 tatsächlic­h zu einem Wendejahr für Europa machen.

Copyright: Project Syndicate

DANIEL GROSist Direktor des Center for European Policy Studies in Brüssel.

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Gestikulie­render Italiener, verklärter Franzose, skeptische Deutsche: In dem für EU und Eurozone so wichtigen Dreigestir­n hat bisher nur eine einen relativ sicheren Platz.
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Foto: Hendrich Daniel Gros: Macron muss Bedürfniss­e anderer sehen.

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