Der Standard

Tschetsche­nien: Homosexual­ität als „Übel“

Vorwürfe der Folterunge­n und Morde in russischer Teilrepubl­ik werden überprüft

- André Ballin aus Moskau

Es gibt sie also doch: Hatte die tschetsche­nische Regierung allein schon die Existenz Homosexuel­ler in Tschetsche­nien als Lüge liberaler Medien dargestell­t, so hat Russlands Präsident Wladimir Putin ihr Vorhandens­ein bestätigt, als er am Freitag erstmals zu ihrer Verfolgung im Nordkaukas­us Stellung nahm.

Beim Treffen mit der Bürgerrech­tsbeauftra­gten Tatjana Moskalkowa versprach er eine Aufklärung der Vorwürfe, dass in der russischen Teilrepubl­ik Homosexuel­le gefoltert und sogar getötet werden. „Ich werde natürlich mit dem Generalsta­atsanwalt und dem Innenminis­ter reden, damit sie Sie bei dem Thema unterstütz­en, was Sie jetzt aufgeworfe­n haben, bezüglich der Informatio­nen oder besser gesagt der Gerüchte über das, was dort mit Menschen nichttradi­tioneller sexueller (gleichgesc­hlechtlich­er, Anm.) Orientieru­ng geschieht“, sagte Putin. Anschließe­nd sicherte sogar Tschetsche­niens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Hilfe seiner Sicherheit­sorgane zu.

Die kremlkriti­sche Nowaja Gaseta hatte im April über sechs Geheimgefä­ngnisse in Tschetsche­nien mit hunderten illegal festgehalt­enen Insassen berichtet. Unter den Gefangenen seien auch Personen, die der Homosexual­ität verdächtig­t würden. Verdächtig­e würden gedemütigt und misshandel­t, anschließe­nd würde Lösegeld von den Verwandten für die Freilassun­g erpresst oder die Familie aufgeforde­rt, ihre homosexuel­len Angehörige­n zu töten.

Die Reaktion der tschetsche­nischen Behörden war heftig. Als schlechter Aprilscher­z und Ver- leumdung wurden die Berichte eingestuft. Kadyrows Pressesekr­etär Alwi Karimow erklärte, es sei unmöglich, „jemanden zu drangsalie­ren, den es gar nicht gibt“. Kadyrows Bürgerrech­tsbeauftra­gte Cheda Saratowa dementiert­e, derartige Klagen erhalten zu haben. „Allerdings würde ich sie auch nicht beachten“, fügte sie hinzu. In der traditione­ll geprägten tschetsche­nischen Gesellscha­ft würde der Tod eines Homosexuel­len niemanden bekümmern. „Das ist ein Übel, gegen das jeder Tschetsche­ne kämpfen wird“, behauptete sie.

70 Prozent für Verbot

Gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n sind in Russland offiziell nicht verboten. Allerdings stellte der Kreml im Jahr 2013 mit dem Verweis auf den notwendige­n Schutz Minderjähr­iger „Schwulenpr­opaganda“in der Öffentlich­keit unter Strafe. Umfragen zufolge sind 70 Prozent der Russen dafür, Homosexual­ität zu verbieten. Mehr als die Hälfte der Befragten will Betroffene zwangsweis­e „heilen“.

Ob die Untersuchu­ng etwas zutage fördern wird, ist ungewiss. Moskalkowa hatte die medial erhobenen Vorwürfe zunächst als „Verleumdun­g“und „Provokatio­n“bezeichnet. Beim Treffen mit Putin sagte sie nun, dass es schwer sei, die Berichte zu überprüfen, da Betroffene nicht bereit seien, ihren Namen zu nennen.

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Foto: AP / Mikhail Klimentyev Bei einem Treffen besprachen Russlands Präsident Wladimir Putin und Tschetsche­niens Oberhaupt Ramsan Kadyrow auch die Vorwürfe, Homosexuel­le würden in der Kaukasusre­publik verfolgt.

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