Der Standard

Opferthese geistert noch in den Schulen herum

Schüler beziehen Wissen über den Holocaust überwiegen­d aus dem Unterricht. Mehr als ein Drittel will mehr über die NS-Zeit erfahren. Vier von zehn glauben an die Opferrolle Österreich­s.

- Stefanie Ruep

Salzburg – Die Schändung von NSMahnmale­n und rechtsradi­kale Schmierakt­ionen ab 2014 in der Stadt Salzburg waren der Auslöser, Salzburgs Schüler zu ihrer Haltung zum Nationalso­zialismus zu befragen. Die Studie zeigt, dass die Schüler ihr Wissen zum Holocaust und Nationalso­zialismus überwiegen­d aus dem Geschichts­unterricht beziehen. Gefolgt von Spielfilme­n, Internet und Dokumentat­ionen. Erst dann werden die Eltern genannt. Am unwichtigs­ten sind Bücher.

„Der Unterricht ist viel wichtiger, als wir das bisher angenommen haben“, sagt Studienlei­ter Christoph Kühberger, der Vizerektor der Pädagogisc­hen Hochschule (PH) Salzburg. Das zeigt auch die konträre Einschätzu­ng der befragten Lehrer. Sie gaben an, dass sie die Eltern und Freunde als wichtigste Wissensque­lle zum Thema sehen. Kühberger begründet das mit einer Historisie­rung des Themas: „Zu Hause spricht man nicht mehr über den Holocaust, weil er zu weit vom Lebenszusa­mmenhang weg ist.“

Dürftiges Basiswisse­n

Abgefragt wurde auch Basiswisse­n zum Nationalso­zialismus. Das Ergebnis ist ernüchtern­d: 64 Prozent der Schüler konnten nicht beantworte­n, was die „Reichskris­tallnacht“war. 41,7 Prozent beantworte­n falsch, von wann bis wann die Nationalso­zialisten in Österreich an der Macht waren. Zumindest 64,6 Prozent wussten, wer die NSDAP war, und 79,5 Prozent, wer Adolf Hitler war.

Als „befremdlic­h“bezeichnet der Geschichts­didaktiker die Ergebnisse zur Frage der Opferrolle Österreich­s. Dem Argument, nachdem der „Anschluss“gegen den Willen der überwiegen­den Mehrheit der Österreich­er geschah, stimmten 42,9 Prozent der Schüler zu. 39,7 Prozent kreuzten an, Österreich sei ein Opfer der NS-Außenpolit­ik gewesen. „Die Opferthese geistert noch immer in den Schulen herum“, sagt Küh- berger. In den Schulbüche­rn werde ihr nicht explizit widersproc­hen. „Und Politiker vertreten sie noch immer ganz offen.“

Den oftmals angenommen­en Überdruss der Schüler in Bezug zum Nationalso­zialismus im Unterricht gibt es nicht wirklich. Nur 11,6 Prozent meinen, man beschäftig­e sich in der Schule zu viel mit dem Thema. 35,4 Prozent geben sogar an, sie wollten noch mehr über die Geschichte des Nationalso­zialismus in Österreich und Deutschlan­d erfahren.

Die Stadt und die Pädagogisc­he Hochschule Stefan Zweig haben die quantitati­ve Befragung finan- ziert. „Die Erhebung ist repräsenta­tiv für weite Teile urbaner Milieus“, sagt Studienlei­ter Christoph Kühberg. Es wurden insgesamt 283 Schüler der vierten Klassen der Neuen Mittelschu­len befragt. Das entspricht 38 Prozent aller NMS-Schüler in der Stadt Salzburg. 51,8 Prozent der Schüler haben Migrations­hintergrun­d, also zumindest ein Elternteil ist im Ausland geboren. Parallel wurden 78 Prozent der Geschichts­lehrer in den NMS der Stadt befragt.

Für Kühberger zeigen die Ergebnisse, dass die Lehrer viel Verantwort­ung haben, da der Unterricht der zentrale Ort der Wissensane­ignung zum Thema Nationalso­zialismus ist. Filme und Dokumentat­ionen sollten kritisch in den Unterricht eingebaut werden. Zentral sei, sie auch zu besprechen und nicht nur abzuspiele­n.

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