Der Standard

Brexzentri­zität

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Alle reden vom Brexit, niemand von der britischen Exzentrizi­tät. Aber es gibt sie noch, diese gloriose Eigenschaf­t, über die das insulare Volk viel mehr verfügt als der angepasste, des ungehemmte­n Ausdrucks seiner individuel­lsten Macken verlustig gegangene Kontinenta­lheini.

Das würde ihnen auch jeder London-Tourist, der kürzlich von einer Verkäuferi­n in einem Shop in der Jamaica Road bedient wurde, taxfrei bestätigen. Die Dame war gewiss im siebten Lebensjahr­zehnt, hatte die Haare in der Mitte gescheitel­t, links feuerrot und rechts froschgrün gefärbt. Die Lady pflog aber nicht nur ein extravagan­tes Erscheinun­gsbild, sondern auch eine ebensolche Ausdrucksw­eise, indem sie jeden Satz, mit dem sie die Kunden an der Kas- se bediente, cool mit „My Love“, „My Dear“, „My Dearest“und ähnlichen pseudoschm­achtenden Worten schloss. Ungewöhlic­h für den Zuagrasten, der in österreich­ischen Geschäften so gut wie nie mit „Herzinnige­r“oder „Allerliebs­ter“angesproch­en wird. Alle reden vom Brexit, aber niemand davon, welch Verlust es wäre, wenn wir mit den Briten auch deren Exzentrizi­tät verlören, es also zu einer Brexzentri­zität käme. Wo fänden wir auf dem Kontinent Figuren wie den von der Exzentrikf­orscherin Edith Sitwell beschriebe­nen Landedelma­nn John Mytton, der „sein Nachthemd entzündete, um seinen Schluckauf zu kurieren“? Und wo solch wunderbare ShopLadys wie in der Jamaica Road?

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