Der Standard

Ein Sonntagsan­zug und ein Rendezvous mit dem Leben

Zum Tag des Lachens am 7. Mai: Über Humanität und Humor im hohen Alter

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Kinder lachen durchschni­ttlich an die 400 Mal am Tag. Im Vergleich dazu: Erwachsene nur rund 15 bis 20 Mal. Und wie ist das dann im hohen Alter, wenn man alt und eventuell auch noch krank ist, wenn man im Pflegeheim lebt? Da wird mir persönlich ganz schummrig vor Augen, wenn ich diese Statistik zu Ende denke.

Als Clowndocto­rs versuchen wir den Lauf dieser Statistik zu verbessern. Denn gerne herrscht in geriatrisc­hen Einrichtun­gen ein langsamer, immer wiederkehr­ender Rhythmus. Clowns sind da, um diesen langsamen Fluss behutsam zu akzentuier­en. Denn in der Abwechslun­g der Stimmung liegt das pralle Leben.

Lachen ist immer ein Zeichen von Vitalität und Lebensfreu­de, hebt die Kommunikat­ion und intensivie­rt den Austausch mit anderen. Es ist wie ein Rendezvous mit dem Leben. Das weckt die Lebensgeis­ter. Ist das nicht auch im hohen Alter erstrebens­wert?

Beim Sitzwalzer

Herausgepu­tzt im Sonntagsan­zug, so wie damals in den goldenen Zeiten üblich, kommen die Clowndokto­ren regelmäßig zu Besuch. Sie bringen Leichtigke­it und Optimismus mit, gepaart mit Einfühlung­svermögen und Wertschätz­ung – und sie laden ein: zum (Sitz-) Walzer, zum Ständchen oder auf ein Schwätzche­n auf Augenhöhe: über das Befinden, die gute alte Zeit oder die Liebe zum Beispiel.

Oh ja, die Liebe, da gibt es immer eine Menge zu erzählen, und die Clowns sind ja furchtbar ungeschick­t im Flirten, da lernen sie noch viel von den Alten.

Blitzt da jetzt ein Gedanke auf: „Wo bleibt die Würde des alten Menschen? Alte Menschen und Clowns, das ist kindisch und niveaulos!“Dann hier mein Appell: Verurteile­n Sie Clowns nicht vorschnell, nur weil Sie sie intellektu­ell ablehnen. Schauen Sie genauer hin, hören Sie hin! Kommen Sie zu uns in die Geriatrie!

Die Clowndokto­ren besuchen über viele, viele Jahre hinweg geriatrisc­he Einrichtun­gen und begleiten die alten Menschen meist bis zum Lebensende. Man kennt sich. Man schätzt sich. Man lacht und scherzt miteinande­r. Die Frage, wann wir wiederkomm­en, ist die häufigste Frage, die wir als Clowns von den Seniorinne­n und Senioren gestellt bekommen. Viel öfter, als wenn wir Kinder besuchen!

Realität hinter der Realität

Der Narr, der Spaßmacher, er war – historisch gesehen – immer schon ein Spiegelbil­d der Realität. Er stellt die Realität hinter der Realität dar. Die Clowns waren nicht nur Unterhalte­r, sondern auf irdische Weise waren sie auch Seher, Heiler und kritische Geister. Der Clown ist ein Archetyp von Mensch, in dem wir uns alle wiedererke­nnen. Daher ist er auch ein Symbol für Humanität.

Und wünschen wir uns das nicht alle: Humanität und Humor im hohen Alter?

GIORA SEELIGER hat Rote Nasen in Österreich und in neun weiteren Ländern gegründet. Er ist Clownerie-Experte, Schauspiel­er, Regisseur und Trainer.

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