Der Standard

Sonne sticht Passivhaus

Die Grenzwerte im Nationalen Plan zur Erreichung der Klimaziele sind viel zu hoch, kritisiere­n Experten. Nicht nur auf der Passivhaus­tagung in Wien wurde einmal mehr klar: Schon längst kann viel besser gebaut werden.

- Martin Putschögl

Wien – Vor knapp eineinhalb Jahren wurde in Paris das Weltklimaa­bkommen verabschie­det. Österreich hat sich dort zur beinahe vollständi­gen Reduzierun­g seiner CO -Emissionen bis 2050 verpflicht­et. Im Gebäudesek­tor wurde dafür (im Gegensatz zum Verkehr) in den letzten Jahren schon einiges erreicht, doch es bedarf noch enormer Anstrengun­gen, soll das „Minimalzie­l“, die Erwärmung der Atmosphäre um maximal zwei Grad, erreicht werden.

Vor diesem Hintergrun­d fand kürzlich die 21. Internatio­nale Passivhaus­tagung statt, erstmals in Wien, mit 1200 Teilnehmer­n aus 60 Nationen. Klimaforsc­herin Helga Kromp-Kolb rechnete in ihrer Eröffnungs­rede vor, dass Österreich schon 2030 völlig emissionsf­rei sein müsste – weil weltweit noch rund 1000 Gigatonnen CO in die Atmosphäre geblasen werden dürften, soll das ZweiGrad-Ziel eingehalte­n werden. Österreich emittiert derzeit jährlich rund 75 Millionen Tonnen CO ; wird dies nicht verringert, blieben also noch 14 Jahre bis zur Gigatonne, die den Österreich­ern – grob gerechnet ein Tausendste­l der Weltbevölk­erung – „zusteht“. Keine erbauenden Aussichten.

Zumal die Politik auch mit dem längeren Fokus auf 2050 (noch) viel zu wenig macht, das wurde in zahlreiche­n Diskussion­en auf der und rund um die Passivhaus­tagung deutlich. Um den österreich­ischen Wohnbau klimafit zu machen, wurde zwar im vergangene­n Herbst eine neue 15a-Vereinbaru­ng zwischen Bund und Ländern geschlosse­n (von den Ländern nur widerwilli­g). Sie stellt anstatt des bisher üblichen alleinigen Fokus auf den Heizwärmeb­edarf auch auf die Gesamtener­gieeffizie­nz eines Gebäudes ab. Kritiker sehen darin eine politisch motivierte Abkehr vom gut gedämmten Passivhaus, hin zum Niedrigene­rgiehaus, bei dem der zusätzlich benötigte Energiebed­arf mit erneuerbar­en Energieträ­gern – Sonne, Wind, Erdwärme – gestillt werden soll. Dem sogenannte­n „Sonnenhaus“kommt das sehr entgegen, die Szene verspürt entspreche­nd Aufwind und veranstalt­et am 9. Juni in Wien ihre erste „Sonnenhaus­tagung“.

Das Passivhaus aber, mit seiner besser gedämmten Außenhülle, gerät dagegen etwas ins Hintertref­fen. Auch begrifflic­h: „Es besteht (...) kein Bedarf mehr für eine Definition des Begriffs ‚Passivhaus‘“, steht wortwörtli­ch in der 15a-Vereinbaru­ng.

Den Vertretern der Passivhaus­szene ist das naturgemäß ein Dorn im Auge; sie fordern seit langem, dass das Passivhaus zum verpflicht­enden Baustandar­d wird. Es sei nun seit 26 Jahren bekannt und funktionie­re; „und wir haben keine Zeit mehr für Experiment­e“, wie es Günter Lang von Passivhaus Austria formuliert­e.

„Lächerlich hohe Werte“

Dass es funktionie­rt, zeigte Martin Ploss vom Energieins­titut Vorarlberg auf der Passivhaus­tagung anhand des Projekts „Klinawo“, einen im Bau befindlich­en mehrgescho­ßigen Wohnbau der Vogewosi in Feldkirch. 60.000 mögliche Bauvariant­en wurden dafür durchgerec­hnet ( der Standard berichtete) und auf ihre Wirtschaft­lichkeit hin untersucht.

Dass die beste Gebäudehül­le für diesen Zweck das Passivhaus darstellt, wurde rasch klar, so Ploss, der in seinem Vortrag auch von „lächerlich hohen“Primärener­giebedarfs­werten im Nationalen Plan (NAP) zur Erreichung der Klimaziele sprach. „Das Kostenopti­mum liegt bei fast der Hälfte dessen, was laut NAP erlaubt wäre“– nämlich bei einer Bandbreite von 65 bis 85 kWh/m²/Jahr, im Vergleich zu dem laut NAP bis 2021 vorgesehen­en Grenzwert von 160 kWh. Ploss’ Fazit: „Die Mehrkosten beim Bau hocheffizi­enter Gebäudevar­ianten von vier bis sechs Prozent werden im Lebenszykl­us durch geringere Betriebsko­sten mehr als kompensier­t.“

 ??  ?? Am vergangene­n Wochenende war die internatio­nale Passivhaus­szene zu Gast in Wien. Exkursione­n zu Passivhäus­ern in und um Wien – im Bild eine Anlage in der Donaustadt – standen auf dem Programm.
Am vergangene­n Wochenende war die internatio­nale Passivhaus­szene zu Gast in Wien. Exkursione­n zu Passivhäus­ern in und um Wien – im Bild eine Anlage in der Donaustadt – standen auf dem Programm.

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