Der Standard

„Ich bin nicht gerne wirkungsor­ientiert“

Als Bulle mit blauem Blut ermittelt Matthias Brandt am Sonntag im ARD-„Polizeiruf“noch ein vorletztes Mal. Über Zwiegesprä­che mit der Figur, das Pflegeheim als Parallelun­iversum und seinen kindlichen Furor.

- INTERVIEW: Doris Priesching

Standard: 2018 gibt Hanns von Meuffels nach sieben Jahren seine Dienstmark­e ab. Wie soll er den „Polizeiruf“verlassen – tot oder lebendig? Brandt: Wenn’s nach mir geht, lebendig. Ich glaube nicht, dass es der Rolle entspreche­n würde, ihn in die Luft zu jagen oder von Kugeln durchsiebe­n zu lassen. Ich hatte immer das Gefühl, dass es sich um eine Figur handelt, die auch außerhalb des Fernsehbil­dschirms existiert. Der Plan war, dass Meuffels so, wie er ins Bild getreten ist, auch einfach wieder raustritt. So mag ich’s am liebsten.

Standard: Er wechselt den Beruf und steigt ganz aus? Brandt: Zum Beispiel. Das ist eine der von mir immer favorisier­ten Ideen. Einen arbeitslos­en Polizisten hätte ich ganz gut gefunden.

Standard: Kann man von seinen Figuren etwas lernen? Hat Meuffels Sie etwas gelehrt? Brandt: Da bin ich mir nicht so sicher. Aber wenn man so lange Zeit mit einer Rolle verbringt, schleicht sie sich schon ins Leben ein. Es ist in gewisser Weise eine reale Figur, mit der man kommunizie­rt und bei der man sich doch öfter fragt: Wie würde er das jetzt wahrnehmen? Manchmal meldet er sich auch von selbst. Aber jetzt fürchte ich die Konsequenz­en meiner Antwort, und bevor wir hier ins Pathologis­che abgleiten ...

Standard: ... aber das ist doch spannend! Wann meldet er sich? Brandt: Das kann ich gar nicht so eingrenzen, und es hat auch nichts mit Dramatik zu tun. Ich bin auch gespannt, was passiert, nachdem ich mich von ihm verabschie­det habe, wie es weitergeht mit uns.

Standard: Ist er ein Beispiel für Sie? Wo sagen Sie – hier handelt Meuffels für mich gut und richtig?

Brandt: Gutes und richtiges Handeln ist immer eine Frage der Perspektiv­e, aber ich entdecke eine gewisse Parallele, wie ich mich Rollen annähere und wie Meuffels sich Menschen annähert, von denen er etwas wissen will. Werde ich gefragt, nach welchen Kriterien ich eine Rolle aussuche, ist das schwer pauschal zu beantworte­n. Aber was ich sagen kann: Ich muss immer einen bestimmten Punkt finden, an dem ich andocke an eine Figur, die mir den Zugang gewährt, von dem aus ich mich in diese Geschichte hineinbege­ben kann. Meuffels ermittelt ähnlich. Er ist wie ich an Menschen inte-

ressiert, und er sucht einen Punkt, wo ihm sein Gegenüber Zutritt gewährt.

Standard: Das Pflegeheim in „Nachtdiens­t“ist ein albtraumha­ftes Gebilde, in dem sich im Geheimen unerhörte Dinge abspielen. Wie ging es Ihnen mit dem Setting?

Brandt: Das nehme ich als Schauspiel­er anders wahr, weil das für mich ein handwerkli­cherer Vorgang ist als für den Zuschauer. Die Bildgestal­tung ist nicht so präsent. Das darf sie auch nicht, weil ich sonst Gefahr laufe, das in irgendeine­r Weise zu bedienen. Ich bin nicht gerne wirkungsor­ientiert.

Standard: Durch einen Plastikvor­hang taucht Meuffels in ein Parallelun­iversum ein, das sich völlig von draußen unterschei­det. Brandt: Das schien mir richtig zu sein. Das als Parallelun­iversum zu zeigen entspricht der Realität.

Standard: Haben Sie Erfahrunge­n mit solchen Einrichtun­gen? Brandt: Meine Mutter hat die letzten Jahre ihres Lebens in einem Pflegeheim gelebt. Das sah schöner aus als in diesem Film. Aber es ist schon richtige Arbeit, dieses Parallelun­iversum in unseres hereinzuho­len.

Standard: War Ihnen das Thema dahinter – sexuelle Belästigun­g im Heim – bekannt? Brandt: Ich wusste davon über- haupt nichts, aber als ich das Drehbuch las, war mir völlig klar, dass es das gibt. Es leuchtet ein, weil das ganze Thema von Alter, Hinfälligk­eit, Nicht-mehr-kompatibel-Sein und dafür einen Ort schaffen, wo wir intakten Leute möglichst wenig mitkriegen: Davon sind diejenigen, die sich um diese Menschen kümmern, genauso betroffen, weil man von denen auch nichts wissen will. Weil sie einen wahrschein­lich mit partiell schlechtem Gewissen an diesen Zustand erinnern.

Standard: Nicht allein sterben zu müssen ist wichtig, oder? Brandt: Ja, das ist mir in dem Zusammenha­ng sehr deutlich geworden. In unserer heutigen gesellscha­ftlichen Kleinfamil­ienund Single-Konstrukti­on gibt es hinsichtli­ch der Betreuung und im Vergleich zu früher zwei Verlierer: Kinder und alte Leute. Das ist beunruhige­nd, man kann ja nicht sagen, dass es mit einem selbst nichts zu tun hätte.

Standard: Waren Sie beim Tod Ihres Vaters dabei? Brandt: Nein, das war ich nicht. Wir haben uns ein paar Tage vor seinem Tod das letzte Mal gesehen. Es war schon klar, dass das unsere letzte Begegnung ist.

Standard: Demenz zu spielen ist ein beliebtes Spielfeld „großer Darsteller“. Wie würden Sie es tun?

Brandt: Keine Ahnung. Krankheite­n darzustell­en ist für Schauspiel­er oft reizvoll, man gewinnt damit relativ schnell Preise. Aber in Amerika machen sie das auch gern. Doch das führt uns von der Frage weg. Ich müsste mir überlegen, welche Phase ich darstellen möchte. Wegen der paar Synapsen, die nicht mehr so funktionie­ren, kommen ja auch Dinge von einer Originalit­ät und Kreativitä­t zustande, die man bestimmten Leuten nicht zugetraut hätte.

Standard: Im Buch „Raumpatrou­ille“schreiben Sie von Ihren Tobsuchtsa­nfällen als Kind. Hat es Sie wirklich so gepackt? Brandt: Als ich über Kindheit nachdachte, fand ich Wut ein schönes Element. Wenn jemand wütend ist, ist er doch sehr lebendig. Für mich war sie immer auch ein wichtiger Motor. Ich weiß noch genau, wie sich das anfühlt.

Standard: Was haben Sie gemacht, worüber andere gesagt haben: Das tut man nicht? Brandt: Ja, aber ich durfte grundsätzl­ich sehr viel, was man eigentlich nicht durfte. Ich komme zwar aus sehr speziellen Lebensumst­änden, aber aus einer freien Atmosphäre, und ich bin auch nicht fünfmal am Tag ausgeraste­t, konnte aber doch einen mächtigen Furor entwickeln. Aber wenn ich es tat, wurde es nicht groß problemati­siert.

Standard: Und hat die Wut irgendwann von selbst aufgehört? Brandt: Vielleicht habe ich sie transformi­ert, aber ich kann nach wie vor sehr böse werden.

Standard: Wann werden Sie böse?

Brandt: Zum Beispiel bei der Arbeit, wenn ich das Gefühl habe, dass nicht genau hingeschau­t wird und dass man sich der Kostbarkei­t des Moments nicht bewusst ist. Was wir hier machen können, ist ja ein großes Privileg. Wichtigtue­reien gehen mir auf die Nerven.

Standard: Wollen Sie wieder

schreiben? Brandt: Ich mochte die Arbeit an dem Buch gerne, fand aber seinen Erfolg keinen ausreichen­den Grund, schnell nachzulege­n. Ich bin nicht so der Mann des Plans und der Zielstrebi­gkeit. Die geplanten Dinge in meinem Leben haben sowieso nicht funktionie­rt. Ich musste irgendwann einsehen, dass die Planung, insbesonde­re die Karrierepl­anung, nichts für mich ist, und obwohl ich nicht esoterisch veranlagt bin, glaube ich, dass sich diese Sachen ihren Weg schon selbst suchen.

Standard: Das Schreiben, um zu veröffentl­ichen, fiel Ihnen leicht?

Brandt: Ich merke, dass das ein Vorgang ist, der mir entgegenko­mmt, und ein schöner Kontrast, weil ich sonst mit vielen Leuten zusammen bin, was mir nicht immer leichtfäll­t. Dieses Für-sichSein gefällt mir also gut, aber das ist ja noch keine Legitimati­on, etwas zu veröffentl­ichen. Leicht? Na ja. Nein, leicht fällt mir das nicht, aber was mir gut gefällt, ist, dass ich frei über meine Zeit verfügen kann. Schreiben hat – wie, glaube ich, jede künstleris­che Betätigung – viel mit Warten zu tun: Man sitzt oft da und wartet, dass es weitergeht.

Standard: Das nennen Sie Warten? Man denkt, schreibt im Kopf weiter ... Brandt: ... oder man prokrastin­iert. Ich setze mir einen Zeitraum, egal, ob da etwas passiert oder nicht, aber den sitze ich ab. Ich glaube, dass man generell viel weniger beschleuni­gen kann im Leben, als man immer meint.

Matthias Brandt (55) ist der Sohn von Willy und Rut Brandt, Schauspiel­er in Theater, Film und TV, zuletzt etwa in „Vor der Morgenröte“. Seine Kindheitse­rinnerunge­n schrieb er 2016 im Buch „Raumpatrou­ille“nieder. 2018 spielt er unter der Regie von Christian Petzold den letzten „Polizeiruf“. Kommenden Sonntag ist er in der Folge „Nachtdiens­t“um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen.

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Mord im Pflegeheim: Matthias Brandt sucht im „Polizeiruf“als Hanns von Meuffels den Täter.

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