„Ein Zurück gibt es selten“
Warum Österreich sich anstrengen sollte, Headquarter ins Land zu holen, und was für eine internationale Karriere ins Gepäck gehört: Headhunterin Sabine Aigner.
seiner Bewerber zu testen. In dem Spiel Wasabi Waiter schlüpfen die Kandidaten in die Rolle eines Kellners in einem Sushi-Restaurant. Wie im echten Leben muss der Kellner Kundenwünsche erkennen und mehrere Bestellungen gleichzeitig entgegennehmen. Jede Entscheidung wird in ein Datenpaket umgewandelt, das von Algorithmen ausgewertet wird. Wasabi Waiter ist nach der ökonomischen Spieltheorie modelliert und soll Entscheidungen in Echtzeit analysieren. Die Software destilliert aus diesen Daten dann Charakterzüge. Wer sich beim virtuellen Sushi-TellerVerteilen gut schlägt, verbessert seine Chancen, am Ende den Job zu erhalten. Das Start-up ist überzeugt, mit diesem Verfahren die besten Bewerber herauszufiltern.
Nur cool oder auch sinnvoll?
Doch sind Spiele ein geeigneter Selektionsmechanismus? David Stillwell, Experte in Big-Data-Analytics und Direktor des Psychometrics Centre an der Universität Cambridge, sagt: „Abhängig davon, wie das Spiel modelliert ist, kann man damit Rechenfähigkeit und Rechtschreibung testen. Es ist schwieriger, ein Spiel zu faken als einen Lebenslauf, wo man nur die Highlights reinschreiben kann.“Und: Spiele ließen das Unternehmen im Auge der Absolventen „cool“erscheinen – es sei gleichsam ein Marketinginstrument. Wenn das Spiel aber psychometrisch nicht getestet wurde, sei es nicht mehr als ein Spielzeug.
Das sieht Frederick Morgeson, Managementprofessor an der Michigan State University, ähnlich. Auf Anfrage sagt er: „Im Prinzip ist der Einsatz von Spielen bei Auswahlprozessen ähnlich methodengeleitet wie ein Interview, nur gibt es keine wissenschaftlichen Ergebnisse, wie reliabel und valide die Methode ist.“Die Frage sei, ob das Spiel jobrelevante Erfahrungen und Kompetenzen messen könne. Das Verfahren führe nicht zu einer effektiveren Auswahl, wenn bestimmte Gruppen benachteiligt würden. Da Männer eine größere Affinität zu Computerspielen haben als Frauen, könnten sie bei den Tests womöglich besser abschneiden. Das wäre Geschlechterdiskriminierung, so Morgeson. Der Managementprofessor fordert daher mehr Studien zu dem Thema. Trotzdem könnte Gamifizierung im Personalwesen an Bedeutung gewinnen – und so manchem Bewerber zum Traumjob verhelfen.
STANDARD: Wie sieht das Idealpaket für eine internationale Karriere aus? Aigner: Idealerweise ist das eine gute Kombination von Erfahrung in einem oder mehreren wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern (USA, Westeuropa) und ein paar Jahren in einem aufstrebenden Land (Emerging Market), dazu unbedingt eine gewisse Zeit in einer Headquarter-Rolle, um sowohl strategisch-länderübergreifend zu arbeiten, als auch sein persönli- ches Netzwerk innerhalb der konzernalen Entscheidungsträger zu stärken.
STANDARD: Die goldene Zeit der Headquarter in Österreich ist vorbei. Funktioniert ein Start auf das internationale Parkett von hier aus überhaupt noch? Aigner: Ja. Und zwar dann, wenn man den Schritt ins Ausland bereits geschafft hat. Denn das, was man dann an Erfahrung und Soft Skills braucht, um den Erfolg auszubauen, hat sich nicht verändert. Aber das „Sprungbrett Österreich“ist lange nicht mehr das, was es vor 20 Jahren war. Zahlreiche regionale Headquarter haben unser Land verlassen, und es gab leider keine nennenswerten politischen Initiativen, um den Standort weiterhin attraktiv zu halten. Damit kamen für nachfolgende Generationen viele Einstiegschancen abhanden, die für die Generationen davor sehr wohl häufig den Grundstein für eine spätere Konzernkarriere gelegt hatten. Denken wir nur an IT-, Telefoniekonzerne, Getränke-, Fastfood oder große Pharmakonzerne, die von Wien aus weite Regionen gesteuert haben. Das vermissen wir sehr, vor allem auch hinsichtlich der Ausbildung nachfolgender Generationen an internationalen Führungskräften.
STANDARD: Ein standortpolitisches Thema ... Aigner: Ich wünsche mir eine neue Wirtschafts- und Standortpolitik der Taten, nicht der Worte. Gerade jetzt gibt es etwa durch den Brexit eine neue Chance, das eine oder andere regionale Headquarter nach Österreich zu holen.
STANDARD: Zurück zu den internationalen Karrierewegen: Was muss ins Gepäck, damit die Chancen gut stehen? Aigner: Der Abschluss einer guten Ausbildung reicht schon längst nicht mehr. Man muss die Weichen schon in jungen Jahren – als Schüler, als Student – stellen. Sprachen lernen, praktische Erfahrung im Inund Ausland sammeln, Fremdsprachenkenntnisse und moderne Technologien ebenso in die Selbstverständlichkeit des Alltags integrieren wie eine ehrliche Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Wirtschaftssystemen. Open minds lead to open doors! Es braucht Courage, Selbstvertrauen und Respekt. Es braucht außerdem die Bereitschaft, sich grenzüberschreitende Netzwerke aufzubauen und sich idealerweise schon als junger Mensch zu engagieren. Es gibt ja eine Menge internationale Programme für Schüler und Studenten – die gilt es zu nützen. Das ist, was man selbst beitragen kann. Und dann braucht es einfach auch ein bisschen Glück und vielleicht den einen oder anderen Mentor, aber das lässt sich schwer steuern. Es ist aber entscheidend, eine Chance dann zu erkennen und zu ergreifen, wenn sie sich bietet.
STANDARD: Die sogenannten Expatriates plagt auf ihrem Weg ins Entfernte oft die Angst, nicht mehr zurückkommen zu können ... Aigner: Ja, das haben nahezu alle, und ich wurde so oft gefragt: „Soll ich wirklich? Was kommt danach?“– interessanterweise würden sich viele derjenigen, die sich damals, im Moment des Zweifelns an mich gewandt hatten, heute wohl kaum mehr erinnern ... sie haben längst anderswo Fuß gefasst, fühlen sich wohl und halten ihrer Heimat zwar privat die Treue, wenngleich es sehr häufig kein berufliches Retourticket gab. So gesehen: Die Angst ist meist vergessen, ein Zurück aber gibt es selten.
SABINE AIGNER ist international tätige ExecutiveSearcherin bei Spencer Stuart.