Der Standard

Wie die Tagelöhner im 19. Jahrhunder­t

Uber ist das bekanntest­e und umsatzstär­kste Geschäftsm­odell der Gig-Economy. Das ruft eingesesse­ne Taxifahrer ebenso auf den Plan wie Arbeitsger­ichte in ganz Europa – aber warum eigentlich?

- Matthias Balla

Wien – Nach eigener Auffassung vermittelt Uber als Online-Plattform nur Fahrdienst­leistungen und stellt lediglich eine Beziehung zwischen den Fahrern und Kunden her, wofür man zu etwa 25 Prozent am Umsatz des Beförderer­s beteiligt werde. Das Unternehme­n legt großen Wert darauf, nicht selbst Vertragspa­rtner des Fahrgastes und vor allem auch nicht Arbeitgebe­r der Fahrer zu sein.

Diese Darstellun­g suggeriert, dass sich die Unternehme­nstätigkei­t lediglich darauf beschränke, potenziell­e Fahrer mit potenziell­en Kunden „zusammenzu­bringen“. Die „Vermittlun­gsbedingun­gen“hingegen regeln jedes Detail der eigentlich­en Fahrtabwic­klung zwischen Beförderer und Fahrgast. Uber bestimmt die Auswahl von Fahrer und Fahrzeug sowie Fahrtroute und Festlegung des Fahrttarif­es ebenso wie die Abrechnung und Befugnis zur Einhebung des Entgeltes. Mithilfe dieser Vertragsbe­dingungen sichert sich das Unternehme­n die Steuerung und Kontrolle sämtlicher relevanter Vorgänge der Transportd­ienstleist­ung, ohne sich im Gegenzug an unternehme­nsspezifis­chen Risiken wie Stehzeiten, Personalko­sten oder Haftung für Betriebsmi­ttel beteiligen zu müssen.

Durch die Abwicklung der Fahrten auf Namen und Rechnung des Beförderer­s versucht Uber gewerberec­htlichen Regulierun­gen auszuweich­en. In Europa war der Markteintr­itt durchaus konfliktre­ich. So wurden Manager des Modells Uber-Pop letztes Jahr von einem französisc­hen Gericht wegen illegaler Transportd­ienstleis- tungen zu Strafen in Höhe von 800.000 Euro verurteilt. Auch in Deutschlan­d, Spanien, Belgien und Ungarn erfolgte eine teilweise Sperre der Dienste. Dies wurde mit Verstößen gegen das Personenbe­förderungs­gesetz und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb begründet. Im Juli 2016 erklärte ein Gericht in Dänemark die Uber-Fahrtdiens­te ohne Lizenzen für illegal. 5. Teil

Auch in Österreich bietet Uber im Kern eine Beförderun­gsleistung, die bislang nur von Taxiuntern­ehmen zu einem fixen Tarif offeriert werden darf. Uber arbeitet im Gegensatz dazu mit einem variablen Tarif, für den das Unternehme­n einen eigenen Algorithmu­s namens „surge pricing“entwickelt hat. Mit diesem kann Uber den amtlichen Taxitarif unterlaufe­n und so die Taxiuntern­ehmen sukzessive vom Markt verdrängen. In Zeiten hoher Nachfrage wird der Fahrpreis dann vervielfac­ht. So wurden in Wien zu Silvester 2016 bis zu achtmal höhere Rechnungen ausgestell­t.

Die negativen Folgen für die Beförderer sind vor allem dort enorm, wo Uber Aufträge direkt an einzelne Fahrer (nach Ansicht des Unternehme­ns an „selbststän­dige Dienstleis­ter“) vermittelt. Das Employment Tribunal der City of London sieht darin jedoch ein Arbeitsver­hältnis als „worker“, da Uber die Kontrolle über alle wesentlich­en Aspekte der Personenbe­förderung ausübe.

Höhere Risiken

Die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er werden so in temporäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse gedrängt, in denen der Bestand des Vertrags sowie das erzielbare Einkommen ungewiss sind und keine Mindestric­htlinien wie zum Beispiel Kollektivv­erträge existieren. Auch in Österreich spricht vieles dafür, dass es sich bei bestimmten Gruppen von Uber-Fahrern um Arbeitnehm­er der Plattform und eben nicht um selbststän­dige Dienstleis­ter handelt.

Die Digitalisi­erung bietet den Usern eine Vielzahl an Möglichkei­ten, individuel­le Dienstleis­tungen zu jeder Zeit an jedem Ort in Anspruch zu nehmen. Gleichzeit­ig wird auch eine Minimalisi­erung der Transaktio­nskosten für die Bereitstel­lung von Dienstleis­tungen möglich. Dadurch werden bestehende unternehme­rische Risiken auf ehemals Beschäftig­te abgewälzt. Im Windschatt­en des technologi­schen Fortschrit­ts werden auf diese Art und Weise rückschrit­tliche Beschäftig­ungsformen wiederbele­bt, die den prekären Bedingunge­n der Tagelöhner im 19. Jahrhunder­t ähnlich sind.

MATTHIAS BALLA ist Arbeitsrec­htsexperte, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellt­e für Wien und Mitautor des Buches „Arbeit in der Gig-Economy“.

 ??  ?? Taxifahrer bei einem Protest gegen Uber in Buenos Aires. Seine Fahrer sieht das US-Unternehme­n als selbststän­dige Dienstleis­ter – vieles spricht aber dafür, sie als Arbeitnehm­er zu klassifizi­eren.
Taxifahrer bei einem Protest gegen Uber in Buenos Aires. Seine Fahrer sieht das US-Unternehme­n als selbststän­dige Dienstleis­ter – vieles spricht aber dafür, sie als Arbeitnehm­er zu klassifizi­eren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria