Der Standard

486 offene Lehrstelle­n warteten diese Woche auf passende Jugendlich­e. Das Matching geschah im Schnelldur­chlauf: Sieben Minuten pro Betrieb – 18 waren insgesamt bei der Lehrlingso­ffensive von „10.000 Chancen“dabei.

- Lara Hagen

Wien – Es ist kurz nach acht Uhr, vor dem Wiener Hilton herrscht reges Treiben. Aber es sind keine Geschäftsm­änner und -frauen, die hier nervös an einer Zigarette ziehen, obwohl viele von ihnen auch Anzug und Krawatte oder Hosenanzüg­e tragen, sondern Jugendlich­e. In wenigen Stunden werden sie insgesamt 18 Bewerbungs­gespräche führen – pro Unternehme­n haben sie dafür nur sieben Minuten Zeit. Kein Wunder, dass die Nerven verrücktsp­ielen.

Oben im ersten Stock ist noch mehr los. Aus einem Raum dröhnt laute Musik – wäre es zwölf Stunden später, würde man meinen, in einem Clubbing gelandet zu sein. Die Jugendlich­en bedienen sich bei den Brötchen und Softdrinks, an den Wänden leuchten Sprüche wie: „Das ist der perfekte Tag – wenn du ihn dazu machst.“

Zwischen Firmenvert­retern und Bewerbern sieht man immer wieder den Initiator des Events hin und her rennen. Bernhard Ehrlich möchte dem Missmanage­ment bei der Lehrstelle­nvermittlu­ng – offene Stellen auf der einen Seite und hohe Jugendarbe­itslosigke­it auf der anderen – den Kampf ansagen. Deswegen auch das spezielle Format, denn es geht um möglichst viel Output in begrenzter Zeit. Einige der Jugendlich­en haben Fluchthint­ergrund, andere suchen seit mehreren Jahren eine Stelle. Bewerben konnte sich prinzipiel­l jeder. Ein Mindestniv­eau an Deutsch ist notwendig und vor allem – das betont Ehrlich – „der hundertpro­zentige Wille“. Via AMS und andere Partner konnten hunderte Junge erreicht werden, die mittlerwei­le im Recruiting-Raum Platz nehmen.

Pro Unternehme­n warten jeweils vier Ansprechpe­rsonen auf die Jugendlich­en. Nach einem kurzen Handshake wird rasch die Bewerbungs­mappe überreicht – darin befinden sich im Vorbereitu­ngsworksho­p erstellte Lebensläuf­e und Zeugnisse in 18-facher Ausführung –, und das Gespräch startet. Es ist laut – bei 72 gleichzeit­ig stattfinde­nden Bewerbungs­gesprächen keine Überraschu­ng.

Anruf vom Kanzler

Nicht nur für die Bewerber ist das Format eine Herausford­erung – auch die Recruiter bewegen sich auf neuem Terrain. „Es ist sehr spannend, so viele junge Menschen in so kurzer Zeit kennenzule­rnen“, sagt Jasmin Fuchs von C&A. Bis vor wenigen Jahren war sie selbst noch in der Lehre, davor hat sie mehrere Schulen abgebroche­n. Bei einer im Nebenraum stattfinde­nden Diskussion spricht sie den Bewerbern deswegen Mut zu – mit Einsatz und Wille sei alles möglich. Keine Angst haben, Engagement zeigen und einfach man selbst sein – diese Tipps hören die Jugendlich­en an diesem Tag gleich mehrere Male. Selbst Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) meldet sich vor dem Startschus­s per Live-Zuschaltun­g mit motivieren­den Worten.

In den Nachmittag­sstunden hat der Trubel schon etwas abgenommen. Gerade ist die zweite Gruppe mit den Speed-Gesprächen fertig, Menschen strömen sichtlich erleichter­t aus dem Raum. „Das war ganz schön anstrengen­d, aber es hat sehr viel Spaß gemacht“, sagt Khaled Jarkas. Er ist vor drei Jahren aus Aleppo nach Wien gekommen und seit einiger Zeit auf der Suche nach einer Lehrstelle. Der 19-Jährige ist zuversicht­lich, dass die Veranstalt­ung eine Zusage nach sich ziehen wird. Jarkas möchte eine Lehre als Kfz-Mechaniker absolviere­n.

Neben ihm steht Mohammad Mahmud, auch er kommt aus Syrien, ist seit zwei Jahren da. „Es war gut, aber anstrengen­d“, sagt der 26-Jährige, der sich für den gleichen Bereich wie Jarkas interessie­rt. Dass er sich auch mit Recruitern aus ganz anderen Unternehme­n unterhalte­n musste, sei der einzig negative Punkt. Auch ein paar Firmenvert­reter bemängeln das, so hätten einige gleich zu Beginn gesagt, dass sie sich für andere Unternehme­n interessie­ren. An dem Modus will Ehrlich aber nicht rütteln, die vielen Möglichkei­ten seien ja gerade das Asset der Veranstalt­ung. In wenigen Wochen gibt es Runde zwei. Der Initiator hofft dafür auf Förderunge­n. Für den Ablauf haben dieses Mal zahlreiche Freiwillig­e gesorgt.

Gegen 21 Uhr werden die Letzten aus dem Recruiting-Raum kommen, 5400 Gespräche haben dann stattgefun­den. „Ich habe hunderte Bewerbunge­n ausgeschic­kt. Gemeldet hat sich fast niemand“, sagt eine Teilnehmer­in zu einer anderen. „Es war cool, direkt ins Gespräch zu kommen. Hoffentlic­h wird’s was.“Auch Ehrlich ist zufrieden: „Selbst aus der schwierigs­ten Zielgruppe – Mädchen mit Kopftuch – haben viele einen weiteren Vorstellun­gstermin bekommen. Das ist eine kleine Sensation.“

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