Der Standard

Der talentiert­e Monsieur Macron

Emmanuel Macron will als Präsident Frankreich von Grund auf erneuern und wird bereits mit John F. Kennedy und Tony Blair verglichen. Hat die Nation ihren Retter gefunden?

- Stefan Brändle aus Paris

ZPORTRÄT: weifellos kennt Emmanuel Macron die Maxime des Poeten René Char aus seinem Philosophi­estudium: „Versuche dein Glück, ergreife deine Chance – und während sie dir zuschauen, werden sie sich schon noch an dich gewöhnen.“Noch sind die Franzosen allerdings ziemlich perplex: Denn eigentlich kennen sie Macron erst seit 2014, als ihn Präsident François Hollande zu seinem Wirtschaft­sminister ernannte. Erst Ende vergangene­n Jahres erklärte der Newcomer seine Präsidents­chaftskand­idatur, ohne von einer etablierte­n Partei unterstütz­t zu werden.

Seine Bewegung „En Marche“ist gerade einmal ein Jahr alt und zählt schon über 200.000 Anhänger; doch die haben sich alle bloß per Mausklick angemeldet und eingetrage­n. Das wirkt alles gar virtuell und vage – so ähnlich wie Macrons politische­r Positionsb­ezug „weder links noch rechts“, der so völlig mit dem Zweilagers­ystem der Fünften Republik bricht.

Ein junger Mann im Élysée

Dennoch: Die Franzosen gaben dem 39-Jährigen schon im ersten Präsidents­chaftswahl­gang die meisten Stimmen: 24 Prozent für einen Jungspund, der bei der Bank Rothschild als Firmenfusi­onierer arbeitete, aber noch nie eine Wahl bestritten hat; nicht einmal eine lokale. Und auch in der Stichwahl am Sonntag reüssierte Macron mit deutlichem Vorsprung vor der Rechten Marine Le Pen.

In Frankreich, das bisher gewiefte alte Männer wie Charles de Gaulle, François Mitterrand oder Jacques Chirac ins Élysée entsandte, hat das fast etwas Surreales, Mystisches. Als sei Emmanuel (hebräisch: „Gott sei mit uns“) wie seinerzeit Jeanne d’Arc einer Stimme gefolgt, die ihn aufrief, Frankreich zu retten.

Macron hörte zweifellos eine Stimme: aber die eigene. Der charmante, aus dem Nichts gekommene Kandidat glaubte stets felsenfest an sich. Er sei „besessen von sich“, ätzt der Sozialist und kurzfristi­ge Weggefährt­e Julien Dray. Und nur so kann ein Schüler seine eigene Lehrerin, eine 24 Jahre ältere Familienmu­tter, erobern und später heiraten; und nur so kann jemand ein altes, konservati­ves Land wie Frankreich im Handstreic­h nehmen, auch wenn er nicht Napoleon heißt.

Gewiss hatte Macron auch Glück. Wie durch göttliche Fügung wichen alle soziallibe­ralen Gegner zur Seite – zuerst Hollande, dann Premier Manuel Valls, schließlic­h Alain Juppé: Sie alle machten mehr oder weniger unfreiwill­ig den Weg durch die politische Mitte frei. Der talentiert­e Monsieur Macron vermag nicht nur „über Wasser zu gehen“, wie das Pariser Blatt L’Opinion schrieb – er trennte auch das Meer zur politische­n Rechten und Linken, um seine Anhänger sicher dazwischen hindurchzu­führen.

20.000 kamen im April in einen Pariser Konzertsaa­l, um ihn zu sehen, und er fragte sie mit Inbrunst: „Spürt ihr die Kraft dieser Versammlun­g?“Als er Luft holte, schrie einer dazwischen: „Je t’aime, Monsieur Macron, merde!“(Ich liebe dich, Herr Macron, Scheiße!) Der junge Kandidat dankte es per Handkuss, dann stimmte die Halle auf unsichtbar­es Geheiß die zur Liebeshymn­e umfunktion­ierte Marseillai­se an: Die kollektive Kommunion war vollkommen. „Allons enfants de la patrie, l’amour est arrivé!“

Die Liebe ist Macrons Programm. In seinem Buch Révolution (2016) beschreibt er, wie er in der Provinzsta­dt Amiens in „Zärtlichke­it und Vertrauen“aufgewachs­en sei, um danach in Paris beim Philosophe­n Paul Ricoeur („Der Eros ist im Sein“) unterzukom­men. Dann besuchte Macron die Eliteschul­e ENA, wurde Vizesekret­är im Élysée-Palast und Wirtschaft­sminister.

„Man schafft nichts Gutes ohne Liebe“, schreibt Macron in seiner Profess und bekennt sich darin zu seiner „freudigen Leidenscha­ft für die Freiheit, Europa, die Wissenscha­ften, das Universell­e“.

Welch Kontrast zum Darth Vader der französisc­hen Politik, Marine Le Pen. Macron steht für die Lebensfreu­de und Energie der Jugend, die keine Konvention­en braucht, keinen falschen Respekt kennt. Bei einer Snapchat-Diskussion schrieb ihm unlängst ein Student, der um Macrons deutlich ältere Ehefrau weiß: „Ich fahre auf meine Strafrecht­sprofessor­in ab, was soll ich tun?“Nun: Zuerst müsse er herausfind­en, ob das Gefühl gegenseiti­g sei, antwortete der Präsidents­chaftskand­idat. „Wenn dem so ist, dann nur drauflos, keine Tabus. Wenn nicht, stellen Sie sich selbst infrage.“

Ja, Macron kann mit den Jungen. Er ist ja selber einer. Aber er steht auch seinen Mann. Er ist fähig, inmitten von wütenden Arbeitern und Streikpost­en das Wort zu führen, wie vorige Woche vor einer Fabrik in Amiens. Er hat in knallharte­n TV-Debatten erfahrene Politveter­anen wie François Fillon oder Jean-Luc Mélenchon aus dem Feld geschlagen. Macron liebt die Seinen, aber nicht wie ein Kumpel, sondern wie ein Chef. In Révolution doziert er, er sei neben dem Prinzip der Gleichheit „immer auch für die vertikale Dimension eingetrete­n“.

Die Franzosen hätten den Tod von König Ludwig XVI. 1793 „nicht gewollt“und lebten seither in einer „emotionell­en und imaginären Leere“. Wodurch sie auszufülle­n wäre, sagt der Kandidat auch gleich: „Vom Staatspräs­i- denten wird erwartet, dass er diese Funktion wahrnimmt.“

Nur, warum heißt sein Bekenntnis­buch eigentlich Révolution? Denn Macrons Programm ist keineswegs bahnbreche­nd. Eher biedere Mitte.

„Er spaltet nicht gern“

Wagt sich Macron einmal zu sehr nach links oder rechts, krebst er gleich zurück. „Emmanuel spaltet nicht gern, er verabscheu­t das sogar“, meint ein ehemaliger Studienkol­lege in einem Buch der Figaro- Journalist­in Anne Fulda. „Er liebt es, wenn ihn alle lieben.“ In der Politik überdauert die Liebe allerdings selten den Wahlsieg. Schon gar nicht, wenn man als Retter, als Erlöser der Nation antritt, das heißt als mutiger Reformer, der den verknöcher­ten französisc­hen Zentral- und Beamtensta­at aufbrechen will.

Macron hat die Chance ergriffen, die Nation vor dem Le-PenGespens­t zu retten. Ob er auch das Zeug hat, der französisc­he JFK, Tony Blair oder Gerhard Schröder zu werden, zeigt sich in den nächsten fünf Jahren. Ein Buchtitel macht noch keine Revolution.

Versuche dein Glück, ergreife deine Chance – sie werden sich schon noch an dich gewöhnen. René Char, Dichter

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Emmanuel Macron mit seiner wohl wichtigste­n Wahlhelfer­in: Ehefrau Brigitte.

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