EU- Spitze und Regierungen hatten nie Zweifel an Macron
Partner erwarten von Paris neue Anstöße zur Vertiefung der Eurozone und zu einer politischen Union
In den Gebäuden der EU-Institutionen in Brüssel herrschte vor der für die Union seit Jahren wichtigsten Wahl in einem Mitgliedsland Hochbetrieb. Tausende Menschen drängten am Samstag, am Tag der offenen Tür, ins Parlament, ins neu errichtete Ministerratsgebäude und gleich vis-à-vis zur Kommission.
Von Europamüdigkeit, gar Zukunftsangst war wenig zu spüren: Junge, Alte, Familien mit Kindern bildeten lange Schlangen, um die Entscheidungsorte der Union genauer unter die Lupe zu nehmen. Ob sie Sorge hätten, dass es nach einem Wahlsieg der extremen Rechten des Front National unter Marine Le Pen zum Ende der Gemeinschaft, zum Aus für den Euro kommen könnte?
Nein, Le Pen werde nicht französische Präsidentin, zeigten sich gut drei von vier befragten Besuchern überzeugt. Es werde schon wieder weitergehen mit der EU.
Diese Sichtweise spiegelte ganz die Hoffnung praktisch der gesamten Spitze der EU-Verantwortlichen in der Hauptstadt. Von Kommissionschef Jean-Claude Juncker abwärts hatten sich viele offen für den unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron ausgesprochen. Dieser hatte sich bereits im ersten Wahlgang uneingeschränkt für einen proeuropäischen Kurs seines Landes ausgesprochen.
Einen „Plan B“für den Fall, dass doch Le Pen gewinnen könnte, gebe es nicht, hieß es in der Kommission. Auch Ratspräsident Donald Tusk ging nicht davon aus, dass er nach dem Wahlsonntag zu einem sofortigen Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs laden müsste, sollte der Front National triumphieren, der Ausstieg der Franzosen aus dem Euro in der Luft liegen, wie von Le Pen verkündet. Nur in Frankfurt in der Europäischen Zentralbank (EZB) wurden seit langem Pläne für diesen Fall gewälzt. Man ging davon aus, dass die Märkte stark reagieren würden, es zu gewaltiger Kapitalflucht aus Frankreich und zu „Wetten“gegen das wirtschaftlich gebeutelte Italien kommen werde.
Aber dieser Fall werde nicht eintreten, da war man sich schon am Nachmittag sicher, als die ersten harten Fakten über Wahlbeteiligung und -verhalten der Franzosen eintrafen: Macron würde bequem vorne liegen.
Juncker, Tusk – aber auch die Regierungschefs aus den EUHauptstädten wie die Christdemokratin Angela Merkel bis hin zum Sozialdemokraten Christian Kern – könnten sich früh am Abend in Aussendungen über Macrons Erfolg freuen und auf die Aussicht der Zusammenarbeit mit ihm. Worin aber werde diese Kooperation bestehen? Macron hat sich zwar grundsätzlich zum Ausbau der Union – zu mehr Integration – bekannt. Ein detailliertes Programm gibt es aber noch nicht. Auch ist unklar, mit wem er in Zukunft regieren wird. Die Parlamentswahlen folgen erst im Juni.
Der designierte französische Präsident wird eine starke Achse mit Deutschland suchen, wo im September Neuwahlen stattfinden. Das passt in sein Konzept einer „Reflexionsphase“von gut sechs Monaten zur EU-Zukunft. Ende 2017 könnten Paris und Berlin beginnen, Vorschläge zur Vollendung einer politischen Union in der Eurozone zu machen – bis hin zu Fiskalunion und gemeinsamer Finanzierung. Es schien am Sonntag als ehrliche gute Absicht des Siegers, aber mit vielen Hürden zur Umsetzung, schwer belastet von den Brexit-Verhandlungen.