Der Standard

ZITAT DES TAGES

Wenn Donald Trump das Klimaschut­zabkommen aufkündigt, soll Europa in die Bresche springen, sagt der grüne EU-Abgeordnet­e Claude Turmes. Ländern mit viel Kohle soll beim Übergang geholfen werden.

- INTERVIEW: Günther Strobl

„Die Investoren werden sich fragen: Ist Trump in vier Jahren noch da?“ Claude Turmes, grüner EU-Abgeordnet­er, sieht keine Kohle-Renaissanc­e in den USA

Standard: Seit dem Amtsantrit­t von Donald Trump spürt die Öl-, Gas- und Kohleindus­trie in den USA wieder Aufwind. In Europa auch? Turmes: Trump ist ein Faktum, aber Energiepol­itik hat zum Glück auch etwas mit Ökonomie zu tun. Der neue US-Präsident kann den Kohlearbei­tern noch so viel verspreche­n – es wird in den USA keine Renaissanc­e der Kohle geben.

Standard: Was macht Sie so sicher? Turmes: Weil in den USA nicht nur Gas, sondern auch erneuerbar­e Energien wie Wind- und Solarstrom billiger sind. Die Investoren werden sich fragen: Ist Trump in vier Jahren noch da? Man baut kein Kohlekraft­werk für so kurze Zeit. Ich bin also relativ optimistis­ch, dass da nichts mehr kommt. Solange wir es fertigbrin­gen, den Ausstieg Trumps aus der Klimapolit­ik internatio­nal zu begrenzen ...

Standard: ... heißt, die USA im Pariser Klimaschut­zabkommen zu halten? Turmes: Das wird es wohl nicht spielen. Trump will noch in dieser Woche aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Wir haben es aber in der Hand, die Auswirkung­en möglichst gering zu halten.

Standard: Das wäre was? Turmes: Europa sollte dann bereit sein, mehr zu tun. Das heißt auch mehr Geld in die Hand zu nehmen, weil die Amerikaner bisher auch einen Teil der Klimaforsc­hung finanziert haben. Außerdem sollten wir einen Schultersc­hluss mit China versuchen. Der für Energie- und Klimaschut­z zuständige Kommissar Miguel Arias Cañete war zuletzt mehrmals in Peking, um die Antwort vorzuberei­ten, wenn Trump aus dem Pariser Vertrag aussteigt.

Standard: Anderersei­ts gibt es auch in Europa starke Widerständ­e gegen eine stringente Energieund Klimapolit­ik. Solange das Ein- stimmigkei­tsprinzip in der EU gilt, scheint kein Durchbruch möglich zu sein. Turmes: Bleiben wir beim schwierigs­ten Partner in der Klimapolit­ik, bei Polen. Die Regierung in Warschau sagt, wir setzen weiter auf Kohle. Kohle ist aber im Klimazeita­lter ein No-Go. Realität ist, dass Polen in den nächsten drei Jahren 3000 Megawatt Solarkraft bauen wird. Warum? Weil sie ein akutes Stromverso­rgungsprob­lem im Sommer haben. Es gibt zu wenig Wasser, um die Kohlekraft­werke zu kühlen. Die polnische Regulierun­gsbehörde hat der Regierung und dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber gesagt: Wenn ihr nicht 3000 Megawatt Solar bis 2021 baut, können wir ein Blackout im Sommer nicht ausschließ­en.

Standard: Polen müsste aber neue Jobs für die Kohlearbei­ter finden. Turmes: Das ist der eigentlich­e Knackpunkt. Ich möchte, dass die EU-Kommission im nächsten Energieber­icht im November Maßnahmen benennt, um die Handvoll Kohleregio­nen in Südpolen, in Teilen Rumäniens, in geringerem Ausmaß auch in Griechenla­nd und Bulgarien aus der alten in die neue Welt zu bringen.

Standard: Gehört eine bessere Dotierung der Strukturfo­nds dazu? Turmes: Es geht nicht nur um Geld. Ich habe zur Kommission gesagt, wir brauchen ein Exzellenzn­etzwerk von Leuten, die beim Umbau der alten Kohlegebie­te im Ruhrgebiet oder Wales dabei waren. Deren Erfahrunge­n sollten wir nutzen. Politik ist aber immer auch Zuckerbrot und Peitsche. Standard: Was wäre in dem Konnex die Peitsche für Polen? Turmes: Dass wir ihnen über Brüssel die Förderung neuer Kohlekraft­werke untersagen, wenn diese mehr als 550 Gramm je Kilowattst­unde CO ausstoßen.

Standard: Und das Zuckerbrot? Turmes: Das könnten ideelle und finanziell­e Hilfen bei OffshoreWi­nd und beim Strukturwa­ndel in den Kohlerevie­ren im Süden des Landes sein. Da an der polnischen Ostseeküst­e genauso viel Wind ist wie an der deutschen und dänischen Küste, sind OffshoreWi­ndanlagen eine wirtschaft­liche Alternativ­e zu Kohleverst­romung.

Standard: In Österreich wird gerade heftig um eine kleine Novelle zum Ökostromge­setz gerungen ... Turmes: Ich bin Luxemburge­r und Europapoli­tiker. Es ist immer etwas anmaßend, von außen zu kommentier­en. Aus der Distanz betrachtet sehe ich, Österreich stagniert bei erneuerbar­en Energien. Zugespitzt gesagt frage ich mich, warum SPÖ und ÖVP lieber haben, dass tschechisc­her Atomoder polnischer Kohlestrom ins Land kommt, statt dass etwa im Burgenland relativ kostengüns­tig weitere Windkrafta­nlagen errichtet werden. Ich bin froh und danke der österreich­ischen Bevölkerun­g, dass es eine so breite Allianz gegen Atom gibt. Aber wenn ich ein Spiel gewinnen will, darf ich nicht nur defensiv agieren.

Standard: Sondern? Turmes: Dann muss ich für mehr erneuerbar­e Energien und Energieeff­izienz in Brüssel kämpfen. Je schärfer und ambitionie­rter die Erneuerbar­en-Ziele für 2030 sind, desto enger wird es für neue AKWs in Tschechien und der Slowakei. Und der Druck, alte Atomkraftw­erke vom Netz zu nehmen, nimmt auch noch zu. Im Spiel Österreich gegen Atomkraft fehlen in den österreich­ischen Reihen derzeit die Offensivsp­ieler. Aber das kann sich ja noch ändern.

CLAUDE TURMES (56), für Luxemburgs Grüne seit 1999 im EU-Parlament. Dort war er u. a. Berichters­tatter für die Richtlinie zur Förderung erneuerbar­er Energien. In der laufenden Legislatur­periode sitzt Turmes im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie und ist Mitglied in der Delegation für die Beziehunge­n zu den Vereinigte­n Staaten.

Im Spiel Österreich gegen Atomkraft fehlen in den österreich­ischen Reihen derzeit die Offensivsp­ieler.

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Fotos: Reuters Kohleabbau in Bełchatów nahe Łódź: Die polnische Regierung räumt der Kohle zwar Vorrang ein, weil zigtausend Beschäftig­te damit ihr Brot verdienen. Gleichzeit­ig wird nun aber auch Solarenerg­ie ausgebaut, weil Wassermang­el die Kühlung der...
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