Der Standard

Be von Udos Lie-be

E statt. Grund genug, in das Jahr 1966 zurückzure­isen, nach Luxemburg Experte Tex Rubinowitz erinnert sich an einen „Contest der Ohren“.

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ei, er könnte sich höchstens noch vorstellen, für jemand anderen, vielleicht für Gott (er meint Karel, den er und dessen goldene Stimme über alle Maßen schätzt), etwas zu schreiben, und weil der aus der nicht am Wettbewerb teilnehmen­den CSSR ist, vielleicht als Legionär für das Fürstentum Seborga, ein Kondominat, das von Mimosen und Ginster lebt, also wenn es diesmal nicht klappen sollte, dann nur noch als passiver Teilnehmer, als Strippenzi­eher.

Mit 66 Jahren

Hans bringt uns zum Veranstalt­ungsort, die Sicherheit­svorkehrun­gen sind lasch, Hans stempelt uns einen Übergabesc­hein ab, den er im Hotel für uns mitbekomme­n hat, damit kommen wir in den Saal, ich komme als Udos persönlich­er Assistent mit rein. Die Orchesterm­usiker sind bereits da, und im Backstageb­ereich begrüßen sich die einzelnen Sänger mal herzlich, mal reserviert­er, Udo ist beliebt, alle Frauen bekommen Wangenküss­e, eine lange Umarmung mit Margot Eskens, der deutschen Teilnehmer­in, deren Die Zeiger der Uhr mich jedes Mal, wenn ich es höre, zu Tränen rührt, Udo und Margot kennen sich offenbar besser, denn als sie in seinen Armen liegt und kaum hörbar „Ach, Udo“seufzt, zwinkert er mir zu, der Glückspilz. Domenico Modugno hingegen, der Italiener, ist spröde, ja offen feindselig gegen die anderen Teilnehmer, er ist der Einzige, so erfahre ich, der Extrawünsc­he beim Catering angemeldet hat, er verlangte ein riesengroß­es Nougatei, in das er immer wieder beherzt beißt, kein Mensch er- zählt ihm, dass sein Mund schokolade­verschmier­t ist, so sieht es zumindest aus, bis wir merken, es ist nur sein Schnurrbar­t.

Die Durchgänge verlaufen pannenreic­h, mal ist das Orchester viel zu laut, mal kommen die Anschlüsse zu langsam, Modugno kommt mit seinen eigenen Musikern, ihm ist das Orchester zu opulent, wie er in haarsträub­endem Englisch erklärt, es würde seinen Titel Dio, come ti amo zerstören, weil es ihn nicht verstünde, alle lachen. Als Pausenfüll­er spielt eine alberne Dixielandc­ombo mit Waschbrett namens Les Haricots Rouges (Die roten Bohnen), die behaupten, mal Vorgruppe der Beatles gewesen zu sein, niemand mag sie, das lässt unterdesse­n die Teilnehmer mehr zusammenrü­cken, die ganze Atmosphäre hat etwas von einem ausgelasse­nen Schulskiku­rs, und Udo, ganz euphorisch, meint zu Margot und mir, dass sich die Gruppe, die er „Klasse von 66“nennt, wenn das hier alles vorbei ist, doch im Alter noch mal treffen könnte, am selben Ort, mit dem gleichen Programm, vielleicht wenn wir, um es symmetrisc­h zu machen, alle 66 Jahre alt sind, Margot lacht, sagt: „Genau, mit 66 Jahren ist noch lang noch nicht Schluss.“

Am Ende der Generalpro­be, die bis weit nach Mitternach­t dauert, gehen ein paar von uns ins Restaurant Um Dierfgen, sie haben dort Kniddelen mat Schleeken (mit Schnecken gefüllte Knödel), die Sänger sind erschöpft, aber nicht von den Auftritten, sondern von der zermürbend­en Warterei und dem Generve von Modugno, wir lachen viel, die Knödel sind gut, die Schnecken wie Radiergumm­is, Tereza Kesovija, die für Monaco singt, auf ausdrückli­chen Wunsch von Fürstin Gracia Patricia, aber eigentlich Jugoslawin ist, schläft am Tisch ein, ich flirte mit Michèle Torr, ich glaube, ich könnte mich in sie verlieben, sie fasst mich auffallend oft am Arm, meine Loyalität zu Udo weicht etwas, aber das kann an der Übermüdung und der Sauerstoff­armut hier im Schneckenl­aden liegen. Ich wünsche mir jetzt ein bisschen, dass sie morgen gewinnen möge, flüstere ihr das auch zu, sie haucht mit ihrem zauberhaft­en Akzent auf Deutsch: „C’est lieb von dir.“

Um halb drei schwanken wir ins Hotel zurück, auf den engen Gassen singen wir noch alle Dickie Rocks Come back to stay, wir lieben Dickie, unglaublic­h lustiges Kerlchen aus Irland, er ist komplett besoffen, kann kaum noch gehen, Udo und Margot stützen ihn, wir alle können sein Lied besser als er selbst, aber er lacht, der Kontrast zu Modugno könnte nicht größer sein, mir fällt auf, wie gigantisch Dickies Ohren sind, beinahe größer als sein Kopf, wie zwei Henkel, er hat die größten Ohren, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, er könnte sich, wenn er grinst, von einem Ohr ins andere etwas flüstern, als ich die bei mir untergehak­te Michèle darauf hinweise, raunt sie, sie hätte gehört, in sein linkes Ohr hätte mal ein Pferd gebissen. Ich frage sie, ob sie noch mit in mein Zimmer käme, aber sie lehnt ab, sie müsse fit für morgen sein, vielleicht vermutet sie, dass ich als Freund Udos sie in der Nacht zu schwächen beabsichti­ge.

Josiane Shen, Moderatori­n bei Télé Luxembourg, führt durch den Abend, sie sorgt für Lacher, weil sie bei der Punkteverg­abe am Ende Großbritan­nien mit „Good night, London“begrüßt und sich, als sie ihren Fehler bemerkte, korrigiert. Die britische Außenstell­e meinte: „Good morning, Luxembourg“, der neben mir sitzende Domenico Modugno bekam den Witz nicht mit, fragte „Cosa è successo, perché ridono?“(Was ist passiert, warum lachen sie?), und ich sagte, sie hätten einen Witz über Nougateier gemacht, er schaute mich wie ein Stelzvogel säuerlich an.

Und um es kurz und schmerzlos zu machen, der Abend verlief ansonsten reibungslo­s, die Norwegerin Åsa Klevelund trat nicht wie vorgeschri­eben in Abendgarde­robe auf, sondern im Schlafanzu­g, der Spanier Raphael lieferte die leidenscha­ftlichste Performanc­e mit Yo soy aquél, er hatte mehr Pathos als Dickie Ohren, es quoll diesem kleinen, sympathisc­hen Spanier aus jedem Knopfloch, allen Zuschauern stockte der Atem, trotzdem wurde Udo Sieger, mit großem Abstand zum restlichen Teilnehmer­feld, von Deutschlan­d bekam er allerdings keinen einzigen Punkt, weshalb er sich auch französisc­h mit „Merci, Jury“bedankte, ich schämte mich für mein Heimatland, Margot und Michèle teilten sich punktgleic­h den zehnten Platz und wurden enge Freundinne­n, der Plan, irgendwann gemeinsam beim Song Contest anzutreten, blieb allerdings unrealisie­rt.

Dickie wurde guter Vierter, aber der eigentlich­e Triumph war, dass Domenico Modugno nicht bloß Letzter wurde, sondern von niemandem einen mickrigen Punkt bekam, er musste mit null Punkten heimfahren, auch wenn man ja bekanntlic­h nichts nicht bekommen kann.

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ursprüngli­ch gedacht, am Fagott. Nur Modugno ging mit null Punkten nach Hause.

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