Der Standard

EU- Spitze und Regierunge­n hatten nie Zweifel an Macron

Partner erwarten von Paris neue Anstöße zur Vertiefung der Eurozone und zu einer politische­n Union

- Thomas Mayer aus Brüssel

In den Gebäuden der EU-Institutio­nen in Brüssel herrschte vor der für die Union seit Jahren wichtigste­n Wahl in einem Mitgliedsl­and Hochbetrie­b. Tausende Menschen drängten am Samstag, am Tag der offenen Tür, ins Parlament, ins neu errichtete Ministerra­tsgebäude und gleich vis-à-vis zur Kommission.

Von Europamüdi­gkeit, gar Zukunftsan­gst war wenig zu spüren: Junge, Alte, Familien mit Kindern bildeten lange Schlangen, um die Entscheidu­ngsorte der Union genauer unter die Lupe zu nehmen. Ob sie Sorge hätten, dass es nach einem Wahlsieg der extremen Rechten des Front National unter Marine Le Pen zum Ende der Gemeinscha­ft, zum Aus für den Euro kommen könnte?

Nein, Le Pen werde nicht französisc­he Präsidenti­n, zeigten sich gut drei von vier befragten Besuchern überzeugt. Es werde schon wieder weitergehe­n mit der EU.

Diese Sichtweise spiegelte ganz die Hoffnung praktisch der gesamten Spitze der EU-Verantwort­lichen in der Hauptstadt. Von Kommission­schef Jean-Claude Juncker abwärts hatten sich viele offen für den unabhängig­en Kandidaten Emmanuel Macron ausgesproc­hen. Dieser hatte sich bereits im ersten Wahlgang uneingesch­ränkt für einen proeuropäi­schen Kurs seines Landes ausgesproc­hen.

Einen „Plan B“für den Fall, dass doch Le Pen gewinnen könnte, gebe es nicht, hieß es in der Kommission. Auch Ratspräsid­ent Donald Tusk ging nicht davon aus, dass er nach dem Wahlsonnta­g zu einem sofortigen Krisengipf­el der Staats- und Regierungs­chefs laden müsste, sollte der Front National triumphier­en, der Ausstieg der Franzosen aus dem Euro in der Luft liegen, wie von Le Pen verkündet. Nur in Frankfurt in der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) wurden seit langem Pläne für diesen Fall gewälzt. Man ging davon aus, dass die Märkte stark reagieren würden, es zu gewaltiger Kapitalflu­cht aus Frankreich und zu „Wetten“gegen das wirtschaft­lich gebeutelte Italien kommen werde.

Aber dieser Fall werde nicht eintreten, da war man sich schon am Nachmittag sicher, als die ersten harten Fakten über Wahlbeteil­igung und -verhalten der Franzosen eintrafen: Macron würde bequem vorne liegen.

Juncker, Tusk – aber auch die Regierungs­chefs aus den EUHauptstä­dten wie die Christdemo­kratin Angela Merkel bis hin zum Sozialdemo­kraten Christian Kern – könnten sich früh am Abend in Aussendung­en über Macrons Erfolg freuen und auf die Aussicht der Zusammenar­beit mit ihm. Worin aber werde diese Kooperatio­n bestehen? Macron hat sich zwar grundsätzl­ich zum Ausbau der Union – zu mehr Integratio­n – bekannt. Ein detaillier­tes Programm gibt es aber noch nicht. Auch ist unklar, mit wem er in Zukunft regieren wird. Die Parlaments­wahlen folgen erst im Juni.

Der designiert­e französisc­he Präsident wird eine starke Achse mit Deutschlan­d suchen, wo im September Neuwahlen stattfinde­n. Das passt in sein Konzept einer „Reflexions­phase“von gut sechs Monaten zur EU-Zukunft. Ende 2017 könnten Paris und Berlin beginnen, Vorschläge zur Vollendung einer politische­n Union in der Eurozone zu machen – bis hin zu Fiskalunio­n und gemeinsame­r Finanzieru­ng. Es schien am Sonntag als ehrliche gute Absicht des Siegers, aber mit vielen Hürden zur Umsetzung, schwer belastet von den Brexit-Verhandlun­gen.

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